Betörende Ruhe:Eingehüllt in weiße Einsamkeit

Lesezeit: 2 min

Skitourengeher entdecken abseits präparierter Pisten eine fremde und bezaubernde Winterwelt.

Von Saskia Engelhardt

Es ist sechs Uhr an einem Samstagmorgen. Viel zu früh, um schon im Auto in Richtung Berge zu sitzen. Um eine Skitour zu gehen, bei diesem Wetter. Grauer Schneematsch häuft sich am Straßenrand. Der Himmel über München ist verhangen, nur schwer dringen die schwachen Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Die Stadt strahlt trist und kalt.

(Foto: Foto: AP)

"Warum habe ich mich nur breitschlagen lassen?", frage ich mich müde. Auf dem Programm steht Skitouren gehen, im Münchner Hausbergskigebiet Spitzingsee. Genauer gesagt über den Lämpersberg auf die Rotwand. Die anderen sind alles erfahrene und ausdauernde Tourengeher. Für mich ist es das erste Mal. Ich bin leicht nervös und besorgt um meine Kondition, bin verschlafen und habe etwas Selbstmitleid. Gestern noch war ich Feuer und Flamme, gestern noch haben mich die Worte meiner Kumpels überzeugt.

Sie gehen im Winter fast jedes Wochenende eine Skitour - auf den Hirschberg über dem Tegernsee, auf die Lacherspitze im Mangfallgebirge oder sie überschreiten die Nagelfluhkette im Allgäu. Immer abseits des Pistenrummels, weit entfernt von Skibars und grölenden Antons aus Tirol.

Ihre Augen leuchten, wenn sie von der weißen Einsamkeit erzählen, von der berauschenden Stille in den verschneiten Bergen. "Das Selbstbewusstsein wächst, Weite und Ruhe inspirieren. Es ist der beste Weg, sein inneres Chaos ins Gleichgewicht zu bringen", lauten ihre überzeugenden Argumente.

Wilde, unberührte Natur

Zwei Stunden später bohren sich meine Stöcke knirschend in den Schnee. Ich versuche meine ersten Schritte mit freier Ferse. Kurzfristig eine wackelige und ungewohnte Angelegenheit. "Heb' die Ski nicht hoch beim Laufen, sondern zieh sie gemächlich über den Boden und mach einen große Schritte", rät man mir. Ich marschiere weiter, in großen Schritten und finde - so wie man mir weiter geraten hatte - meinen Rhythmus. Die Autos bleiben hinter uns, vor uns liegt wilde, unberührte Natur.

Schwer ruht der Schnee auf den Zweigen und kleidet die Bäume in ein dickes Winterkleid. Jede noch so kleine Tannennadel ist vom frostigen Weiß bedeckt. Langsam gewinnt die Sonne und bohrt sich ihren Weg durch die Wolken. Die Gruppe ist still geworden. Einer nach dem anderen folgt in Gedanken versunken der Spur im Schnee. In goldfarbenen Schattierungen fällt das Licht schräg durch die Bäume. Der Wald schweigt, die Schneekristalle funkeln. Ich tauche ein in eine fremde, aber bezaubernde Winterwelt.

Unbekannte Stärken und Kraftreserven

Tock. Tock. Tock - das monotone Klackern der Bindung holt mich aus der Phantasie zurück in den Schnee. Ich halte mich gut, bin ein wenig stolz und genieße die Bewegung, die klare Luft. Knapp drei Stunden sind vergangen, auf mich wartet der Schlussanstieg. Mittlerweile untermalen unsere pumpenden Atemzügen die knirschende Melodie. Ein Schritt - einatmen, ein Schritt - ausatmen. Am Horizont präsentieren sich die Alpengipfel wie die Spitzen auf einer Baisertorte. Der Schnee funkelt betörend in der Mittagssonne. Ich bin wieder mit mir selbst beschäftigt. Höre in mich hinein, entdecke unbekannte Stärken und Kraftreserven. Meine Beine tragen mich weiter im Zickzack nach oben.

Am Gipfel bin ich die letzte, aber das macht nichts. Das Endorphingewühl in meinem Körper will lautstark auf sich aufmerksam machen. Ich reiße die Arme hoch und stoße einen jubelnden Jauchzer aus. Komme mir kindisch vor, aber auch das ist egal.

Jetzt liegt noch die Abfahrt über den unberührten Hang vor mir. Meine ersten beiden Kurven reduzieren sich auf ein fröhliches Purzeln. Dann habe ich auch hier meinen Rhythmus gefunden und schwinge durch den Pulverschnee. Hopp, hopp, hopp. Ich bin mit dem Schnee alleine, eingehüllt von weißer Einsamkeit und befreiender Stille. Bestimmt werde ich wieder so früh aufstehen. Vielleicht schon am nächsten Wochenende.

Skitouren-Kurse bietet beispielsweise der DAV Summit Club an (www.dav-summit-club.de) oder lokale Bergführerbüros.

© SZ vom 15.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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