Beirut in Aufbruchstimmung:Blingbling meets Bürgerkrieg

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Einkaufen ohne an die Vergangenheit zu denken: Diese Unbeschwertheit wünschen sich viele Libanesen. (Foto: AFP)

Mit schicken Ausgehvierteln, modernen Galerien und westlichen Boutiquen versucht Beirut, den Staub der Kriege abzuschütteln. Nicht alles ist dabei Fassade.

Von Frederik Obermaier

Die Schüsse haben Jesus knapp verfehlt. Die Kugeln sind an seiner Schulter vorbeigezischt, an seinem Heiligenschein vorbeigeschrammt. Jesus hat den Mob überlebt, der in die Kirche gestürmt war, und die Männer mit ihren Gewehren, die wild umhergeballert haben. Jesus hat den libanesischen Bürgerkrieg überlebt. Und allein das macht ihn zur Attraktion.

Von den schicken Hotels in Beiruts Innenstadt ist es nicht weit zur St.-Georg-Kathedrale mit dem Jesus-Mosaik samt Einschusslöchern. Sie liegt nur ein paar Schritte vom berühmten osmanischen Glockenturm und dem großen Serail entfernt und zeigt Beiruts Umgang mit seiner Geschichte: Das blutige Erbe wird vereinnahmt, aber nicht übertüncht. Es ist überall zu sehen, man kann es einfach nicht vergessen. Dafür ist zu viel passiert.

Der Krieg war in Libanons jüngerer Vergangenheit Alltag. Von 1975 bis 1990 bekriegten sich die Libanesen untereinander. Sunniten kämpften gegen Christen, Kommunisten gegen Nationalisten. Die Fronten verliefen quer durch alle Bevölkerungsschichten, sogar quer durch die Hauptstadt.

Die "grüne Linie" zerteilte Beirut in zwei Teile, den muslimischen Westen - und den christlichen Osten. Genau dort steht die St.-Georg-Kathedrale. Sie ist benannt nach dem Heiligen Georg, er soll einst nicht weit von Beirut geboren worden sein. Nach ihm ist auch das St.-Georges-Hotel an der Zaitunay-Bucht benannt. In dem mondänen Altbau stiegen einst Premiers und Prinzen ab, Brigitte Bardot genoss auf der Terrasse die Sonne ebenso wie David Rockefeller. Die Klatschblätter waren voll davon. Das war in den goldenen Zeiten der Stadt. Vor dem Bürgerkrieg.

Heute steht das Hotel leer. Der Beachclub samt Pool ist zwar geöffnet, aber der Rest liegt brach. Eingerüstet wartet das einstige Kulthotel auf einen Investor, der es renoviert. Einen Liebhaber, der unter Staub und Schutt der Kriege den einstigen Glanz hervorzaubert. Wenn es denn je so weit kommt.

"Ach wissen Sie", sagt Mohamed Malik, der mit seiner Freundin auf der neu gestalteten Promenade von Zaitunay Eis isst und den Yachten hinterherträumt, "das St. Georges-Hotel steht für das alte Beirut, das es vor dem Krieg gegeben hat. So wie damals wird es aber nie wieder." Zu tief seien die Wunden, zu viel sei passiert. Die reichen Araber sind zwar wieder da, auch der Jetset. Und trotzdem ist es nicht wie früher. Maliks Freundin zum Beispiel, eine junge Frau mit faszinierend braunen Augen, trägt eine goldene Kette im Ausschnitt - daran baumelt eine Patrone, an der Spitze ein Strasssteinchen. Blingbling meets Bürgerkrieg.

Nur wenige Meter weiter, auf der Straße vor dem St.-Georges-Hotel züngeln bronzene Flammen gen Himmel. Ein Künstler hat sie entworfen, sie sind das Mahnmal eines Mehrfachmordes. Sie erinnern an Rafik al-Hariri, den gleichermaßen verhassten und verehrten Ex-Ministerpräsidenten Libanons. Am 14. Februar 2005 fuhr er mit Konvoi am Hotel St. Georges vorbei, als eine Bombe ihn und 22 andere in den Tod riss. Es war ein Anschlag auf Hariris Politik, aber auch auf den Tourismus. Die Wucht der Explosion drückte beim gegenüberliegenden Hotel Phoenicia die Scheiben ein, Glassplitter flogen durch die Lobby, etliche Zimmer waren verwüstet.

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Die Schäden sind längst beseitigt, zumindest ein Teil der Gäste ist wieder zurückgekehrt. Im Restaurant Eau De Vie im elften Stock lassen sie sich Foie gras und Hummer servieren. Sie sitzen in tiefen Sesseln, vor schweren Vorhängen - und blicken aufs Mittelmeer, die Lichter des nächtlichen Beirut - und das leer stehende Gebäude nebenan. Wie ein Zahn ragt es in den Himmel, an den Wänden sind Einschläge von Mörsergranaten zu sehen. Ein Überbleibsel aus dem Bürgerkrieg. "Aber macht das nicht den Charme Beiruts aus?", fragt Janet Abraham, die Marketing-Direktorin des Phoenicia-Hotels.

Eine Antwort wartet die gestrafft-blondierte Mittfünfzigerin gar nicht ab. Lieber schwärmt sie von den Boutiquen und Galerien Beiruts, von der nahen Tropfsteinhöhle Jeita Grotto, der Kreuzfahrerzitadelle Byblos und den nahen Bergen. "Sie können an einem Tag Ski fahren und nachmittags im Meer baden." Es sind Sätze wie aus einem Hochglanzprospekt - und Orte, die schon vor dem Krieg in jedem Reiseführer standen. Es ist die schöne Fassade Beiruts. Die Tourismusstrategen würden am liebsten nur davon sprechen. Der Bürgerkrieg ist schließlich vorbei. Die Erinnerungen aber bleiben - trotz der schönen Fassade.

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Neben dem Märtyrer-Platz etwa, unweit der Zelte, in denen Hariris Sarg auf Blumen gebettet liegt, entstehen gerade neue Boutiquen. Überall wird gehämmert, geschweißt und übertüncht. Elie Saab, der berühmte libanesische Modedesigner, hat schon vor Jahren in der Nähe sein Geschäft eröffnet. Nur ein paar Hundert Meter davon ist ein Boutiquen- und Galerienviertel entstanden. Es ist eine schöne neue Welt mit dem Charme eines Outletcenters. Die reichen Libanesen kommen trotzdem. "Hier soll man einkaufen können, ohne an die Vergangenheit zu denken", sagt die Verkäuferin in einer Galerie. Sie verkauft überstrickte Waschmaschinen und Kloschüsseln als Stühle. Kunst zum Verdrängen.

Das Gegenprogramm findet sich ein paar Kilometer südlich, im Baabda-Viertel, vor dem libanesischen Verteidigungsministerium: Hier steht zehnstöckige Kunst zum Erinnern - und gegen das Vergessen. Der Franko-Amerikaner Armand Fernandez, ein Vertreter des Nouveau Réalisme, hat hier sowjetische Panzer und Geschütze gestapelt und einbetoniert. 30 Meter ragt der Turm in den Himmel, Kanonenrohre starren den Besucher an, sie drohen und sie mahnen. "Hoffnung auf Frieden" hat Armand sein Werk genannt, 1995 wurde es eingeweiht. Nach dem Bürgerkrieg, der, wie manche Libanesen sagen, eigentlich nie zu Ende gegangen ist.

Kunst ist für viele Libanesen ein Ventil. Sie erlaubt Verarbeitung des Erlebten, auch Kritik an den Verantwortlichen, sie ist eine Art Therapie. Das Land ist traumatisiert, und die Kunst boomt. Beirut hat sich als Kunstmetropole etabliert. In Galerien wie Tanit im Viertel Mak Mikhael findet sich moderne Kunst, wie sie auch in westlichen Pinakotheken hängen könnte. Reiseführer loben Galerien wie Agial oder die Sfeir-Semmler-Galerie, das künstlerische Herz jedoch pocht in den Vororten.

Etwa im Industriegebiet Quarantina, in einer alten Möbelfabrik: dem Beirut Art Center. "Wir haben hier einen Platz geschaffen für experimentelle Kunst", sagt die Führerin. Für jene Kunst also, deren Wert man nicht unbedingt in Geld bemessen kann. Der Fotograf und Installationskünstler Eric Baudelaire zeigte hier jüngst seine Ausstellung "Now Here Then Elsewhere" - eine Mixtur aus Videoinstallationen und Drucken zur Japanischen Roten Armee, die in den Siebzigerjahren Dutzende Menschen tötete - und schließlich in Libanon untertauchte.

Es ist Kunst, die einen nahezu unbekannten, aber nicht minder blutigen Teil der libanesischen Vergangenheit aufarbeitet. Beispielhaft ist hier aber eine ganz andere Galerie. Sie liegt nicht etwa im schicken Ausgehviertel Gemmayze, der Einkaufsstraße Hamra oder in den hippen Industrieparks, nein, sie liegt dort, wo die Hisbollah das Sagen hat: im schiitisch geprägten Stadtteil Haret Hreik. Viele Beiruter waren hier noch nie, es ist ein verrufener Ort, einige Taxifahrer wollen gar nicht hin. Der Weg führt vorbei an Bombenkratern, pockigen Wänden. Hinter der Al-Mahdi-Moschee liegt The Hangar: Ursprünglich eine große Fabrikhalle, ist es heute eine der ambitioniertesten Galerien der Stadt.

Gegründet wurde das Kunstzentrum von Umam Documentation and Research, einer lokalen Nichtregierungsorganisation, unter anderem geleitet von der deutschen Journalistin und Filmemacherin Monika Borgmann. Das Zentrum sammelt graue Literatur, Bücher also, die in herkömmlichen Bibliotheken nicht zu finden sind. Bücher der einstigen Kriegsgegner. Im Hangar zeigt Umam wechselnde Ausstellungen, vor der Halle steht hinter einem roten Vorhang das berühmteste Exponat des Kunstzentrums: ein Bus, Baujahr 1960, verrostet, zerfleddert, zerschossen. Am 13. April 1975 fuhr er durch die Straßen Beiruts. Drinnen saßen Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Christliche Falangisten nahmen sie ins Visier - und durchlöcherten den Bus. Fast 30 Menschen starben. Es war der Beginn des libanesischen Bürgerkriegs.

Informationen

Anreise : Direktflug mit Lufthansa von Frankfurt nach Beirut hin und zurück ab 405 Euro pro Person, www.lh.de; von Berlin mit Germania hin und zurück ab 368 Euro pro Person, www.flygermania.de

Unterkunft : Hotel Phoenicia, DZ mit Frühstück ab 310 Euro pro Person, www.phoeniciabeirut.com; Hotel Le Vendôme, DZ inklusive Frühstück ab 270 Euro pro Person, www.levendomebeirut.com

Weitere Auskünfte : Informationen zu Sehenswürdigkeiten in Beirut: www.travel-to-lebanon.com

© SZ vom 08.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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