Detox-Urlaub:Kur Royal

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Yoga-Übung samt Entgiftungsdrink in Reichweite, das gehört zum festen Programm in den sogenannten Well-Clinics. Illustration: Stephanie Wunderlich (Foto: N/A)

Dinkel und Drainage de luxe: Wer es sich leisten kann, checkt im Urlaub in der "Well Clinic" oder im "Medical Spa" ein. Über den Boom der Gesundheitshotels.

Von Tania Messner

Wer noch vor wenigen Jahren seinen Urlaub in einem Gesundheitshotel verbrachte, schwieg meistens darüber. So etwas nannte sich Kur, ein Wort, dem man die Unzulänglichkeiten des eigenen Körpers regelrecht anhört. Übergewicht, Bluthochdruck, schlechte Cholesterinwerte - alles schambehaftete Themen. Die Orte, an denen man gegen sie ankämpfte, standen im sozialen Ranking zwischen Krankenhaus, Altersheim und den Weight Watchers. Wer zur Kur musste, hatte die Kontrolle über sein Leben verloren.

Dieses Image hat sich nicht nur gewandelt, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Zumindest was die neuen, luxuriösen Gesundheitshotels angeht. Sie nennen sich heute natürlich ganz anders: "Well Clinics" oder "Medical Spas", beispielsweise der Lanserhof Tegernsee (mit "Energy Cuisine" nach F.X.Mayr!) oder die SHA Clinic bei Alicante (Makrobiotik!). Wer dorthin fährt, übernimmt die Kontrolle über sein Leben, nicht nur im Erschöpfungs- oder Krankheitsfall, sondern präventiv. Übersetzt in die Business-Sprache könnte man sagen: Diese Orte wollen Teil der Lösung sein. Keinesfalls Teil des Problems.

Bequemes aus Kaschmir beherrscht das Bild

Dennoch bedeutet das zuerst einmal: loslassen. Es sind zwar kostspielige Edeleinrichtungen, in die man sich da begibt, aber zum Frühstück und Mittagessen erscheinen die Gäste gerne im Bademantel, die Gesichter blass, die der Frauen meist ungeschminkt. Diät-Speisen in mikroskopischen Portionen werden hübsch arrangiert und wie Sternemenüs kredenzt. Bequemes aus Kaschmir beherrscht das Bild, auch im Hochsommer - die meisten wollen abnehmen, durch den Kalorienmangel wird hier permanent gefroren.

Die ausführliche Beschäftigung mit den eigenen Körperfunktionen hat natürlich gerade in diesem luxuriösen Rahmen etwas Absurdes. Im Lanserhof prosten sich zwei Russinnen im Aufzug mit ihren Bittersalzgläsern zu, deren Inhalt eine Darmentleerung einleiten soll. Der Designer Rolf Sachs erscheint jeden Tag in einem anderen pastellfarbenen Sarong und sorgt für textile Abwechslung. Es braucht schon ein bisschen Selbstironie, um die Enthaltsamkeit genießen zu können.

Denn Entgiften ist anstrengend, der Terminkalender voll. Detox-Drainage, Bio-Impedanz-Analyse, Hydrotherapie, Blut-, Harn- und Hormon-Profil, Solebad oder Saunarium bei 55 Grad mit Minz-Menthol-Duft: Das sind nur einige Stationen auf der "Reise zu sich selbst", wie der Lanserhof für sein "Med Concept" wirbt. Zusätzlich zu den Anwendungen - so hieß das früher mal, im Kur-Vokabular - lassen sich die Gäste durchchecken von Fachärzten der Orthopädie, Gynäkologie, Neurologie, der Gefäßmedizin und Psychologie.

"Wir beobachten seit Jahren, dass Gesundheit immer mehr zum Luxus wird", erklärt Nils Behrens, einer der drei Geschäftsführer der Lanserhof-Gruppe. Die Filiale am Tegernsee wurde gerade zum "World's Best Medical Spa" gekürt, im Stammhaus in Lans bei Innsbruck gehören Altkanzler Gerhard Schröder oder die BMW-Eignerin Susanne Klatten zur prominenten Klientel.

Luxusurlaub bedeutet Partys und Champagner am Pool? Diese Zeiten sind vorbei

Gesundheit und jugendliches Aussehen sind Statussymbole geworden, gerade weil sie nur zum Teil genetisch bedingt sind. Von einem gewissen Alter an ist ein schlanker, trainierter Körper nur mit viel Zeiteinsatz und Disziplin zu halten. Oder man hat das nötige Geld für die effektive Instant-Auffrischung. Die Gäste im Lanserhof kaufen sich Fitness - das ist schließlich auch angenehmer, als permanent daran zu arbeiten. Im Grunde wäre das, was ihnen die Treatments bieten, auch zum Nulltarif zu haben: durch regelmäßige Bewegung, bewusstes Essen, wenig Alkohol.

Doch wer sich im Beruf täglich unter Alphatieren beweisen muss, hat womöglich abends nicht mehr die Energie, auch noch den inneren Schweinehund niederzuringen. Und genau darin liegt auch das soziale Prestige beim Einchecken in einer Well Clinic: Die Mühen eines gesunden, einigermaßen straffen Körpers sourct man einfach aus. Ganz neue Berufszweige sind dadurch entstanden, Personal Trainer, Ernährungsberater - und eben Institutionen wie die Wohlfühlkliniken.

"Noch vor wenigen Jahren galt es als Luxusurlaub, wenn man an einen schicken Ort fuhr, Champagner trank und feierte" erklärt Alejandro Bataller, Vizepräsident der spanischen SHA Clinic und Sohn des Gründers. Seine Gäste sind wohlhabende Menschen, die sich nahezu alles leisten könnten, "aber am Ende des Tages wollen sie vor allem gesund sein und etwas aus dem Urlaub mitnehmen, das ihr Leben verbessert".

Sich in Schuss zu halten gehört mittlerweile ja quasi zur Bürgerpflicht. Auch und erst recht im Urlaub. Rauchen, All-you-can-eat-Buffet, am Pool liegen und Schirmchendrinks schlürfen: In der Optimierungsgesellschaft geht so etwas allenfalls noch als Prekariatsentspannung durch. Stress und Arbeitslast werden immer mehr, verdichten sich auf immer weniger Zeit - wer täglich unter hohem Druck funktionieren muss, bei dem dreht sich oft auch in der raren Freizeit alles um die eigene Leistungsfähigkeit. Urlaub in einem Medical Spa? Bei vielen Gästen geht es eher um den Kampf gegen Burn-out und Überforderung.

Beseelt denken die Gäste an das Wunder der eigenen Verdauung

Im Lanserhof sind die Tage kurz, spätestens um 22 Uhr zieht man sich in seine Suite zurück. Davor machen die Gäste Selfies mit dem Küchenchef, der ihnen beibringt, einen Mini-Burger aus Dinkelsemmel, Birnen sowie einer teelöffelgroßen Portion Kalbfleisch zu konstruieren. Die Vorträge der Ärzte über Regeneration oder ganzheitliche Medizin sind eine gute Gelegenheit für heikle Zwischenfragen. "Ein bis zwei Gläschen Champagner müssten bei einem Abend-Event drin sein, oder was sagen Sie, Herr Doktor?", fragt ein gepflegter Herr Ende fünfzig. Der Arzt erlaubt den Alkohol, warnt jedoch: "Gesundheit ist kein Besitz, sondern ein Prozess!" Artig notieren die Zuhörer das in ihr Heftchen, gleich unter den Spruch "Der Darm ist das zweite Gehirn". Über solchen Erbauungssätzen schließen die Gäste später unter Decken aus ägyptischer Bio-Baumwolle die Augen, eine warme Bettflasche auf der Leber, während sie beseelt an das Wunder der eigenen Verdauung denken.

Man könnte vermuten, dass der Well-Clinic-Trend in den USA entstanden ist, doch alles begann in Europa. Das Brenners Park Hotel & Spa in Baden-Baden gilt als ein Vorreiter moderner Gesundheitshotels. "Anfang 2000 wuchs das Medical-Spa-Konzept mit hinein, weil klar wurde, dass diese Themen dem Zeitgeist entsprechen", sagt die Sprecherin Barbara Göhner. Anfangs wirkte die Verbindung recht exotisch, weil eine Kur noch für etwas Medizinisches stand, für das, was Krankenkassen den Arbeitnehmern zahlten, wenn sie sich im Dienst der Solidargemeinschaft halb tot geschuftet hatten. Die Reichen entspannten sich damals auf Partys in St. Tropez und ahnten nicht, wie überholt ihr Lifestyle einmal werden sollte.

Auch das Parkschlösschen in Traben-Trarbach widmet sich schon lange dem Thema Ayurveda und gilt weltweit als eine der besten Adressen. "In den vergangenen drei Jahren wurden wir fast überrannt" sagt Carina Preuß, die 29-jährige Tochter der Hotelgründer. "Als ich in der Schule war, galt Ayurveda noch als esoterisch und peinlich. Heute gewinnen wir Spa Awards." Im Parkschlösschen an der Mosel gibt es weder eine Hotelbar noch Nüsschen auf dem Zimmer. Trotzdem hat es fünf Sterne.

Und der Preis für so viel selbst erzwungene Enthaltsamkeit? Eine Woche Aufenthalt in einem Gesundheitshotel startet bei etwa 6000 Euro, je nach Hotel, Programm und Suite kommen aber schnell 50 000 bis 60 000 Euro für eine Person zusammen. Auch deswegen funktioniert ein Gespräch über die segensreiche Wirkung eines Aufenthalts im Lanserhof oder der SHA Clinic nach geheimen Erkennungszeichen. Mitarbeitern oder Bekannten erzählt man beiläufig von einer Fastenkur, das klingt bescheiden. Nur unter Gesinnungsgenossen kann man fallen lassen, welche Summen man investiert hat - die anderen wissen ja, was sie sich Gesundheit und Schönheit kosten lassen. Tatsächlich suchen verwöhnte Kunden vor allem in Europa eher nach echter Qualität als nach sichtbaren Statussymbolen. Topmodels und erfolgreiche Geschäftsführer reisen ebenso in Well-Clinics wie Scheichs, Adelige oder Spitzensportler.

Falschen Marmor, Wandbemalung in Wischtechnik und klassizistische Fresken in den Nassbereichen sucht man also vergebens

Der große Unterschied zum gemütlichen Wochenende im Wellness-Hotel, neben der medizinischen Betreuung und dem Preis: Well-Clinics sind deutlich zurückhaltender eingerichtet, frei von aufdringlichem Design und weitläufig angelegt. Was auch daran liegt, dass die Gäste oft wochenlang bleiben, während sie in einem klassischen Fünf-Sterne-Haus meist nur für ein paar Tage absteigen. Falschen Marmor, Wandbemalung in Wischtechnik und klassizistische Fresken in den Nassbereichen sucht man also vergebens. Alles ist pur, klar, zurückhaltend, eben eine zeitgemäße Form des Luxus. Ist ja irgendwie auch ganzheitlich, wenn sich die Sehnerven entspannen können, während einem in Weiß gewandete Therapeuten den Darm durchspülen.

"Visual detoxing" wird das im Lanserhof genannt, es hängt kein einziges Bild an den Wänden, dafür sind alle Materialien hochwertig. "Wir haben sogar besonders feines Leder benutzt, um den Fahrstuhl auszukleiden", merkt Geschäftsführer Nils Behrens an. Auf jeden Gast kommen hier im Schnitt 300 Quadratmeter Raum, 21 000 Quadratmeter sind es insgesamt. "Sogar unsere Flure sind enorm breit, fast drei Meter, rein wirtschaftlich betrachtet purer Wahnsinn", so Behrens. Die Architektur des Lanserhofs wurde an ein Kloster angelehnt. Das ist durchaus metaphysisch aufzufassen, wenn man bedenkt, dass gesund essen und leben vielen als Ersatzreligion dient.

"Eigentlich ist es absurd", scherzt ein Düsseldorfer Geschäftsmann, der sich nach anfänglicher Skepsis und "Kurkrise" am dritten Tag fit fühlt wie lange nicht mehr. Während er beim Frühstück einen winzigen Bissen Dinkelsemmel vorbildlich 30 Mal zu Brei kaut, sagt er: "Je weniger man zu essen bekommt, desto teurer wird es."

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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