Bahn-Verspätungsanalyse der SZ:Im Netz der Problemzonen

Die Bahn kommt - zu oft zu spät. Wieso? Wo liegen die Schwachstellen des Fernverkehrs in Deutschland? Die SZ wollte es genau wissen: Seit Monaten werden Millionen Pünktlichkeitsangaben, die der Konzern im Internet macht, in einer Datenbank mitprotokolliert. Eine erste Auswertung legt nun die Problemzonen offen und macht klar: Es ist viel zu tun.

Daniela Kuhr und Stefan Plöchinger

Lange war die Pünktlichkeit der Bahn ein Geheimnis. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen es selbst gelüftet. Seit September veröffentlicht der Konzern jeden Monat die Verspätungsquote seiner Züge, getrennt nach Nah- und Fernverkehr. Damit kam die Bahn einer von Verbraucherschützern immer wieder erhobenen Forderung nach. Doch die SZ wollte es genauer wissen. Welche Strecken sind am anfälligsten? Wer ist schuld an den Verspätungen? Was sind die häufigsten Gründe? Wo liegen die Schwachpunkte im Netz?

Antworten auf diese Fragen erhält man, wenn man die Daten, die die Bahn selbst auf ihrer Internetseite veröffentlicht, über einen längeren Zeitraum systematisch sammelt und auswertet. Die SZ hat das getan (Details dazu...), für alle Fernverkehrsbahnhöfe Deutschlands - und hat nun erste Ergebnisse ausgewertet.

Und noch mehr: Nutzer können unter zugmonitor.sueddeutsche.de ab sofort live die Züge auf Deutschlands Schienennetz verfolgen, farblich markiert nach Verspätungen, Gründe und Echtzeit-Statistik inklusive. Die interaktive Karte, hinter der eine riesige Datenbank liegt, kann bis Oktober 2011 zurückgespult und durchsucht werden - ein Ziel ist mehr Transparenz im Bahnverkehr.

Deshalb auch veröffentlicht die SZ die Datengrundlage für die jetzige Auswertung. Jeder Nutzer kann nachvollziehen, wie die Daten zustandekommen, und in ihnen störbern (Details und Download...). Die Erkenntnisse der Analyse im Überblick:

[] Wo liegen die ICE-Problemtrassen?

Auf der SZ-Deutschlandkarte (interaktive Grafik siehe oben) dunkelrot markiert sind jene Zugverbindungen zwischen zwei Städten, auf denen es entweder besonders häufige oder besonders starke Verspätungen gibt. Auf der Schnellstrecke Hamburg - Berlin kommt beides zusammen: 17 Prozent unpünktliche Züge und 18 Minuten Durchschnittsverspätung weist die Datensammlung aus. Die große Nord-Süd-Achse über Fulda, Kassel und Göttingen ist ähnlich belastet, mit 19 bis 21 Prozent und gut 12 Minuten Verspätung. Auf den Anschlussstrecken nach Würzburg und Frankfurt im Süden sowie Hannover und Berlin im Norden sieht es kaum besser aus. Diese zentrale Trasse, Deutschlands erste große ICE-Neubaustrecke, ist für den Verkehr offenbar nicht mehr richtig gerüstet.

Und auch auf der jüngeren zwischen Frankfurt und Köln gibt es große Probleme. Die Verbindung Frankfurt/Flughafen - Siegburg/Bonn ist demnach zu 20 Prozent verspätet, im Schnitt um 12 Minuten. Andere große Verbindungen wie Berlin-Hannover-Nordrhein-Westfalen oder Frankfurt-Erfurt sind ebenfalls im obersten Viertel der verspäteten ICE-Einzelstrecken. Prominente belastete Trassen in Süddeutschland: Aschaffenburg - Nürnberg - München oder auch Frankfurt - Stuttgart - München. Besser schneiden kürzere Trassen im Süden, Osten und in Nordrhein-Westfalen ab, wo sich Verspätungen weniger aufschaukeln können.

[] Welche Städte trifft es besonders?

Auslandsreisen sind wie Nachtreisen kein Vergnügen, was Pünktlichkeit angeht, zeigt die Auswertung: Wer nach Frankreich, Dänemark, Polen oder in die Niederlande reist, steht häufig im Bahn-Stau; eher selten ist das bei Reisen in die Schweiz der Fall. Doch auch innerhalb Deutschlands zeigen sich enorme Unterschiede. Rheinland-Pfalz mit der alten Rheintrasse, die stark vom Güterverkehr beansprucht wird, ist mit dem Grenzland Schleswig-Holstein Schlusslicht: 16 respektive 13 Prozent aller Fernzüge (ICE und andere) sind verspätet, und zwar im Schnitt um 13 beziehungsweise 17 Minuten. Aufschlussreich ist die Aufschlüsselung nach Städten: Neben den Bahnhöfen an den großen ICE-Trassen sind Bonn, Koblenz und Mainz an der Rheinschiene stark betroffen sowie Bremen, Osnabrück und Münster an der Verbindung von Hamburg ins Ruhrgebiet (Details in der Einzelgrafik oben).

[] Wie akkurat sind die Daten?

Es wurden exakt die Daten verwendet, die die Bahn selbst auf ihrer Internetseite bahn.de unter "Ist mein Zug pünktlich?" veröffentlicht. Diese Daten sind allerdings nur Prognosen, da sie vorrangig dazu dienen, die Fahrgäste darüber zu informieren, ob sie sich beispielsweise auf dem Weg zum Bahnhof noch Zeit lassen können oder nicht. Die angegebenen Zeiten sind daher eher zu kurz als zu lang, damit nicht der Fahrgast am Ende nur wegen dieser Angaben den Zug verpasst. Außerdem werden dort nur Fünf-Minuten-Intervalle veröffentlicht - genau so, wie es auch auf den Anzeigetafeln an den Bahnsteigen erfolgt oder bei der App, die die Bahn für Smartphone-Nutzer anbietet.

In seiner eigenen Pünktlichkeitsstatistik, die das Unternehmen seit September monatlich veröffentlicht, arbeitet es dagegen mit den tatsächlichen Verspätungsdaten, die es minutengenau vom Schienennetz übermittelt bekommt, wann immer ein Zug bestimmte Messpunkte überfahren hat. Der SZ-Zugmonitor arbeitet also mit etwas weniger akkuraten Daten, die mehr Pünktlichkeit suggerieren als tatsächlich zutrifft. Dafür aber bietet er rund um die Uhr bundesweit einen Überblick über die aktuelle Verspätungslage bei der Bahn.

[] Was sind die häufigsten Ursachen für Verspätungen?

Zu den häufigsten Erklärungen, mit denen das Unternehmen auf seiner Internetseite die einzelnen Verspätungen begründet, zählen Bauarbeiten, Gleiswechsel oder Signalstörung. Auch "technische Störung am Zug" oder "verspätete Bereitstellung" tauchen sehr oft auf. Bei ungefähr neun von zehn angegebenen Verspätungen legen die Daten den Verdacht nahe, dass die Bahn selbst die Verzögerung zu verantworten hat - und nicht etwa Unfälle, Randalierer oder ausgebüchste Tiere (Detailzahlen in der Grafik oben).

Allerdings täuscht das. So kann für den Spitzenreiter "Verspätung eines vorausfahrenden Zugs" durchaus ein Notarztwageneinsatz an einer ganz anderen Stelle im Netz verantwortlich sein. Auch die "Signalstörung" kann beispielsweise durch Vandalismus ausgelöst worden sein, wie im vergangen Mai in Berlin, als ein Brandanschlag zeitweise den gesamten Nah- und Fernverkehr beeinträchtigt hatte. Fragt man die Bahn selbst zu den Ursachen, fällt die Antwort so aus: Grob geschätzt seien für etwa ein Drittel der Verspätungen Mängel bei der Infrastruktur verantwortlich, für ein weiteres Drittel Probleme mit Zügen, und das letzte Drittel werde durch äußere Einflüsse verursacht wie die Witterung, Tiere oder Personen im Gleis. Im Internet könne sie jedoch keine längeren Ausführungen machen, zumal die Angaben auch für Smartphone-Bildschirme kurz genug sein müssen.

[] Was unternehmen Bahn und Bund?

Eine gut ausgebaute Infrastruktur ist die entscheidende Voraussetzung für pünktliche Züge. Doch häufig fließt das Geld, das der Bund für das Schienennetz zur Verfügung stellt, in unsinnige Prestigeprojekte statt dahin, wo die wahren Engpässe liegen. Zwar betonen sowohl Bund als auch Bahn, dass sie das ändern wollen, doch wie ernst sie es damit meinen, muss sich erst noch zeigen. Bis 2016 will die Bahn insgesamt fast 50 Milliarden Euro investieren: zwei Drittel in die Infrastruktur und ein Drittel für Fahrzeuge und Qualitätsverbesserungen.

Derzeit übrigens ist das Unternehmen geradezu sensationell pünktlich. Schon bald aber wird sich das ändern: Denn nach den Wintermonaten wird nicht nur der Güterverkehr zunehmen, sondern auch wieder mehr gebaut. Zwar versucht die Bahn, so viele Baustellen wie möglich in den Fahrplan miteinzuarbeiten. Doch nicht immer wird das gelingen. An Spitzentagen wird es bis zu 700 Baustellen gleichzeitig im Netz geben.

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