Acht Städte, acht Taxis:"Mutig, hier einzusteigen!"

Lebensretter und Lebensgefahr, Weisheiten und sogar Weihnachtsgeschenke - wer in den Städten dieser Welt ein Taxi nimmt, muss auf alles gefasst sein - acht Episoden.

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Quelle: AP

Lebensretter und Lebensgefahr, Weisheiten und sogar Weihnachtsgeschenke - wer in den Städten dieser Welt ein Taxi nimmt, muss auf alles gefasst sein - acht Episoden.

Kalkutta

Das bestellte Taxi, es kommt und kommt nicht. 35.000 gelbe Ambassador-Taxis gibt es normalerweise in Kalkutta. Nur jetzt, wenn's pressiert, weil der Flieger nicht wartet, kein einziges. Weil es vier Uhr nachts ist, wird der erste Amby, der um die Straßenecke biegt, unbesehen genommen: "Airport - quick!" Diese dringliche Ansage wird man jedoch sogleich bereuen. Denn am Wagen ist außer der Hupe und dem Motor kaum etwas funktionstüchtig. Dass die Scheinwerfer kein Licht hergeben, scheint den Fahrer nicht zu kümmern. Die Straßenbeleuchtung fällt nachts schließlich auch sehr bescheiden aus, und an den großen Kreuzungen sind die Ampeln auf Blinklicht umgestellt. Für den Fahrer heißt das: hupen und Gas geben.

Sein Tempo wird erst durch einen Lastwagen gebremst, der ebenfalls hupend aus einer Seitenstraße herausgeschossen kommt. Der Kamikazetaxler gibt gleich wieder Gas, setzt auf der Stadtautobahn umgehend zum Überholen an und wechselt hierzu auf die Gegenfahrbahn. Nur, was zum Teufel macht dort ausgerechnet eine Herde schwarzer Ziegen mitten in der Nacht? Selbst wenn man versucht, auch jetzt noch Ruhe zu bewahren, weil man fest darauf hofft, dass auch der Taxilenker diese Fahrt überleben möchte, schickt man an jeder weiteren Kreuzung ein Stoßgebet zum Himmel.

"Airport - quick", sagt der Fahrer schließlich stolz, als er vor der Abflughalle eine Vollbremsung hinlegt und noch jede Menge Zeit zum Einchecken bleibt. Die Gelassenheit eines Hindu wird man jedoch niemals erreichen. Für sie ist das ganze Leben wie eine endlose Taxifahrt: einsteigen, aussteigen, umsteigen - und im nächsten Leben auf eine Verbesserung hoffen.

Margit Kohl

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Acht Städte, acht Taxis:Cairns

Qualle

Quelle: AP

22 Stunden Flug nach Australien und keine Ahnung mehr, wo oben und unten oder wie spät es überhaupt ist. Jetzt erst einmal ins Wasser springen, Dunkelheit hin oder her. Das Hotel liegt an einer ruhigen Bucht von Cairns, und Cairns liegt am Pazifik. Das heißt: Tropen, Great Barrier Reef, Goldküste, und bis Tonga ist es nur noch ein Katzensprung. Der Taxifahrer, ein angenehm schweigsamer Typ, sagt nichts zu der Bitte, direkt am Strand zu halten. Komisch ist nur, dass er nicht wegfährt, nachdem er bezahlt ist.

Kurz vor dem Sprung ins Wasser hupt er und rennt aus dem Auto. "Mach das bloß nicht, Mann!" Das Meer gehört hier den Marine Stingers, einer potenziell tödlich giftigen Quallenart mit drei Meter langen Tentakeln. Schade. Danke. Dann fahren wir halt noch ein Stück.

Jochen Temsch

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Acht Städte, acht Taxis:Shanghai

To match analysis CHINA-GAS/

Quelle: REUTERS

Shanghai, das ist nichts für Landeier. Man weiß es ja vorher. Und lässt den chinesischen Reiseleiter in chinesischen Schriftzeichen Namen und Adresse des Restaurants notieren, wo man sich zum Enten-Essen treffen will. Spätabends. Der Taxifahrer, jung, Brille, schlechte Zähne, nimmt den Zettel, liest und fährt los. Es geht lange durch Hochhausschluchten, kein Himmel, nur Lichter. Nach gut 20 Minuten hält er mir den Zettel hin und deutet auf ein Schriftzeichen. Offensichtlich hat der Reiseleiter schlampig geschrieben. "Pe-Dsching!", rufe ich hoffnungsvoll nach vorne, weil das Restaurant auf Pekingente spezialisiert ist. Er schaut nur ratlos in den Rückspiegel.

45 Minuten später, die Hochhäuser sind längst verschwunden, halten wir an einem Firmentor im Industriegebiet.Ich schüttle heftig den Kopf. Der Taxifahrer zeigt wieder auf das Schriftzeichen. Zunehmend verzweifelt wiederhole ich "Pe-Dsching". Auf einmal wendet er und rast durch die Nacht in die Stadt zurück. Eine halbe Stunde später bremst er scharf, reißt den Arm hoch und ruft: "Yeeeeh!" Auf dem Taxameter stehen, nach eineinhalb Stunden Irrfahrt, 77 Yuan. Der Junge verlangt aber nur 20. Er tut mir leid, ich gebe ihm Trinkgeld. Die Ente ist längst gegessen.

Hans Gasser

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Acht Städte, acht Taxis:Hamburg

Koh-Samui

Quelle: iStockphoto/Kevin miller

Noch ist es nicht Tag in Hamburg. Für den Taxifahrer macht das keinen Unterschied, er möchte reden. Auf dem Weg zum Flughafen stellt er die Routinefrage: "Wohin geht es denn in den Urlaub?" "Thailand!" Das war das richtige Stichwort. Er, um die 50 Jahre alt, Schnauzbart und Herrenwollpullover, beugt sich nach hinten, verpasst eine Abbiegung. "Viele Kollegen sind schon da, ich würde auch gerne runter!" Das Leben dort sei leichter, das Geld noch etwas wert - und die Menschen so freundlich. Wir fahren an einer Tankstelle entlang: "Der Besitzer, den kenne ich, der ist mit einer Thai-Frau verheiratet. Die ist aber auch schon wieder zurückgegangen, und jetzt muss er zahlen!"

Pause.

"Wenn ich jetzt da wäre, würde ich mich an den Strand legen und endlich das Sarrazin-Buch zu Ende lesen", sagt er. Und als er den Rucksack aus dem Kofferraum hebt, ist sein letzter Tipp: "Bestellen Sie sich immer gleich ein Glas Milch zum Essen. Das ist echt scharf!"

Christine Dohler

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Acht Städte, acht Taxis:Caracas

Mann mit Schnurrbart, Sonnenbrille und Zahnlücke

Quelle: bang boom bang / Photocase.de

Stockdunkel. Eine Großstadt, in der die Straßenlaternen fehlen. Zumindest in Petare ist das so, im gefährlichsten Teil von Caracas, bekannt für seine Schießereien. Schnell ein Taxi, weg von den düsteren Gestalten auf den Gehwegen, hin zum Nachtbus gen Süden, der in der Nähe abfährt.

Da ist eins! Ein fetter Mann, der mir winkend die Beifahrertür seines Wagens aufhält. Ich zögere, werfe einen Blick auf die Uhr. Verdammt, es ist spät, ich will diesen Bus nicht verpassen. Also steige ich ein. Die Autotür geht mit einem lauten Schlag zu. Der Koloss lächelt zufrieden, als er losfährt, die Hauptstraße entlang. Es ist heiß, der Typ schwitzt, er stinkt. "Wie mutig von dir", sagt er und sieht mich an, "als weiße Frau, ausgerechnet hier, mutterseelenallein." Jetzt wird auch mir heiß, ich rücke näher ans Autofenster, weg vom Koloss.

Plötzlich reißt der das Lenkrad herum, biegt in eine winzige Seitenstraße, hält an und schaltet die Scheinwerfer aus. Dann beugt er seinen fetten Körper über mich, ich spüre den fauligen Atem im Gesicht. "Lass dir das eine Lehre sein", sagt er, "und pass das nächste Mal besser auf, bei wem du einsteigst." Hektisch krame ich nach dem Taschenmesser in meinem Rucksack. Da beginnt der Koloss unvermittelt zu lachen und fährt weiter. Vor uns taucht das Busterminal auf, wir sind angekommen.

Alina Fichter

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Acht Städte, acht Taxis:Jinka

To match feature AFRICA-CHINA/KENYA

Quelle: REUTERS

Vielleicht ist es ein Fehler, ausgerechnet so einem Kellner zu vertrauen. Er liefert schon die Gerichte südäthiopischer Machart (Qualität egal, Hauptsache viel) erst nach dem dritten Drink. Nun verspricht er: "Klar kann ich euch ein Taxi besorgen." Zwölf Leute? "Auch kein Problem. Ich kenne da jemanden." Einen Drink plus Nachspeise später wackelt er heran: "Der Fahrer hat leider schon geschlafen, aber gleich ist er da." Einen weiteren Drink später macht man sich fluchend auf den fünf Kilometer weiten Fußmarsch Richtung Campingplatz. Der Kellner schreit noch etwas wie: "Der Fahrer wird gleich da sein!" Bald ist es still.

Die letzte der spärlich gesteckten Straßenlaternen des Ortes Jinka wurde längst von der afrikanischen Dunkelheit geschluckt, als ein Kipplastwagen bremst. "He, seid ihr die Typen, die ein Taxi zum Zeltplatz wollten? Ich bin euer Mann", sagt der Fahrer. Also rauf auf die Ladefläche, die auch der Bevölkerung einer äthiopischen Kleinstadt Platz bieten könnte. Der Wind bläst durch das Haar; es ist eine schöne Nacht.

Am Ende berechnet der Fahrer für knapp drei Kilometer das durchschnittliche Monatsgehalt eines Äthiopiers, womit wir wahrscheinlich Opfer eines perfiden Planes wurden: Die Europäer langsam mästen, bis günstige Pkw einfach nicht mehr reichen.

Dominik Prantl

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Acht Städte, acht Taxis:Bratislava

Bedrohung

Quelle: iStockphoto/Alex Potemkin

Er lauerte in der Innenstadt. Auf einer der Glacisflächen lauerte er, dort, wo leicht angetrunkene Touristen vorbeikommen. Ich war ein solcher und erkannte die Falle nicht. Für mich sah das aus wie ein Taxi, das an der richtigen Stelle stand. Der Fahrer war einer dieser slowakischen Muskelmänner, okay. Ich sah keinen Taxameter, fragte also nach. Er zog einen alten kaputten Taxameter ohne Anschluss unter dem Sitz hervor und hielt ihn mir unter die Nase. Seine Geste schreckte mich. Ich sagte nichts darauf.

Mein Hotel war ganz nahe. Der Typ verlangte verrückte zehn Euro. Ich warf ihm einen Zehn-Euro-Schein nach vorne, verließ das Taxi. Ließ dabei aus Protest die Hintertür offen. Ging auf mein Hotel zu. Spürte aber seinen Atem gleich im Nacken. Wer würde mir helfen, mitten in der Nacht in Bratislava? Eben: keiner.

Der Typ packte mich. Schüttelte mich. Nötigte mir weitere zehn Euro ab. Und verschwand in der Nacht. Ich beschwerte mich öffentlich. Ich erhielt einen freundlichen Brief vom slowakischen Botschafter: Er hoffe, dass es sich um einen Einzelfall handelte.

Martin Amanshauser

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Acht Städte, acht Taxis:Damaskus

Part of the main highway linking Beirut to Damascus, is seen through a car windscreen during a snow storm in Sawfar village in eastern Lebanon

Quelle: REUTERS

Nachmittags hatte es zu schneien begonnen, und ein kalter Dezemberwind ging Damaskus durch Mark und Bein. Ich solle mich besser um ein Taxi zum Flughafen kümmern, empfahl der Rezeptionist. Sein Cousin habe eines, den rufe er an. Er sprach lange und laut und erregt. "Er kommt um drei heute Nacht", sagte er dann, "bei dem Wetter fahren Sie besser rechtzeitig." Also fuhr ich um drei, im Schneetreiben, mit dem schweigsamen Cousin des Rezeptionisten und durch ein Damaskus, in dem außer uns niemand unterwegs war.

Der Flughafen war gut ausgeschildert. Zumindest so lange, wie wir auf den Hauptstraßen waren. Dann aber bogen wir ab, in eine Seitenstraße ein, obwohl der "Airport" -Hinweis geradeaus zeigte. Bald waren wir nicht mehr auf einer Straße, sondern auf einer Piste voller Schlaglöcher. In einer Art Industriegebiet ohne Industrie. Und ohne Beleuchtung. Nach etwa 20 Minuten hielt der Cousin an einem dunklen Haus. Er stieg aus und verschwand, und ich konnte mich ein paar Minuten lang fragen, was man sich so fragt, wenn man nachts in einem syrischen Taxi festsitzt und nicht sicher ist, ob man entführt oder doch nur ausgeraubt werden soll.

Dann kam der Cousin zurück. Er hatte eine Schachtel mit Gebäck dabei, es war noch warm und duftete wunderbar. "Merry Christmas", sagte er. Dann winkte er aus dem geöffneten Fenster in die Dunkelheit, und irgendwo da hinter dem fallenden Schnee winkte seine Frau zurück, bestimmt.

Stefan Nink

© SZ vom 16.12.2010/kaeb
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