Russland:Zwei Steuermänner in einem Boot

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Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew blockieren einander - und damit auch die Zukunft Russlands.

Frank Nienhuysen

In Russland hat der Wahlkampf begonnen, und die beiden wichtigsten Männer sind abgetaucht. Wladimir Putin presste sich in einen Neoprenanzug und holte antike griechische Amphoren aus dem Schwarzen Meer. Präsident Dmitrij Medwedjew zeigte sich im Taucheranzug, mit Schnorchel und Unterwasserkamera. Gemeinsam gingen sie später fischen. Mit solch rührenden Bildern werden russische Medien derzeit im Wochenrhythmus gefüttert, damit wird der Kampf um das höchste Staatsamt ausgetragen.

Verzweifelt sucht die russische Politik nach neuer Attraktivität. Eigentlich braucht das Land dringend ein paar nüchterne Antworten auf drängende Fragen. Die letzte Finanzkrise ist noch nicht überwunden, da droht bereits die nächste. In sieben Monaten wird ein neuer Präsident gewählt, nur noch vier sind es bis zur Parlamentswahl. Und doch scheint sich das Führungsduo weiter einen Spaß daraus zu machen, das Volk an der Nase herumzuführen. Tritt Medwedjew noch einmal an, oder lässt sich der ehemalige Präsident Putin küren? Das Tandem lächelt - und schweigt.

Und so werden statt programmatischer Reden Tauchgänge seziert, Halbsätze dekodiert, Andeutungen aufgebauscht. Gebannt wird der Tag erwartet, an dem sich einer von beiden Kandidaten offiziell offenbart. Es wäre an der Zeit, denn die ungelöste P-Frage ist einer der Gründe, weshalb Russland seit Monaten in seiner ganz eigenen Krise steckt: Die Kapitalflucht ins Ausland nimmt zu, ausländische Investoren halten sich auch wegen der ungewissen Kandidatur zurück, und die Bevölkerung verliert angesichts ausufernder Korruption ihr Interesse an der Politik. Die Regierungspartei Einiges Russland kämpft mit allen Mitteln gegen den Verlust der Zweidrittelmehrheit, Premier und Präsident haben den Tiefpunkt ihrer Popularität erreicht. Und die Opposition tummelt sich vorwiegend im Internet.

Furchtsam und gelähmt wirkt das Land in diesen Wochen, da die Nachfolge im Kreml als geheime Kommandosache betrieben wird. Putin oder Medwedjew, je nach interner Absprache - etwas anderes wird es nicht geben.

Die Frage, wer von beiden das Rennen macht, ist dabei nur scheinbar eine Richtungswahl. 20 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion wird Putin das Land so wenig in den Kommunismus zurückführen, wie Medwedjew es in die Europäische Union steuert. Putin ist für den Westen gewiss der schwierigere Partner, weil er der russischen Vorstellung eines Muschiks, eines schneidigen Kerls, entspricht und sich besonders gern an den USA reibt. Andererseits: Was hat Medwedjew erreicht, dass Europa auf seine Seite ziehen sollte? Das ist Medwedjews Problem, das er wie eine Bleiweste mit sich schleppt: Er hat sich von Putin nicht befreien können, vielleicht auch nicht befreien wollen. Mehr als drei Jahre ist er nun im Amt, aber außer einigen liberalen Wortmeldungen hat er nicht viel hervorgebracht. Das Investitionsklima ist erschreckend schlecht; China, Brasilien, Indien haben Russland abgehängt auf dem Weg zur Industrienation. Und von innenpolitischer Freiheit ist das Land weiter entfernt, als es Medwedjews Rhetorik vermuten lässt. Die neue oppositionelle Partei Parnass, die eine echte inhaltliche Alternative zur Regierung hätte sein können, wurde zur Wahl erst gar nicht zugelassen. Sie wurde marginalisiert, bevor sie überhaupt gefährlich werden konnte.

Sechs Jahre lang wird der nächste Kremlchef das Land führen. Wer immer es regiert, müsste es zu einem leistungsfähigen Staat machen. Aber dazu müssten sich auch Putin und Medwedjew selbst in Frage stellen, den Kontrollwahn über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beenden und echte Konkurrenz zulassen. Eine gelenkte Demokratie ist keine Demokratie. Derzeit spricht viel dafür, dass Moskau auch diese Chance verpassen wird und im Kern ein autoritäres Land bleibt.

© SZ vom 26.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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