Warschau:Merkel redet Polens Premierministerin ins Gewissen

Lesezeit: 2 min

Die Kanzlerin erinnert an den Freiheitskampf der Gewerkschaft Solidarność - und an die Bedeutung einer unabhängigen Justiz.

Von Florian Hassel, Warschau

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Polen bei einem Besuch in Warschau ermahnt, im laufenden Rechtsstaatsverfahren zusammen mit der EU-Kommission eine Lösung im Streit um das polnische Verfassungsgericht zu finden. Die Kanzlerin erinnerte an die Bedeutung, die vor fast drei Jahrzehnten der Kampf der polnischen Gewerkschaft Solidarność gehabt habe für Polen und ein freies Europa und die deutsche Wiedervereinigung. "Aus dieser Zeit wissen wir, wie wichtig eine unabhängige Justiz und freie Medien sind", sagte Merkel in einer Pressekonferenz mit Polens Regierungschefin Beata Szydło. Die Kanzlerin betonte, sie hoffe, dass Polens Regierung der EU-Kommission entsprechend antworte. Die Kommission hat Warschau Zeit gegebenbis 21. Februar, um zu beantworten, wie es die durch Gesetze und Richterbesetzungen bedrohte Unabhängigkeit von Polens Verfassungsgericht wiederherstellen will. Polnische Regierungspolitiker sagten indes, es gebe "keinerlei Probleme mit dem Verfassungsgericht. Das Thema ist geschlossen".

Die Kanzlerin traf neben Szydło und Präsident Andrzej Duda in Warschau Oppositionspolitiker und Vertreter der deutschen Minderheit. Wichtigstes Treffen war ein vertrauliches Gespräch mit Polens einflussreichstem Politiker Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis). Es sei "der Zukunft der Europäischen Union und dem Vorgehen nach dem Brexit gewidmet. Ich habe die Hoffnung, dass das heutige Treffen gute Resultate bringt", sagte Kaczyński dem Twitterdienst seiner Partei. Am Abend sprach Merkel mit Szydło im einstigen Königspalast über Polens Vorstellungen einer EU-Reform. Für Kaczyński und seine Leute sollte sie in einem faktischen Vetorecht nationaler Parlamente gegen Brüsseler Entscheidungen bestehen, sie wollen die Kompetenz der EU-Kommission geschwächt sehen und die EU beschränken auf Binnenmarkt- und Umweltfragen.

Die Kanzlerin erteilte solchen Ideen eine Absage: "Vertragsänderungen in der EU sind nur durch einen Konvent aller 27 EU-Länder möglich - damit sollten wir sehr vorsichtig umgehen." Auf die Frage der Süddeutschen Zeitung, ob sie sich vorstellen könne, die EU-Kompetenzen auf Binnenmarkt und Umwelt zu beschränken, sagte Merkel: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die Dinge so zurückdrehen." Szydło antwortete auf die Frage, ob ihre Regierung eine weitere Amtszeit Donald Tusks als EU-Ratspräsident unterstütze, dafür sei es "noch zu früh". Sie wolle mit Merkel in europapolitischen Fragen eng kooperieren, sagte sie, etwa in der Migrations- und der Verteidigungspolitik.

Die Kanzlerin ging auch auf die wiederaufgeflammten Kämpfe zwischen ukrainischen Einheiten und von Moskau gestützten Separatisten in der Ostukraine ein: Angesichts dessen "können auch die Sanktionen nicht aufgehoben werden". Polen und Deutschland hätten gemeinsame Vorstellungen zur Ukraine- und Verteidigungspolitik. Und sie wisse, dass Deutschland die Verteidigungsausgaben erhöhen muss.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: