Wahl in Tschechien:Ein Fässchen Bier für Erstwähler

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"Überrede die Oma": Am Freitag und Samstag stimmen die Tschechen über ein neues Parlament ab - die Konservativen setzen vor allem auf die Jugend.

Klaus Brill, Prag

Es ist kein Scherz, sondern hohe Politik, präsentiert im Stil der neuen Zeit. Auf dem Internetportal YouTube haben zwei Schauspieler und ein Regisseur einen amüsanten Video-Clip mit dem Titel "Premluv babu" eingestellt - "Überrede die Oma".

Vor der Parlamentswahl in Tschechien File - Ein Wahlplakat mit dem Konterfei von Jiri Paroubek, aufgenommen am 06.05.2010 in Prag. Foto: FILIP SINGER (zu dpa-KORR 'Parlamentswahl soll Krise in Tschechien beenden') +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: dpa)

Es ist ein Aufruf an junge Leute, ihre Großeltern zu bequatschen, damit die bei der anstehenden Parlamentswahl in Tschechien nicht schon wieder links wählen, vor allem nicht die Kommunistische Partei.

Alte Menschen sind deren stärkste Anhängerschaft, sie versprechen sich von Kommunisten und Sozialdemokraten eine Sicherung der Renten, manche hängen auch alten Zeiten nach. Für junge Leute hingegen heißt dies nach Ansicht der Clip-Autoren, dass die Verschuldung des Staates immer größer und die Zukunft der jungen Generation immer stärker belastet wird.

Die Jugend denkt konservativ

Das Filmchen ist mehr als 650.000 Mal aufgerufen worden, und das ist einer von vielen Hinweisen darauf, dass bei der Wahl an diesem Freitag und Samstag mit Überraschungen zu rechnen ist. Gerade junge Leute, die bisher zu zwei Dritteln den Wahlurnen fernblieben, könnten Überraschungen auslösen, wenn sie wählen gehen.

Denn die etwa eine Million Jungwähler bis 25 Jahre, immerhin ein Achtel der Wahlberechtigten, denken überwiegend konservativ. Darauf lässt außer Umfragen auch eine Probeabstimmung der Hilfsorganisation "Mensch in Not" unter 20.000 Schülern schließen. Die Kommunisten landeten dort bei 2,9, die Sozialdemokraten bei nur 5,3 Prozent. Sieger waren mit weitem Abstand die konservativen Parteien.

In repräsentativen Umfragen sieht das Bild allerdings anders aus. Seit Monaten liegt die Sozialdemokratische Partei (CSSD) an der Spitze, zuletzt mit Werten zwischen 26 und 34 Prozent. Ihr Führer Jiri Paroubek galt lange als künftiger Regierungschef, doch ist er gerade bei jungen Leuten wegen seines steifen Funktionärsgehabes unbeliebt. 2009 vor der Europawahl verfolgten ihn, durch Flashmobs im Internet mobilisiert, Jugendliche mit Eierwürfen. In diesem Jahr wurden große CSSD-Kundgebungen nach einem Faustschlag eines Betrunkenen gegen Paroubeks Stellvertreter abgesagt.

Die neoliberalen Bürgerdemokraten (ODS), mit 35,4 Prozent bei der Wahl 2006 ein überlegener Gegenspieler, liegen heute mit Anteilen zwischen 20 und 23 Prozent der Stimmen weit zurück. Sie könnten aber aufholen, weil nach dem Sturz des skandalbelasteten Parteichefs und Premiers Mirek Topolanek der neue Spitzenkandidat Petr Necas womöglich Frustrierte für die Partei zurückgewinnt. Necas ist zwar kein charismatischer Führer, gilt aber als Saubermann und bietet den berüchtigten regionalen "Paten" in der Partei Paroli. Seit Topolaneks Sturz vor einem Jahr regiert in Prag ein Übergangsregierung aus hohen Beamten.

Entschieden wird die Wahl aber wohl durch das Abschneiden zweier neuer kleinerer Parteien, die eher konservativ sind. Die 2009 gegründete TOP09 (Tradice, Odpovednost, Prosperita - Tradition, Verantwortung, Wohlstand) profitiert vom hohen Ansehen ihres Vorsitzenden, des 72-jährigen Fürsten Karl zu Schwarzenberg, der von den Grünen als Außenminister der von 2007 bis 2009 regierenden grün-konservativen Dreier-Koalition benannt worden war.

Er hat sich mit dem früheren Finanzminister Miloslav Kalousek verbündet, einem skandalbehafteten Routinier, der aus der traditionsreichen Christdemokratischen Partei (KDU-CSL) kommt und nach deren Spaltung im vorigen Jahr die neue Organisation auf die Beine stellte. TOP 09 rangiert in Umfragen zwischen zehn und 15 Prozent. Die Partei proklamiert vor allem die Sanierung der maroden Staatsfinanzen und ist damit der geborene Rivale und Partner der ODS, die aus verständlicher Angst vor Verlusten jüngst harte Angriffe lancierte.

Fragen nach den Financiers

Als zweiter Neuling ist die Organisation "Veci verejne" (Öffentliche Angelegenheiten) des populären Fernsehjournalisten Radek John auf dem Markt. Der 56-Jährige wurde bekannt als Chef einer Reporter-Crew, die Skandale aufdeckte. Er hat um sich eine Riege Prominenter und junger Frauen versammelt.

Politisch ist er nicht sicher einzuordnen - nach links warb er mit Steuererhöhungen für die Besserverdienenden, nach rechts mit Bürgerwehrpatrouillen in Prager Vororten. Verwunderung löste sein Vorschlag aus, das Innen- und Verteidigungsministerium zusammenzulegen, und Fragen gibt es nach seinen Financiers. Radek John hat jedenfalls laut Umfragen um die zwölf Prozent der Stimmen zu erwarten und könnte damit ebenso wie Schwarzenberg in eine Schlüsselrolle kommen.

Mit den Sozialdemokraten unter ihrem Vorsitzenden Paroubek lehnen beide eine Kooperation ab - was nicht ausschließt, dass ein Sturz Paroubeks doch den Weg für eine solche Koalition ebnen könnte. Die Sozialdemokraten ihrerseits können bisher nur auf die Kommunisten hoffen, denen sie aber keine Koalition, höchstens eine Tolerierung anbieten würden.

Die Rolle von Havels Kinder

Die ebenfalls den Sozialdemokraten zugeneigten Christdemokraten müssen nach ihrer Spaltung fürchten, dass sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Für die Grünen scheint es schon sicher, dass sie den Sprung ins Parlament nicht wieder schaffen. Gleiches gilt für die Partei der Bürgerrechte (SPO), die der frühere sozialdemokratische Partei- und Regierungschef Milos Zeman gegründet hat, um seinem Feind Paroubek zu schaden.

An dem sozialdemokratischen Parteichef scheiden sich die Geister, und so könnte das Ergebnis der Wahl auch eine konservative Koalition der ODS mit Schwarzenbergs TOP 09 und der Gruppe des TV-Stars John sein. Es liegt zum guten Teil in der Hand von "Havels Kindern", der Jungwähler, die um 1989 geboren sind und unter der Präsidentschaft Vaclav Havels aufwuchsen.

Dass sie sich einmischen in die Politik, ist das Anliegen einer Künstlergruppe: Auf der Internetseite Vymentepolitiky.cz (Tauscht die Politiker aus) rufen sie die Bürger auf, wählen zu gehen - und anders zu wählen als beim letzten Mal, wenn sie unzufrieden sind. Und der Brauereibesitzer Stanislav Bernard, ein Aktivist der ODS, lockt Erstwähler mit einem besonderen Stoff: Für Schulklassen und Studentengruppen, die sich zu 85 Prozent auf eine Teilnahme an der Wahl verpflichten, stiftet er jeweils ein Fässchen Bier.

© SZ vom 28.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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