Verfassungsgericht: Urteil zum Lissabon-Vertrag:Ein Spiel auf Zeit

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Die EU-Reformgegner setzen nach dem Urteil des Verfassungsgerichts darauf, dass sich die Deutschen nun mit der Ratifizierung des Lissabonner Vertrags verspäten. Das bringt die große Koalition in Bedrängnis - mitten im Wahlkampf.

Martin Winter

Es ist nun Eile geboten in Berlin. Denn die Karlsruher Verfassungsrichter haben die deutsche Zustimmung zum europäischen Reformvertrag zur Geisel genommen, um eine Änderung des rein innerstaatlichen Begleitgesetzes zu erzwingen. Damit könnte ein sorgfältig austarierter Zeitplan ins Rutschen kommen.

Das Urteil des Verfassungsgerichts setzt die Koalition unter Druck: Je langsamer der Ratifikationsprozess in Deutschland voranschreitet, desto besser für die EU-Gegner (Foto: Foto: AP)

Der sieht vor, dass der Zustimmungsprozess zur EU-Reform mit dem irischen Referendum Anfang Oktober abgeschlossen wird. Karlsruhe erklärt nun den Lissabon-Vertrag für grundsätzlich verfassungskonform, stoppt aber dessen formelle Ratifizierung; der Bundestag soll erst noch ein neues Begleitgesetz erlassen. Das schafft ein zeitliches Problem.

Politisch könnte das den EU-Gegnern von Nutzen sein. Denn deren letzte Hoffnung ist ein Spiel auf Zeit. Deswegen halten der tschechische Präsident Vaclav Klaus und sein polnischer Kollege Lech Kaczynski ihre Unterschriften unter den Vertrag zurück, obwohl der von den jeweiligen Parlamenten längst beschlossen wurde.

Der eine gibt vor, das irische Votum abwarten zu wollen. Der andere schiebt die Deutschen vor. Erst wenn die ihre Ratifikationsurkunde hinterlegt hätten, will er den Vertrag gegenzeichnen. Auch wenn die beiden Herren durch politische Absonderlichkeiten auffallen, ernst nehmen muss man sie. Denn sie handeln mit einem klaren Kalkül: Wenn es gelingt, den Ratifizierungsprozess bis zu den britischen Wahlen im ersten Halbjahr 2010 zu verschleppen, dann wachsen die Chancen, die Reform noch scheitern zu lassen.

David Cameron, der Chef der britischen Konservativen, hat für den Fall seiner - wahrscheinlichen - Wahl zum Premier bereits angekündigt, dass er, falls die Ratifizierung zu dem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist, die britische Zustimmung zurückziehen und den Vertrag einer Volksabstimmung unterwerfen wird. Über deren Ausgang braucht man nicht zu spekulieren.

Eine deutliche Verzögerung bei der deutschen Ratifizierung des Vertrags könnte aber auch dem irischen Nein-Lager wieder Auftrieb geben, das in jüngster Zeit an Unterstützung verloren hatte. Wenn sich die Deutschen verspäten, würde dies der irischen Regierung das Argumentieren schwerer machen. Die will ihre Wähler nämlich damit überzeugen, dass Irland es sich als letztes Land in der Reihe der Ratifizierer nicht leisten könne, den Vertrag zu blockieren und sich so ins Seitenaus der europäischen Entwicklung zu stellen.

Deutsche Regierungen, ob nun rot-grün oder schwarz-rot, haben die Reform der EU wesentlich vorangetrieben. Joschka Fischer hat sie mit einer großen Rede angestoßen. Gerhard Schröder und Jacques Chirac haben sie maßgeblich geformt. Und Angela Merkel hat die wichtigsten Teile des 2005 gescheiterten EU-Verfassungsvertrages in den Lissabon-Vertrag gerettet. Um das alles nicht zu gefährden, müssen Bundestag und Bundesrat bis Mitte September das Gesetz ändern. Das sollte - nein: das muss - trotz Wahlkampf möglich sein.

© SZ vom 01.07.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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