Vereinte Nationen:Fatale Zahl

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Deutschland bewirbt sich um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und verweist auf sein Engagement. Dabei entsendet Berlin gerade mal 24 Polizisten für internationale Einsätze. Das kritisiert sogar die eigene Koalition.

Von Stefan Braun, New York

Der Blick auf den East-River ist unschlagbar. Hier oben, auf einer riesigen Terrasse des UN-Hauptquartiers, ist der Himmel weit, der Blick ungetrübt und der Lärm der Straßen hinter dem Büroturm der Weltgemeinschaft verschwunden. Das Licht in der Dämmerung ist sanft rosa, der Abendhimmel von Wolkenfetzen durchzogen. Die Handy-Fotos, die alle jetzt machen, könnten als Gemälde durchgehen. Mitten in der Weltstadt und für einen Moment doch fern der Krisen.

Dann fällt der Startschuss für Deutschland. Mit eisgekühlten Getränken und ein paar warmen Worten des deutschen Außenministers. Dazu spielt eine junge Band aus Berlin auf; eine wilde Mischung aus Live-Jazz und "Electroswing", wie Steinmeier erläutert. Soll keiner denken, Berlin lasse sich lumpen. Deutschland will Mitglied im Sicherheitsrat werden. Dieses Mal geht es nicht um die große Reform der Weltgemeinschaft. Die treibt Deutschland seit Jahren mit Indien, Japan, Brasilien ziemlich folgenlos voran. Nein, heute geht es um die Wahl in das Gremium, und Deutschland will 2019 und 2020 wieder dabei sein. Bis zum Termin ist es zwar noch eine Weile hin, die Vollversammlung entscheidet im Juni 2018. Die Deutschen trommeln trotzdem schon. Es droht eine Kampfkandidatur, auch Belgien und Israel bewerben sich um die zwei Plätze. Da muss man früh aufstehen.

Also erklärt Steinmeier, jetzt sei ,,der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort'' für die Kandidatur gekommen. Sie zeige Berlins Engagement für eine Organisation, die schlicht unverzichtbar sei, um die Konflikte in einer krisengefangenen Welt überhaupt noch lösen zu können. "Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung, und wir helfen dabei, Frieden und Gerechtigkeit durchzusetzen", sagt der deutsche Außenminister. Vorsorge, Konfliktlösung, Stabilisierung - das sind seine Stichworte.

Die Grünen finden die Lastenverteilung weltweit "inakzeptabel"

Als Steinmeier durch ist mit seiner Rede, gibt es wohlwollenden Beifall, dazu kleine Snacks, Finger Food. Und wer danach wissen will, ob Deutschland unterstützt wird, der stößt an zahlreichen Tischen auf kleine Info-Broschüren, in denen der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan und der frühere Weltklasseläufer Haile Gebrselassie Deutschlands Einsatz preisen. Alles scheint zu passen.

Tut es aber nicht. Jedenfalls noch nicht. Das erfährt man aber nicht in New York; es wird sich am Freitag im Bundestag zeigen. Denn so viel Deutschland in den vergangenen Jahren geleistet hat, beispielsweise mit mehr als zwei Milliarden Euro an humanitärer Hilfe, so groß ist die Lücke an anderer Stelle. Und weil die trotz eines Bekenntnisses im Koalitionsvertrag bis heute nicht geschlossen wurde, wollen die Fraktionen von Union, SPD und Grünen einen Antrag verabschieden, der das aufspießt. Das ist ungewöhnlich und will nicht zu den Worten von New York passen.

Die Rede ist von der winzigen Zahl an deutschen Polizisten in UN-Einsätzen. Obwohl die Bundesregierung immer wieder betont, dass sie besonders viel Wert auf Vorsorge und Stabilisierung legt, wozu gerade Polizisten einen immens wichtigen Beitrag leisten könnten, entsendet Deutschland derzeit gerade mal 24 Polizisten, die im Namen der Vereinten Nationen anderswo für mehr Sicherheit oder eine bessere Polizeiausbildung sorgen. Weltweit sind mehr als 14 000 Polizisten im UN-Einsatz, die größten Kontingente stellen Staaten wie Bangladesch und Jordanien mit jeweils mehreren Hundert. Das zeigt, wie fatal die Zahl 24 wirken muss für ein Land, das so viel gibt auf seine Rolle als Stütze der Vereinten Nationen.

Schuld an der Misere ist nicht nur die Bundesregierung; auch die Länder tragen dafür Verantwortung. Seit drei Jahren versucht eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die Probleme zu lösen. Weit gekommen ist sie bis heute nicht, was vor allem heißt: Sie schafft es nicht, den Einsatz für Freiwillige attraktiv zu machen. Das Hauptproblem: Bis heute ist weder das Beamtenrecht noch die Ausbildung, ist weder die Karrierestruktur noch die Versicherung für Notfälle so umgestaltet worden, dass Auslandseinsätze für Polizisten attraktiv werden. All das wollen SPD, Union und Grüne nun ändern; im gemeinsamen Antrag listen sie detailliert auf, was Bund und Länder dringend reformieren müssten.

Die SPD-Abgeordnete Edelgard Bulmahn und ihre Grünen-Kollegin Franziska Brantner kämpfen dafür schon lange und beklagen den enormen Glaubwürdigkeitsverlust, den sich Deutschland einhandelt. Bulmahn sagt, es sei schlicht "unerlässlich", gerade in Krisenländern mit mehr Polizisten für mehr Sicherheit zu sorgen. Die ungerechte Lastenverteilung weltweit sei "inakzeptabel". Und Brantner nennt die Zahl 24 "blamabel" und erklärt, der Antrag sei längst überfällig angesichts der ärgerlichen Verzögerungen.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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