Verdi:Provokation!

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Eine Gewerkschaft kämpft für die Interessen der Arbeitnehmer - eigentlich. Doch nun tobt ein Tarifkonflikt im eigenen Betrieb. Mit seltsamen Folgen.

Von Detlef Esslinger, München

Wie man das Leben betrachtet, das hängt in der Regel davon ab, welche Aufgabe es einem gerade stellt. Ist man zum Beispiel als Chef der Gewerkschaft Verdi damit befasst, einen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst durchzusetzen, so nennt man das Angebot der Arbeitgeber einen "Akt der Missachtung". So sprach Frank Bsirske, als er im April eine Tariferhöhung von drei Prozent für zwei Jahre zurückwies und zu Streiks aufrief.

Aber ein Gewerkschaftschef ist nicht bloß Arbeitnehmervertreter, sondern auch selber Arbeitgeber: 3000 Menschen arbeiten bei Verdi, und 1000 von ihnen gingen am Montag in den Streik. Denn wenn das Leben Bsirske vor die Aufgabe stellt, die Kosten seiner Organisation im Griff zu behalten, lässt er ein Angebot unterbreiten, das die Angebote seiner üblichen Widersacher locker unterschreitet: zwei Prozent für zwei Jahre, und dies inklusive mehrerer "Nullmonate". Die "Gewerkschaft der Gewerkschaftsbeschäftigten" (GdG) gibt an, durch die Nullmonate ergebe sich für 2016 noch ein Plus von 0,23 Prozent.

Montag war deshalb Streiktag, weil am Nachmittag in Frankfurt die dritte Verhandlungsrunde angesetzt war - allerdings nicht mit der GdG, sondern mit dem Gesamtbetriebsrat. Noch so ein Unterschied: Niemals würde Bsirske es zulassen, dass Betriebsräte mit irgendwelchen Arbeitgebern die Entgelte verhandeln - weil Betriebsräte nach geltendem Recht nicht zum Streik aufrufen dürfen. Im eigenen Betrieb aber verhandelt er nur mit dem Betriebsrat; die GdG erkennt er nicht als satisfaktionsfähige Gewerkschaft an. Zum Streik am Montag rief aber der Gesamtbetriebsrat auf, er fordert fünf Prozent mehr Geld (ein Prozent weniger als Verdi im Frühjahr im öffentlichen Dienst). Neulich verschickte er einen Newsletter, voll mit Zitaten der Beschäftigten: "Echte Provokation." - "Der Arbeitgeber zeigt einmal mehr, wie er unsere Arbeit schätzt." - "Das können sie sich in den. . . schieben."

Ein weiterer Unterschied zu den Verhandlungen, die Verdi sonst führt: Dieser Arbeitgeber wird gegen den vermutlich rechtswidrigen Streik nicht vorgehen. Bsirske hatte auf dem Bundeskongress 2015 seinen Beschäftigten informell ein Streikrecht zugestanden. Sogar Streikgeld will er ihnen zahlen.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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