Venezuela:Wer protestiert, kommt vors Militärgericht

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Brutale Dusche: Ein Wasserwerfer der Polizei zielt auf Demonstranten in Caracas. Fast täglich spielen sich in Venezuela mittlerweile solche Szenen ab. (Foto: Juan Barreto/AFP)

Der venezolanische Präsident Maduro geht drastisch gegen Demonstranten vor. Die Armee ist dabei sein Erfüllungsgehilfe.

Von Boris Herrmann, Caracas/Medellín

Wer in Venezuela für die Demokratie auf die Straße geht, spielt mit seinem Leben. Trotzdem reißen die Massenproteste gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro nicht ab. Seit fast anderthalb Monaten finden in dem Land jeden Tag Großkundgebungen statt. Die meisten von ihnen beginnen friedlich und enden blutig. Polizei, Nationalgarde und regierungstreue Milizen sind im Dauereinsatz, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Dabei scheinen fast alle Mittel recht zu sein. Seit Anfang April sind bei Protesten und Krawallen mindestens 39 Menschen getötet worden. Bei den Verwundeten, Verletzten und Verhafteten kann niemand mehr mitzählen.

Am Freitag ging die Polizei in der Hauptstadt Caracas auch mit Pfefferspray gegen protestierende Rentner vor. Sie hatten beim sogenannten "Marsch der Großeltern" die überfällige Auszahlung von Zuschüssen zu Lebensmitteln und Medikamenten gefordert. Einigen von ihnen waren mit Gehstock oder Rollator unterwegs. Der Oppositionspolitiker Henrique Capriles verurteilte den Einsatz scharf. "Niemand hat das Recht, Opas und Omas anzugreifen. Sie sind das moralische Rückgrat unseres Vaterlandes", sagte er.

Präsident Maduro nimmt eine andere Moral für sich in Anspruch. Zwar räumte er erstmals ein, dass es Beschwerden gegeben habe über "angebliche Misshandlungen durch Funktionäre". Er kündigte Ermittlungen an. Im selben Atemzug bezeichnete er aber auch jede Form von Protesten gegen seine Regierung als "faschistisch". Wer zum Staatsstreich aufrufe, werde bestraft, so Maduro.

Immer deutlicher wird, dass der extrem unbeliebte Staatschef dabei nicht mehr gewillt ist, sich mit juristischer Bürokratie aufzuhalten. Laut der venezolanischen Menschenrechtsorganisation Foro Penal wurden im Zuge der Proteste bereits Dutzende Zivilisten vor Militärgerichten abgeurteilt. In mindestens 50 Fällen haben diese Tribunale demnach im Eilverfahren Verhaftungen angeordnet. Foro Penal bezeichnete das als "illegal". Die Armee dürfe nicht über Zivilisten richten. Luis Almagro, der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), wurde wesentlich deutlicher. Er sprach vom "endgültigen Tod des Rechtsstaates". In Venezuela offenbarten sich die schlimmsten Seiten einer Diktatur.

Tatsächlich bildet das Militär längst einen eigenen Staat im Staate. Schon Maduros Vorgänger, der 2013 verstorbene Oberst Hugo Chávez, hatte die Armee zur "Speerspitze der bolivarischen Revolution" erklärt. Aber der Zivilist Maduro treibt die Militarisierung der Gesellschaft besonders eifrig voran. Ohne die Hilfe der Armeeführung könnte er sich vermutlich keinen Tag länger an der Macht halten. Diese Loyalität muss er sich teuer erkaufen - mit Gefälligkeiten und Posten. Etwa ein Drittel der Ministerriege setzt sich inzwischen aus aktuellen oder ehemaligen Generälen zusammen. Die Armee betreibt auch eine eigene Bank, einen Fernsehsender sowie ein Erdöl- und Bergbauunternehmen und streicht die Erlöse ein. Außerdem organisiert sie die Vergabe jener Nahrungsmittel, die noch zur Verfügung stehen, und übt damit eine kaum zu überschätzende soziale Kontrolle aus.

Und der Einfluss wächst, je weniger es zu verteilen gibt. Das Hilfswerk Misereor warnte gerade vor einer "sich anbahnenden Hungerkrise". Die internationale Gemeinschaft müsse Venezuela endlich dazu drängen, den humanitären Notstand auszurufen, um Hilfe aus dem Ausland zu ermöglichen. Maduro nämlich lehnt bislang jede Art von Hilfslieferungen ab. In seiner Parallelwelt gibt es keine Krise.

In der real existierenden Mangelwirtschaft aber ist zuletzt auch die Säuglingssterblichkeit drastisch gestiegen, angeblich um 30 Prozent im zurückliegenden Jahr. Fast 11 500 Kinder haben ihren ersten Geburtstag nicht erlebt. Das sind keine Zahlen von Regierungsgegnern, sie wurden vom Gesundheitsministerium in Caracas veröffentlicht. Zwei Tage später entließ Maduro die Gesundheitsministerin.

Um den Frieden und die Demokratie zu wahren, wie er das ausdrückt, hat der Präsident auch eine Verfassungsreform angestoßen. Es soll eine "Verfassung des Volkes und nicht der Parteien" werden. Anders gesagt: Eine Verfassung nach dem Geschmack des Despoten. Wenn Maduro vom Volk spricht, dann meint er stets jene Minderheiten, die ihm weiter treu zur Seite stehen. Neben der Armeeführung sind das vor allem die chavistischen Basisorganisationen, deren Angehörige unter anderem mit Privilegien bei der Lebensmittelverteilung bei Laune gehalten werden.

Maduro kündigte an, dass die Hälfte der 500 Delegierten seiner verfassungsgeben-den Versammlung aus diesen Gruppen rekrutiert wird. Die andere Hälfte soll auf Gemeindeebene gewählt werden. Dahinter steckt die kaum versteckte Absicht, das von der Opposition kontrollierte Parlament endgültig auszuschalten und die für 2018 anstehenden Wahlen zu verhindern. Die aktuelle Verfassung, die Maduro nun nicht mehr gefällt, wurde 1999 von seinem großen Vorbild Hugo Chávez eingeführt. Sie ist gewiss nicht das größte Problem, das Venezuela derzeit hat. Das Problem ist, dass diese nur noch auf dem Papier existiert.

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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