USA:Der Zauber der verlorenen Sache

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Bis in die Fünfzigerjahre wurden in US-Städten jene Denkmäler für Südstaatler errichtet, über die sich Amerikaner nun teils gewalttätig streiten. Die Verklärung des Bürgerkriegs sollte zur Versöhnung beitragen.

Von Stefan Kornelius, München

Das Gewaltwochenende von Charlottesville und die offen demonstrierte Sympathie für Rechtsextreme durch Präsident Donald Trump hat den USA eine wuchtige Debatte über die Interpretation der eigenen Geschichte und den latenten Rassismus beschert. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen Denkmäler für Vertreter der Südstaaten, die überall im Land an die blutigste Phase der inneramerikanischen Geschichte erinnern.

Von Texas bis North Carolina führen nun Lokalpolitiker und Vertreter der Bundesstaaten hitzige Debatten über die Beseitigung von geschätzt bis zu 700 Statuen und Erinnerungsplaketten, die Begebenheiten oder Figuren aus der Zeit des Bürgerkriegs glorifizieren. Erste Denkmäler wurden bereits abgebrochen. Selbst im Kapitol, dem Gebäude des US-Kongresses in Washington, finden sich zwölf Statuen konföderierter Soldaten, darunter auch ein Monument des umstrittenen Generals Robert E. Lee.

Der Streit hatte sich an dem symbolisch bedeutsamen Reiterstandbild des Südstaaten-Generals Lee entzündet, das auf dem Gelände der Universität von Charlottesville steht, und das Ziel eines Fackelmarsches von Nationalsozialisten, Rassisten, Ku-Klux-Klan-Anhängern und Vertretern der sogenanten Alt-Right-Bewegung war. Die Gruppe, die sich selbst als "Vereinigte Rechte" bezeichnet, demonstrierte gegen einen Stadtratsbeschluss, der die Beseitigung des Reiterstandbildes vorsah. Präsident Donald Trump befeuerte die Geschichtsdebatte mit seinem Satz: "Diese Woche ist es Robert E. Lee. Dann habe ich festgestellt, dass Stonewall Jackson runtergeholt wird. Ich frage mich, ob es nächste Woche George Washington ist? Und Thomas Jefferson in der Woche danach?" Am Donnerstag wiederholte Trump seine Ansicht und heizte die Stimmung erneut an.

Trump stellt Männer, die gegen die USA die Waffen erhoben, auf eine Stufe mit deren Gründern

Der Präsident spielt mit seinen Worten auf die unumstrittene Tatsache an, dass auch die Gründerväter der USA, George Washington und Thomas Jefferson, Sklavenhalter waren. Seit dem frühen 19. Jahrhundert wurde Jefferson, dem Autor der Unabhängigkeitserklärung, eine sexuelle Beziehung mit der Sklavin Sally Hemings nachgesagt, was eine Wissenschaftlerkommission vor 19 Jahren mithilfe von DNA-Analysen und anderen Forschungen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" bestätigte.

Trumps Äußerung löste in der Riege der Historiker helle Empörung aus, die von der Harvard-Professorin Annette Gordon-Reed in einem Satz gebündelt wurde: Es sei doch ein Unterschied zwischen Menschen wie Washington und Jefferson, denen das Land die Einheit verdanke, und den Generälen Lee oder Jackson, deren historische Relevanz darin bestanden habe, die Waffen gegen diese Vereinigten Staaten zu erheben. Trumps Sicht gibt freilich jener Gruppe Auftrieb, die in der Geschichtsschreibung eine Unterdrückung der Sicht des "weißen, ehrlichen Mannes" aus dem Süden sehen.

Dieses verklärende Geschichtsbild wird in den USA mit dem Mythos des ehrlichen Kampfes auf verlorenem Posten gepflegt, "the lost cause". Den Südstaatlern ging es nach dieser Darstellung im Bürgerkrieg um die Erhaltung eines Lebensmodells, der Identität einer "ehrlichen Südstaaten-Mentalität". Diese Lost-cause-Mythologie war nach dem Bürgerkrieg nicht unbedeutend für die Versöhnung der USA, weil sie dem unterlegenen Süden eine plausible Begründung für die Spaltungsbewegung gab.

Etwa 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg (1861 - 1865) erlebten die USA die erste Welle der Glorifizierung der Südstaaten-Generäle und auch der einfachen Soldaten. Aus der Jahrhundertwende und noch einmal später in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts stammen auch die meisten der Denkmäler, die vor allem im Süden in fast jeder Provinzhauptstadt zu finden sind. Auch in den Fünfzigern, zu Beginn der heißen Phase der Bürgerrechtsbewegung, wurden die Denkmäler quasi zur Besänftigung der konföderierten Seele errichtet.

Eine der nachdrücklichsten Dokumente für die Lost-cause-Mythologie gelang der kanadischen Gruppe The Band ausgerechnet 1969, ein Jahr nach dem Tod von Martin Luther King und am Ende der großen Bürgerrechts-Phase, mit "The Night They Drove Old Dixie Down" - einer Hymne an das Südstaatengefühl und den einfachen Soldaten, der im Lied Virgil Caine heißt in Anlehnung an das biblische Bruderopfer Kain.

Zentrale Figur der Südstaatenmythologie aber ist General Robert E. Lee, der am Ende des Bürgerkriegs die konföderierte Armee kommandierte. Nach bemerkenswerten Siegen etwa in der Schlacht am Bull Run und später bei Fredericksburg war sein Ruf als Feldherr auch im Norden unbestritten. Die Geschichtsschreibung des Bürgerkrieges, so umfassend und detailliert wie für kaum ein anderes Ereignis der Welthistorie, erkor Lee quasi zum Gentleman-Kommandeur, zum tugendhaften Vorzeige-Soldaten. Nach wie vor sind Schulen und Straßen nach Lee benannt, in Washington veranstaltet die politische Elite alljährlich ein Abendessen zur Erinnerung an seinen Geburtstag, auch wenn Lee dabei inhaltlich keine Rolle mehr spielt.

Wie viel politische Emotionalität nach wie vor in der Erinnerung und der gespaltenen historischen Bewertung liegt, zeigt ein Zitat des Brooklyner Bezirksbürgermeisters Eric Adams, der die Generäle Lee und Jackson "die Adolf Eichmanns der afroamerikanischen Erfahrung" nannte. James Grossmann, Direktor der Historischen Gesellschaft der USA, reduzierte indes die aufgewühlte Debatte mit dem Blick des Geschichtswissenschaftlers: "Wenn sie Denkmäler verändern, verändern sie nicht die Geschichte. Sie verändern nur, wie wir uns an Geschichte erinnern."

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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