US-Wahlkampf:Sozialarbeiter gegen Kriegsheld

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Der eine glaubt, der andere träumt: Was ihre Autobiographien über John McCain und Barack Obama verraten.

Lilith Volkert

Barack Obama und John McCain: Zwei Politiker, deren frühe Erfahrungen von grundauf verschieden sind. Hier ein selbstsicherer Admiralssohn, der sich im Vietnamkrieg seine militärischen Sporen verdienen will und gefangen genommen wird. Dort ein Afroamerikaner, der unter Weißen aufwächst und verzweifelt nach der eigenen Identität sucht. Beide wollen zum nächsten Präsidenten der USA gewählt werden.

Er folgt der Familientradition und geht zur Navy: John Sidney McCain III im Jahr 1965. (Foto: Foto: AP)

Die Autobiographien der beiden so unterschiedlichen Senatoren sind nicht erst zum Wahlkampf auf dem Markt gekommen. Vor Jahren haben Barack Obama und John McCain ihre Lebensgeschichten aufgeschrieben: 1999 veröffentlichte McCain ein Buch über seine Vita, Obama schon 1995.

Eine gute Gelegenheit, sich fern des Wahlkampfes ein Bild von den Kandidaten zu machen.

In beiden geht es um Amerika, ums Erwachsenwerden - und um die Väter: "Faith of My Fathers" heißt John McCains Autobiographie, "Dreams from My Father" die von Barack Obama. Während McCain der Familientradition folgt und zur Navy geht, verzweifelt Obama an der Abwesenheit seines Vaters.

"Faith" und "Dreams", Glaube und Träume: Wo McCain mit Heldenmut prahlt, breitet Obama offen seine Zweifel und Wünsche aus. Nicht nur ihre Lebensgeschichte, auch die Art, wie sie darüber geschrieben haben, könnte kaum unterschiedlicher sein.

Straftatbestand "Rassenmischung"

Obama schildert seine Kindheit in Hawaii und Indonesien mit Schwung und literarischem Geschick, seine Autobiographie liest sich wie ein ansprechend formulierter Roman.

Ein Verlag hatte bei dem damals 33-Jährigen - er war gerade erster schwarzer Präsident der juristischen Zeitschrift Harvard Law Review geworden - ein Buch über die aktuelle Rassenpolitik in Auftrag gegeben.

Herausgekommen ist ein Buch über die eigenen Erfahrungen. Als Obamas Eltern, eine Entwicklungshelferin aus Kansas und ein Student aus Kenia, 1960 heirateten, galt "Rassenmischung" in mehr als der Hälfte aller Bundesstaaten als Straftatbestand. Zwei Jahre nach Obamas Geburt trennten sie sich, die Mutter folgte ihrem neuen Mann nach Indonesien.

Obama macht den Leser mit zahlreiche Personen vertraut: mit seinen weißen Großeltern Gramps und Toot, bei denen er während der Collegezeit wohnt, mit seiner Halbschwester Auma und all den alleinerziehenden Müttern in den Elendsvierteln von Chicago. Obama lässt an seinen Gedanken ebenso teilhaben wie an lebhaften Diskussionen mit Freunden und Kollegen. Das berührt, das reißt mit.

Draufgänger mit Problemen

Von John McCain sagt man, dass er leise spricht. Er zeigt wenig Emotion und emotionalisiert wenig - und genauso schreibt er auch: Beim Lesen hört man förmlich, wie er mit monotoner Stimme die militärischen Erfolge seines Vaters und Großvaters aufzählt.

McCains langjähriger Redenschreiber Mark Salters hat als Ko-Autor "Faith of My Fathers" mitverfasst und vermutlich kaum dazu beigetragen, den Ton weniger protokollarisch klingen zu lassen.

Dabei gibt es durchaus Parallelen mit Obama: Auch John McCain hatte eine unstete Kindheit - der Beruf des Vaters zwang die Familie, alle paar Jahre umzuziehen. Als Jugendlicher rebellierte er gegen seine Umgebung.

Anders als Obama behält er seine Probleme für sich. Stattdessen inszeniert sich McCain lieber als Draufgänger. Wegen mehrerer Regelverstöße wäre er fast von der renommierten Marineakademie geflogen, schließlich schloss er als Fünftschlechtester seiner Klasse ab.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was John McCain in Vietnam erleiden musste und warum Barack Obama Drogen nahm.

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Obama war erst 33 Jahre alt, als er seine Autobiographie schreibt, McCain genau 30 Jahre älter. Trotzdem merkt man gerade den Erinnerungen des Jüngeren die durchlaufene Entwicklung an.

Das Wichtigste ist eine gute Ausbildung: Madelyn Lee Payne Dunham freut sich 1979 über den Highschool-Abschluss ihres Enkels. (Foto: Foto: AP)

"Ich wollte die Frage, wer ich war, aus meinem Kopf bekommen"

Barack Obama war von früher Kindheit an mit unterschiedlichen Kulturen konfrontiert, während des Studiums in Los Angeles und New York setzt er sich zum ersten Mal für die Rechte von Schwarzen ein. Trotzdem fühlt er sich verloren, raucht Joints und nimmt Kokain: "Ich wollte die Frage, wer ich war, aus meinem Kopf bekommen", schreibt Obama.

Er schafft es nicht und sucht die Antwort in den Elendsvierteln von Chicago. Als Sozialarbeiter wächst er langsam in die politische Arbeit hinein - und in den christlichen Glauben. Auch hier schildert er seine Vorbehalte - und schließlich seine Bekehrung - ausführlich.

Dramaturgischer Höhepunkt seiner Autobiographie ist eine Reise zu den Verwandten in Kenia. Hier fühlt er sich geborgen. Er kehrt mit vielen Eindrücken, aber auch mit neuen Fragen nach Hause zurück. Wie kann man Rassenprobleme lösen, wenn sich wie in Kenia nicht nur Schwarze und Weiße mit Vorurteilen begegnen, sondern sich auch die einzelnen Volksstämme gegenseitig misstrauen?

"Dreams from My Father" war ein Bestseller - allerdings erst in der zweiten Auflage, die herausgegeben wurde, als Obama bereits Senator von Illinois war. Für die Hörbuchfassung erhielt er vor zwei Jahren einen Grammy.

"Meine Schande schüttelte mich wie Fieber"

John McCains Entwicklung zum ernsthaften Patrioten findet auf tragische Art und Weise statt: Als 31-jähriger Marinepilot wird McCain über Hanoi abgeschossen und schwer verletzt. Fünfeinhalb Jahre wird er gefangen gehalten - auch weil er sich weigert, wegen seines prominenten Vaters vor seinen Kameraden freigelassen zu werden.

Bei der Beschreibung von Folter und Isolationshaft wirken McCains knappe Sätze auf einmal angemessen: "Das waren die zwei schlimmsten Wochen meines Lebens. Ich konnte mein Geständnis vor mir selbst nicht wegdiskutieren. Ich schämte mich. Ich zitterte, meine Schande schüttelte mich wie Fieber", beschreibt McCain seine Verzweiflung, als er nach viertägiger Folter seine Kriegsverbrechen "gestanden" hatte.

Später spricht er von einer prägenden Zeit, in der er alle wichtigen Erfahrungen gemacht habe, für die andere ein ganzes Leben bräuchten: "Vietnam hat mich eindeutig zum Besseren verändert." Zweifel am Sinn des Krieges sucht man vergebens.

Die Kapitel über McCains Zeit in Vietnam sind es wohl auch, die "Faith of My Fathers" zu einem Bestseller gemacht haben. Das Buch wurde mehr als 500.000 mal verkauft und anschließend verfilmt. Erst seitdem ist der Kriegsheld fester Teil von McCains Auftreten - vorher hatte er sich gegen diese Rolle gewehrt.

Ein patriotischer Kampf

John McCain und Barack Obama beschreiben beide auch einen Kampf: Der eine kämpft gegen die Kommunisten in Vietnam, der andere gegen die Auswirkungen eines ungerechten Kapitalismus in den Elendsvierteln von Chicago. Vor allem Obamas Buch liest sich stellenweise wie ein politisches Programm - obwohl er noch kein Politiker war, als er es geschrieben hat: "Es gibt nicht ein liberales und konservatives Amerika, ein schwarzes und ein weißes Amerika, ein Amerika der Latinos und eines der Asiaten. Was es gibt, das sind die Vereinigten Staaten von Amerika."

Nebenbei offenbaren die Autoren ihre Persönlichkeit: McCain stellt sich als ewig Unangepassten dar - auch im Wahlkampf hat er sich lange als "Maverick", als Einzelkämpfer, zu inszenieren versucht. Obamas Bekenntnis zu Zweifeln, Schwächen und Drogenkonsum verstärkt nur seine Glaubwürdigkeit.

Würde der amerikanische Präsident von der Schriftstellervereinigung PEN gewählt, das Ergebnis wäre eindeutig: Obama siegt mit seiner literarisch anspruchsvollen Selbstbefragung klar vor McCain mit seiner brav erzählten Heldengeschichte. Die deutschen Buchhändler haben das erkannt: Während Obamas Autobiographie stapelweise in deutscher Übersetzung ausliegt, muss man nach dem englischen Original von John McCains Buch suchen. Nur ein einziges steht ganz hinten im Regal.

Barack Obama: "Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie" Hanser, 448 S.

John McCain: "Faith of My Fathers. A Family Memoir", Random House, 368 S.

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