US-Wahl:Mission Klinkenputzen

Lesezeit: 3 min

Per Internet, am Telefon oder mit einer Heerschar freiwilliger Klinkenputzer: Beide Lager versuchen noch an den letzten Tagen, ihre Anhänger an die Wahlurnen zu bringen.

Christian Wernicke

Der Moderator im Fernsehen macht ein todernstes Gesicht. Drei Tage ist Amerikas Wahl her, und soeben hat die New York Times den Namen dieses einen, alles allein entscheidenden Nichtwählers enthüllt: Dank dessen Faulheit sei der Republikaner John McCain wider Erwarten Präsident geworden ist.

Barack Obama und ein Wahlhelfer: Eine Heerschar freiwilliger Klinkenputzer versuchen an den letzten Tagen noch, Anhänger an die Wahlurne zu bringen. (Foto: Foto: AFP)

Der Sender zeigt Protestdemos und berichtet, die Polizei habe den Bürger - "ein nationaler Paria" - bereits in Haft genommen, zu seinem Schutz.

Nur George W. Bush, der Amtsinhaber, huldigt und dankt dem Nichtwähler "für seinen Dienst am Vaterland".

Der TV-Sender spekuliert noch, ob "schon am Samstag ungefähr zum Mittagessen" die US-Luftwaffe ihren Nuklear-Angriff auf Iran beginnt - da endlich kommt die Erlösung per Nachspann: "Vote Obama on Nov. 4th" lautet die Moral des Werbespots - wähl' Obama am 4. November.

Mehr als elf Millionen Mal hat MoveOn.org, eine linke Lobbygruppe, das Video verschickt. Der 1:37 Minuten lange Clip ist ein Clou im Internet, denn jeder Benutzer kann individuell den Namen eines Freundes und Kollegen eingeben und verschicken: Eine Minute später erhält der Kumpel per E-Mail den Link zu einer Version des Videos, die allein diesem Adressaten die Schuld gibt für Obamas Niederlage. Das amüsante Spiel mit der Angst soll die Linke zur Wahl treiben, und bis zum Dienstag möchte MoveOn.org insgesamt 15 Millionen Wählern auf diese Art Beine machen.

Per Internet, am Telefon oder mit einer Heerschar freiwilliger Klinkenputzer versuchen dieser Tage beide Lager, ihre Anhänger an die Wahlurnen zu bringen. "Get-out-the-Vote", kurz GOTV, heißt diese Operation - und 2004, so das einhellige Urteil der Analysten, entschied eine Übermacht konservativer Freiwilliger die Wahl zu Gunsten von George W. Bush. David Plouffe, oberster Kampagnen-Manager von Barack Obama, studierte genau, wie Bush-Berater Karl Rove seine mehr als eine Million Männer und Frauen starke "Army of Persuasion" aufgestellt hatte.

Nun schlagen die Demokraten zurück, mit sogar fünf Millionen Freiwilligen. So viele Fußsoldaten vermag John McCain, der Veteran, bei weitem nicht für seine Sache zu mobilisieren. Selbst Karl Rove, einst der Meister der republikanischen Maschine, hat die demokratische Übermacht kürzlich anerkannt. Er nahm's persönlich, als Kompliment: "Nachahmung ist schließlich die ehrlichste Form der Schmeichelei."

Seit Tagen treiben Obamas und McCains Fußtruppen die Wähler an die Stimm-Computer. Denn 34 Bundesstaaten erlauben es den Bürgern, schon vor dem 4. November abzustimmen. Jeder dritte US-Wähler, so prognostiziert eine Studie des Pew Centers, werde davon Gebrauch machen; vor zehn Jahren waren es nur zehn Prozent. Und Umfragen unter den Frühwählern, die in umkämpften Staaten wie Florida in langen Schlangen warten, geben als Trend vor: Diesmal sind die Demokraten stärker motiviert als die Republikaner.

In North Carolina, einst eine republikanische Hochburg, stimmten bis zum Wochenende bereits 210.000 als Demokraten eingeschriebene Afro-Amerikaner ab, wohl für Obama. Das waren mehr Wähler, als die Republikaner insgesamt in dem Staat mobilisieren konnten. Und in Colorado gab mehr als die Hälfte aller registrierten Wähler bereit ihre Stimme vor Montagabend ab. Das dürfte Obama nützen, denn seine Kampagne hatte vor allem die Latinos aufgerufen, sehr früh oder per Briefwahl abzustimmen. Und in dieser Wählergruppe dürfte der schwarze Senator etwa zwei Drittel aller Stimmen ergattern.

Sämtliche Demoskopen rechnen in diesem Jahr mit einer Rekord-Wahlbeteiligung. Dies liegt daran, dass vor allem die Obama-Kampagne monatelang US-Bürger antrieb, sich ins Wählerverzeichnis ihres Staates einzuschreiben. Nur wer registriert ist, darf in Amerika auch wählen - und allein in den zwölf am härtesten umkämpften Bundesstaaten kamen so mehr als vier Millionen potentielle Wähler neu hinzu.

Dennoch wird Amerika am Mittwoch wieder eine niedrige Wahlbeteiligung melden. Denn die US-Statistik misst das demokratische Engagement, indem sie die Zahl der abgegebenen Stimmen teilt durch die Zahl der Menschen im wahlberechtigten Alter. Das sind 231 Millionen Menschen, von denen jedoch etwa 19 Millionen Ausländer sind. Weitere 3,3 Millionen Amerikaner dürfen nicht wählen, da sie im Gefängnis sitzen oder durch Vorstrafen ihr Stimmrecht verloren haben.

Tatsächlich dürfen also nur 213 Millionen US-Bürger abstimmen, so schätzt das Election Project der George Mason University. Theoretisch. Da aber von diesen 213 Millionen wiederum nur etwa 85 Prozent registriert sind, taxiert das Pew Center die Zahl der tatsächlich Wahlberechtigten auf 177 Millionen. Legt man diese Zahl zugrunde, kämen die USA in diesem Jahr auf eine Wahlbeteiligung von klar über 70 Prozent - was wiederum ein Rekord wäre.

© SZ vom 04.11.2008/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

US-Wahlkampf im Rückblick
:Drei Monate Seifenoper

Die Wahlkampfmaschinerie in den USA ist heißgelaufen: Welche Fehler und Peinlichkeiten im Eifer der dreimonatigen Gefechte den Kandidaten unterliefen. Ein Rückblick in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: