US-Vorwahlen:Der Mann, der den Sozialismus cool machte

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Bernie Sanders' Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten ist wohl vorbei - hinnehmen will er das aber noch nicht.

Von Nicolas Richter, Washington

Alles ist wie immer: die Ballade von Simon and Garfunkel aus den Lautsprechern, die tiefblauen "Bernie"-Schilder, die jubelnden Fans. Vor allem ist Bernie Sanders wie immer. Der Sozialist aus Vermont, der sich um die Kandidatur der Demokraten für das Weiße Haus bewirbt, reckt seinen rechten Zeigefinger in die Höhe und zählt seine Lieblingsfeinde auf, Wall-Street-Banken, Konzerne, reiche Parteispender. "Wir werden kämpfen", ruft er am Dienstagabend im kalifornischen Santa Monica, "nächste Woche bei der letzten Vorwahl in Washington. Und dann setzen wir unseren Kampf für soziale Gerechtigkeit in Philadelphia fort", Ende Juli beim Parteitag der Demokraten.

Alles ist wie immer, nur dass es eben vorbei ist. Als Sanders zu seiner tausendfach erprobten Rede anhebt, hat sich seine demokratische Rivalin Hillary Clinton gerade zur Siegerin der Vorwahlen erklärt, nachdem ihr die Agentur Associated Press die absolute Mehrheit der Delegierten vorausgesagt hatte. In der Nacht, da Sanders in Santa Monica zum Durchhalten aufruft, gewinnt Clinton auch noch die Vorwahlen in Kalifornien, New Jersey und New Mexico. Sie hat in den Abstimmungen seit Januar Millionen Stimmen mehr bekommen als er. Objektiv gesehen also ist das Rennen gelaufen. Aber Bernie Sanders und seine Fans möchten es noch nicht hinnehmen.

Wie kein anderer hat es Sanders geschafft, junge, enthusiastische Wähler zu mobilisieren

Große Wahlkampagnen enden nicht einfach so, schon gar nicht diese. Sanders hat es wie kein anderer in diesem Wahljahr geschafft, junge, enthusiastische, energiegeladene Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Sanders nennt es eine "Bewegung" für soziale Gerechtigkeit. Er selbst ist ein Jahr lang als unbestechlicher und unermüdlicher Kritiker der herrschenden Verhältnisse aufgetreten, auch ihm dürfte es schwerfallen, einfach aufzuhören. Sanders ist etwas gelungen, das niemand erwartet hat: Er hat den Sozialismus wieder salonfähig, sogar cool gemacht in Amerika. "Sozialismus war ein Unwort", sagt der einstige grüne Präsidentschaftskandidat Ralph Nader. "Sanders hat es in den Mainstream geführt. Er hat das Tabu beendet." Was Sanders verlangt, von der Krankenversicherung bis zum Gratis-Studium, ist - nach europäischem Verständnis - zwar nicht so sehr sozialistisch als sozialdemokratisch. Aber Sanders hat dem Wort den Schrecken genommen, der ihm noch aus Zeiten des Kalten Kriegs anhaftete, und er hat echte Begeisterung geweckt für eine Agenda größerer sozialer Gerechtigkeit.

Natürlich, es bleibt ihm ein rechnerischer Weg zum Sieg. Bei den Demokraten entscheiden zwei Gruppen über den Kandidaten oder die Kandidatin: Es sind erstens die Delegierten, die man bei Vorwahlen erobert. Und es sind zweitens die "Superdelegierten", also Parteifunktionäre, die entscheiden können, wie sie wollen. Sie haben sich überwiegend für Clinton ausgesprochen. Sanders aber setzt darauf, dass Hunderte Superdelegierte ihre Meinung noch ändern und beim Parteitag für ihn stimmen. Das ist insofern paradox, als Sanders wenig mit der Partei verbunden ist, weil er immer ein Unabhängiger war; er ist den Demokraten überhaupt nur beigetreten, um sich für das Weiße Haus zu bewerben. Und er hat das "Establishment", zu dem neben Clinton auch die Superdelegierten gehören, meist zum Problem erklärt. Es ist also unwahrscheinlich, dass die Partei doch noch Sanders wählt.

"Wir werden kämpfen", kündigt Bernie Sanders im kalifornischen Santa Monica an. Seine Rivalin Clinton hat sich da gerade zur Siegerin erklärt. (Foto: Jonathan Alcorn/AFP)

Realistischer ist es zu fragen, wie sich die Partei nun wieder einen lässt, und welche Bedingungen Sanders dafür stellt. Clinton weiß, dass dieser Prozess schwierig ist, sie hat es selbst erlebt, als sie die Vorwahlen 2008 gegen Barack Obama verloren hat. Am Dienstag hat sie immerhin damit begonnen, um Sanders sowie dessen Anhänger zu werben. In ihrer Siegesrede würdigte sie seine "außergewöhnliche Kampagne", und dass er Millionen Wähler begeistert habe, "vor allem junge Leute".

Donald Trump könnte den Demokraten dabei helfen, sich zusammenzuraufen

Die folgenreichste Frage für die Hauptwahl im Herbst ist es, ob Sanders seine glühenden Anhänger tatsächlich dazu bewegen kann, für Clinton zu stimmen. Während er seinen Wahlkampf mit einer positiven Botschaft begonnen und angekündigt hat, Clinton nicht persönlich anzugreifen, hat er dies später doch getan. Er stellte ihre Integrität und ihr Urteilsvermögen in Frage, und je mehr er dies tat, desto erfolgreicher wurde er. Jetzt, da sich die Partei zusammenrauft, müsste Sanders die Establishment-Figur Clinton wieder loben. Teile seiner Anhängerschaft dürften der Partei so treu sein, dass sie nun eben Clinton unterstützen. Doch es gibt unter seinen Fans, gerade im Arbeitermilieu, auch erbitterte Gegner der herrschenden Klasse, aus deren Sicht Clinton den globalisierten Konzernen, den Banken und den Großspendern viel zu nahe steht. Manche Sanders-Fans haben abgekündigt, sich im Herbst zu enthalten oder sogar für den Republikaner Donald Trump zu stimmen.

Andererseits aber könnte Trump den Demokraten dabei helfen, ihre Spaltung in Clinton- und Sanders-Lager zu überwinden. Sowohl Clinton als auch Sanders haben den Geschäftsmann aus New York zur Gefahr für das Land erklärt. Als Sanders am Dienstag in Santa Monica spricht, lässt er keinen Zweifel daran, wer sein nächster Gegner sein wird und dass er ihn so energisch angreifen wird wie bisher Clinton. "Das amerikanische Volk wird niemals einen Kandidaten wählen, dessen Hauptbotschaft Engstirnigkeit ist", sagt er. Gemeint ist Trump.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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