US-Regierung:Fürchtet euch

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Durch den Abschied des obersten Wirtschaftsberaters Gary Cohn gewinnt im Weißen Haus ein Mann an Einfluss, der reichlich bizarre Thesen vertritt: Peter Navarro.

Von Alan Cassidy und Claus Hulverscheidt

"Immer auf der Suche nach Perfektion": Der Wirtschaftsberater des US-Präsidenten, Gary Cohn (rechts), mag seinem Chef Donald Trump nicht mehr folgen. Er hat seinen Rücktritt angekündigt. (Foto: Aaron Bernstein/Reuters)

Schon einmal hatte ein Rücktrittsgesuch auf Gary Cohns Schreibtisch gelegen, es fehlte nur noch seine Unterschrift. Das war im vergangenen Sommer. Seit Monaten hatten die verschiedenen Fraktionen im Weißen Haus da schon über den richtigen Kurs in der Handelspolitik gestritten, doch es war etwas sehr viel Grundsätzlicheres, das den obersten Wirtschaftsberater zornig machte: Ein Neonazi hatte in Virginia eine Demonstrantin ermordet, und Cohns Chef Donald Trump schaffte es einfach nicht, den Täter unzweideutig zu verurteilen. Als der Ex-Banker öffentlich durchblicken ließ, wie sehr ihn die Reaktion des Präsidenten entsetzte, schien die Sache entschieden zu sein. Doch in letzter Sekunde zuckten beide Seiten zurück: Trump brauchte Cohn, und dieser wiederum scheute sich, das Weiße Haus zu verlassen, ohne einen einzigen inhaltlichen Erfolg vorweisen zu können.

Am Dienstagabend nun hat Gary Cohn doch seinen Rücktritt angekündigt - und diesmal ging es sehr wohl um die Wirtschaftspolitik, genauer gesagt um die Frage, ob die Einführung aller möglichen Zölle die richtige Antwort auf tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeiten im Welthandel ist. Cohn, ein weltoffener, rationaler Liberaler, hatte intern wiederholt klargemacht, für wie fatal er Trumps Liebäugelei mit einem Handelskrieg hält. Doch am Ende musste der 57-Jährige, einst die Nummer zwei bei der Investmentbank Goldman Sachs und der Verbindungsmann des Präsidenten zur Wall Street, einsehen, dass Argumente und nüchterne Berechnungen allein nicht ausreichen, um einen impulsgesteuerten, populistisch veranlagten Menschen wie Trump zu überzeugen.

Mit Cohns Abgang endet eine kurze Phase, in der es so aussah, als hätten die globalisierungsfreundlichen Kräfte in der Regierung den internen Richtungsstreit für sich entschieden. Als ein Beleg dafür galt etwa die Entlassung des Chefstrategen Steve Bannon, der das Lager der Populisten, Protektionisten und Peking-Hasser angeführt hatte und bereits einen militärischen Konflikt zwischen den USA und dem künftigen politischen und ökonomischen Hauptrivalen China heraufziehen sah.

In Kanada nennen sie den Handelsberater Peter Navarro schon einen "Albtraum"

Doch auch wenn der Rechtspopulist das Weiße Haus verlassen musste: Sein Geist blieb - und es war vor allem der Präsident höchstselbst, der sich davon immer mehr einhüllen ließ. "Wo bleiben meine Stahlzölle?", soll Trump immer wieder verdrießlich gefragt haben in jenen Wochen, in denen Cohn und seine Mitstreiter die Einführung just dieser Zölle zu verhindern suchten. Am Ende gingen dem Wirtschaftsberater schlicht die Mitstreiter aus: Die Top-Kräfte Rob Porter und Hope Hicks kündigten, Trumps Schwiegersohn Jared Kushner wurde degradiert. Letzter echter Globalisierungsfreund unter den Führungskräften der Regierung ist nun Finanzminister Steven Mnuchin. Doch zum engsten Kreis im Weißen Haus zählt er nicht, und ohnehin ist er keiner, der offen gegen den Chef aufsteht. Im Gegenteil: Die wenigen Pressemitteilungen, die er bisher verschickte, sind ein Ausbund an Liebedienerei gegenüber dem Präsidenten, zu der sich keiner seiner teils so mächtigen Amtsvorgänger je herabgelassen hätte.

Somit ist die Bahn frei für einen Mann, der längst abgemeldet schien im Trumpschen Universum. Dabei ist es fast schon egal, ob Peter Navarro nun neuer oberster Wirtschaftsberater wird, wie manche spekulieren, oder "nur" zum persönlichen Assistenten des Präsidenten für Handelsfragen aufsteigt, wie es bereits vor Cohns Demission geplant war. Entscheidend ist: Nach langer Anlaufphase scheinen sich tatsächlich seine Ideen im Weißen Haus durchgesetzt zu haben. Für wichtige US-Handelspartner wie China, Deutschland und Kanada ist das eine besorgniserregende Nachricht. Der kanadische Kolumnist Lawrence Martin bezeichnete Navarro bereits als "Ottawas schlimmsten Albtraum".

Trump sagt, in seinem Umfeld gebe es kein Chaos, "nur große Energie"

Grund ist Navarros ungewöhnliche - einige sagen: obskure - Vorstellung von wirtschaftlichen Zusammenhängen, die den 68-Jährigen als Ökonom und Buchautor bekannt machten und so in Trumps Blickfeld beförderten. Navarro glaubt, dass Länder wie Deutschland und China den Wechselkurs ihrer Währungen manipulieren, um sich Handelsvorteile zu verschaffen. Insbesondere die Chinesen sind in seiner Weltsicht wahre Dämonen, die nach nichts anderem trachten, als den USA wirtschaftlich und politisch zu schaden. Handelsdefizite, wie sie die Amerikaner im Warenverkehr mit vielen anderen Staaten aufweisen, hält Navarro für ein Zeichen von Schwäche und Unterwerfung. Die US-Industrie drängt er dazu, ihre weltweiten Lieferketten zu zerschlagen und das Gros der Produkte wieder daheim herzustellen. Dabei helfen sollen hohe Schutzzölle und der Verzicht auf multilaterale Handelsverträge wie Nafta (Nordamerika) und TPP (Amerika/Asien).

Navarros Weltsicht ist, kurz gesagt, das glatte Gegenteil all dessen, woran Gary Cohn glaubt. Dass ein Regierungschef zwei Berater einstellt, die einen so unterschiedlichen Blick auf die Welt haben, wäre andernorts wohl undenkbar - nicht jedoch aus der Sicht dieses so eigenartigen Präsidenten. "Ich mag den Konflikt", erklärte Trump am Dienstag, "ich mag es, wenn zwei Leute unterschiedliche Ansichten haben, ich mag es, dabei zuzusehen." So führte der heute 71-Jährige schon seinen Immobilienkonzern, und so machte er es auch in seiner Fernseh-Show "The Apprentice": Hol alle in einen Raum, lass sie sich gegenseitig angreifen, und triff dann eine unerwartete Entscheidung. Das Weiße Haus als Reality-TV-Bühne. Mit "Chaos", so schob Trump wenig später im Kurzmitteilungsdienst Twitter nach, habe das alles nichts zu tun, das sei eine Erfindung der Medien. "Es gibt kein Chaos, nur große Energie!"

Ob nun Chaos oder Energie: Fakt ist, dass sich die Personalwechsel häufen wie in keiner US-Regierung zuvor. 43 Prozent der Spitzenleute im Weißen Haus sind bereits gegangen, wie das Politik-Institut Brookings errechnet hat. Dazu gehören ein Stabschef, drei Kommunikationsdirektoren, ein Chefstratege, ein nationaler Sicherheitsberater und ein Pressesprecher. Nicht einmal die Hälfte jener etwa ein Dutzend Personen, die einst zum engsten Zirkel des Präsidenten gehörten, ist noch da. Trumps Verteidiger geben sich Mühe zu betonen, dass jeder einzelne Abgang für sich schlüssig zu begründen sei. Tatsächlich aber gibt es einige Dinge, die viele Personalwechsel verbindet. Da ist zum einen die Sprunghaftigkeit des Präsidenten, der nur selten klare, kohärente politische Ziele formuliert, sondern in wichtigen Themen - Einwanderung, Außenpolitik, Waffen - seine Meinung ohne Vorlauf ändert. Damit verschärft er die Flügelkämpfe und Palastintrigen seiner Berater noch, die sich intern und über gezielte Indiskretionen in den Medien gegenseitig anschwärzen - bis wieder einer geht oder gehen muss.

Und da ist zum anderen die Unruhe, die durch die Russland-Untersuchung des Sonderermittlers Robert Mueller ins Weiße Haus hineingetragen wird. Sichtbar wird sie etwa in Trumps öffentlichen Beschimpfungen seines Justizministers Jeff Sessions, den er für Muellers anhaltende Untersuchung mitverantwortlich macht. Sichtbar wird sie auch in Kushners Problemen. Dessen geschäftliche Verstrickungen haben ihn im Ausland erpressbar gemacht, was seine Stellung im Weißen Haus massiv schwächt. Auch Kommunikationschefin Hicks kündigte nur einen Tag nachdem sie vor dem Geheimdienstausschuss Fragen zur Russland-Affäre hatte beantworten müssen - unter anderem, ob sie für Trump schon einmal gelogen habe.

Zu einer beständigen, berechenbaren Politik tragen all diese Personalwechsel nicht bei. Bereits nach dem Abgang des Büroleiters Porter, der seine Frauen geschlagen haben soll und deshalb gehen musste, hatte es in Washington geheißen, dass sich die regierungsinternen Abläufe verschlechtert hätten. Jetzt, nachdem auch Cohn geht, befürchten manche noch Schlimmeres. Es habe im Weißen Haus eine Unmenge an schlechten Ideen gegeben, die glücklicherweise kurz vor der Umsetzung noch abgewürgt worden seien, zitiert das Magazin Politico einen ungenannten Regierungsvertreter. Politisch müsse man sich deshalb vor der Zeit nach Cohn fürchten.

Anzeichen dafür, dass personell bald Ruhe einkehren wird, gibt es keine. Im Gegenteil: Die Gerüchte, wonach auch Stabschef John Kelly und Sicherheitsberater Herbert McMaster die Regierung bald verlassen könnten, halten sich beständig. Es gebe da immer noch ein paar Leute, die er auswechseln wolle, twitterte Trump am Dienstag: "Immer auf der Suche nach Perfektion."

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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