Unruhen im Jemen:Erschöpft in jeder Hinsicht

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Ausufernde Korruption, zur Neige gehende Erdölvorräte, übermächtige Stämme, eine wachsende Islamisten-Szene: Auf den Nachfolger von Jemens Präsident Salih kommen riesige Probleme zu.

Rudolph Chimelli

Die große Mehrheit der Jemeniten und die politische Opposition sind gegen Präsident Ali Abdullah Salih. Er selbst hat offenbar begriffen, dass er sich nicht mehr halten kann, nachdem ihm wegen der Massaker vom vergangenen Freitag zahlreiche wichtige Militärs die Gefolgschaft aufgesagt hatten. Deshalb scheint Salih jetzt bereit zu sein, seine Macht in andere Hände zu legen. Ob diese Konzession aber jetzt noch ausreicht, um die Lage zu stabilisieren, ist ungewiss. Wichtiger ist vielmehr die Frage, was aus dem Jemen nach 32 Jahren der Herrschaft von Salih wird - sofort oder in einigen Monaten.

Proteste im Jemen - in Bildern
:Die Wut der Massen

Proteste auf dem Platz des Wandels: Seit Wochen fordern die Demonstranten in der jemenitischen Haupstadt Sanaa nach dem Vorbild anderer arabischer Länder den Rücktritt von Präsident Salih. Die Bilder.

Die Revolutionäre in Tunis und Kairo haben die Einheit des Landes nie in Frage gestellt. Auch in Libyen wollen die Rebellen die Macht über das ganze Territorium. Ganz anders im Jemen, wo zentrifugale Kräfte am Werk sind. Im Süden der ehemals kommunistischen Volksdemokratischen Republik Jemen träumen viele von neuer Unabhängigkeit. Sie sind zuletzt vor 17 Jahren von Salih mit militärischer Gewalt an der Separation gehindert worden.

Für den Augenblick hat sich der Süden der gemeinsamen Forderung der Opposition nach Rücktritt des Präsidenten angeschlossen. Aber schon jetzt kommt es in den südlichen Provinzen fast jede Woche zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Unzufriedenen und den Vertretern der Zentralgewalt. Im Norden sind es die Houthi-Rebellen des zaidistischen Zweiges des schiitischen Islam, die mit Unterbrechungen seit sieben Jahren gegen ihre wirtschaftliche Vernachlässigung durch Sanaa kämpfen.

Formell streben sie nicht nach Unabhängigkeit, aber sie möchten ihr religiöses und kulturelles Eigenleben dagegen sichern, dass sie weiterhin wie unter Salih dem wachsenden Einfluss des puritanischen Saudi-Arabischen ausgesetzt sind. Salih, obwohl selbst Zaidit, ist auf die Finanzhilfe der Saudis angewiesen. Die wichtigste politische Gruppierung ist die Islah (Reform). In ihr sind sowohl gemäßigte als auch radikale Islamisten mit Vertretern der Stämme zusammengeschlossen. Die Islah hat manchmal der Regierung angehört - und oft der Opposition. Wichtiger als alle Parteien sind jedoch die Stammesverbände, an erster Stelle die beiden größten, die Bakil und die Haschid. Salih selbst gehört den Ahmar an, einem Stamm der Haschid, deren Führer sich bereits vom Präsidenten abgewandt haben.

Wie sich die Stämme verhalten, ist für die Zukunft des Jemen entscheidend. Sie legen Wert auf eine weitgehende Hausmacht in ihren Wohngebieten und finden sich mit einer Zentralmacht nur ab, wenn diese ihre Interessen und ihre gesellschaftlichen Vorstellungen anerkennt. Islamische Extremisten haben bei den unzufriedenen Stämmen und in der verarmten Bevölkerung eine breite Basis. Als die Strukturen von al-Qaida vor einigen Jahren in Saudi-Arabien zerschlagen wurden, zog sich ihr organisatorischer Kern in den Jemen zurück. Seit Jahren kann Salih nicht das ganze Staatsgebiet kontrollieren. Antiamerikanische Gefühle sind verbreitet. Bei vielen Stämmen profitieren die Extremisten vom traditionellen Gastrecht. Aber auch in Sanaa ist al-Qaida nicht ohne Einfluss. Ein Teil des jemenitischen Sicherheitsapparates konnte von ihr infiltriert werden.

Zwei unterschiedliche politische Gruppierungen destabilisieren über die Proteste in der Hauptstadt Sanaa hinaus die Lage in dem armen südarabischen Landes: die Houthi-Rebellen im Nordwesten bei Saada und die Separatisten im ehemaligen sozialistischen Südjemen um Aden. (Foto: SZ-Karte)

Am gefährlichsten für die Stabilität des Jemen sind Unterentwicklung und Armut. Von den 24 Millionen Einwohnern vegetieren zwei Drittel am Rande des Existenzminimums. Die kleinen Erdölvorräte des Landes erschöpfen sich rasch. Auch die Wasserreserven gehen ihrem Ende entgegen. Korruption bis in die höchsten Kreise des Regimes ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Gegen alle diese Grundübel hat der jetzt 69-jährige Salih so gut wie nichts ausgerichtet. Die Macht, zu deren Erhaltung viel Geld für Waffen ausgegeben wird, wurde für ihn zum Selbstzweck. Die großzügige amerikanische Hilfe für Salihs Sicherheitsapparat war von der Erwartung getrieben, er werde al-Qaida unter Kontrolle halten. Dieses Interesse wird fortbestehen, wer immer ihn an der Spitze des Staates ablöst. Auch die Nachfolger werden sich aus dieser finanziellen Abhängigkeit kaum lösen.

Salih hat in den Streitkräften viele Angehörige seines Stammes, der Ahmar, plaziert. Auch wenn der Präsident jetzt betont, er wolle kein Militärregime, ist ein Zusammenspiel jenes großen Stammes mit den Kommandeuren eine Option für die Zukunft des Jemen, viel wahrscheinlicher als eine funktionierende Demokratie. Die anderen Optionen wären Anarchie und Staatszerfall.

© SZ vom 23.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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