Ungarn und die EU-Fiskalunion:Erst nein, dann vielleicht

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Vor seinen Landsleuten soll Ungarns Premier Orbán von Brüssel schon mal als dem "neuen Moskau" gesprochen haben, seine Haltung zur Fiskalunion hat der Regierungschef jedoch überraschend schnell modifiziert. Nach anfänglicher Ablehnung will er nun das Parlament zu dem Reformvertrag befragen und erst dann entscheiden. Gute Gründe gäbe es sowohl für ein Ja als auch für ein Nein.

Cathrin Kahlweit

In der Nacht der Entscheidung, als in Brüssel um die neue Fiskalunion der EU gerungen wurde, hatte es zuerst geheißen, genau zwei Staaten blockierten den Plan: das wichtige Großbritannien - und das kleine Ungarn.

Premier Viktor Orbán will erst das Parlament in Budapest mit der Frage befassen, ob Ungarn dem Vertrag zustimmen solle. (Foto: REUTERS)

Am Freitag hatte sich das Nein dann in ein Vielleicht gewandelt: Ungarns Premier Viktor Orbán habe seine Haltung modifiziert, war zu hören; er wolle erst das Parlament in Budapest mit der Frage befassen, ob Ungarn dem Vertrag zustimmen solle - und dann eine endgültige Position einnehmen. Das bestätigte wenig später auch der Pressesprecher der ständigen Vertretung Ungarns in Brüssel, Marton Hajdu. Er könne zwar nicht sagen, wie Orbán persönlich über die Fiskalunion und die darin verankerte schärfere Haushaltskontrolle für die EU-Staaten denke, aber er wisse sicher, dass sein Premierminister erst nach einer Befassung des Parlaments zustimmen oder ablehnen werde, so Hajdu zur Süddeutschen Zeitung.

Die Nachrichtenagenturen präsentierten kurz darauf ein hübsches Rechenexempel: "27 - 1 statt 17 + 6" lautete die Überschrift einer Meldung, denn unversehens war Ungarn nun aus dem Neinsager-Club, in dem vorerst allein Großbritannien verbleibt, in die Vielleicht-Gruppe mit Tschechien und Schweden gerutscht. In der politischen Abteilung der ungarischen Botschaft in Berlin war man jedenfalls dankbar für die Hinweise des Brüsseler Kollegen; aus Budapest sei bisher keine Information in die Hauptstädte der EU gedrungen, hieß es dort, wie Orbán und seine Fidesz-Partei, die im Parlament eine Zweidrittel-Mehrheit besitzt, zur neuen Entwicklung stünden.

Für beide Haltungen - ein Nein wie ein Ja Ungarns zu dem Reformvertrag - gäbe es gute Gründe. Wirtschaftlich steht das Land desolat da; es hat aufgrund seiner hohen Verschuldung und der schwächelnden Ökonomie erst kürzlich erneut den Internationalen Währungsfonds um Hilfe gebeten und würde sich in eine schwierige Lage bugsieren, wenn es jetzt die EU-Partner vor den Kopf stieße. Die Rating-Agentur Moody's hatte Ungarns Staatsanleihen vergangene Woche auf Ramschniveau herabgestuft; in dieser Hinsicht sitzt auch ein Nicht-Euro-Land wie Ungarn im Boot der Sorgenkinder. Zudem hat Ungarn sich vertraglich dazu verpflichtet, mittelfristig den Euro einzuführen.

Sicher nicht vor 2020 in der Euro-Zone

Zwar hatte Finanzminister György Matolcsy auf einer Wirtschaftskonferenz am vergangenen Montag angemerkt, sein Land werde sicher nicht vor 2020 Mitglied der Euro-Zone sein, fügte aber dann, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete, hinzu: "Als EU-Mitglied möchten wir unseren Freunden sagen: Schreitet mit der Fiskalunion so schnell wie möglich voran, anschließend werden wir eines Tages den Euro einführen können."

Gleichwohl hätte auch ein apodiktisches Nein zu den neuen Plänen aus Brüssel politische Beobachter nicht sonderlich verwundert. Premier Viktor Orbán betont bei jeder Gelegenheit, dass Ungarn nicht von internationalen Finanzmärkten und ausländischen Besserwissern kontrolliert werden wolle. Er erklärt die schlechte wirtschaftliche Lage mit "spekulativen Angriffen auf unser Land" und appelliert regelmäßig an den Nationalstolz der Ungarn.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, dem am Montag von der Corvinus-Universität für Wirtschaftswissenschaften in Budapest die Ehrendoktorwürde verliehen worden war, las den Gastgebern deshalb die Leviten: "Die EU ist nicht die Ursache der Probleme, sondern der Versuch der Lösung der Probleme." Man dürfe nicht in nationale Egoismen zurückfallen. "Jetzt müssen wir es schaffen, der Währungsunion eine Fiskalunion zur Seite zu stellen", sagte Schäuble in Budapest, "solange wir das nicht schaffen, wird die Krise nicht gelöst werden."

Die Online-Zeitung Pester Lloyd kommentierte die vorsichtig zustimmende Reaktion des ungarischen Finanzministers auf den Vortrag seines deutschen Kollegen als "janusköpfig"; hier zeige sich erneut der Unterschied zwischen Innen- und Außendarstellung der ungarischen Regierung. Auf europäischer Ebene rede sie den Nachbarn nach dem Mund, im Inneren spreche Orbán von Brüssel schon mal als dem "neuen Moskau". Nun also wird das Parlament, das von der Regierungspartei Fidesz und damit von Orbán dominiert ist, zeigen müssen, wo Ungarn wirklich steht.

© SZ vom 10.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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