UN-Sondergesandter de Mistura über Afghanistan:"Die Tür fällt nicht zu"

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Mit der Ermordung des Ex-Präsidenten Rabbani haben viele Menschen in Afghanistan die Hoffnung auf Frieden verloren. Der UN-Sondergesandte de Mistura ist aber der Ansicht, dass die Afghanen "überreagieren". Er sieht hoffnungsvoll in die Zukunft des Landes - nur in einem Bereich werde es den Afghanen kurzfristig nicht besser gehen.

Tobias Matern

Der Diplomat Staffan de Mistura ist Sondergesandter der Vereinten Nationen in Afghanistan. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht er über den Stillstand im Friedensprozess mit den Taliban und die Aussichten für das kriegsgeplagte Land am Hindukusch.

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SZ: Nachdem Burhanuddin Rabbani, der Chef des "Hohen Friedensrates", ermordet worden ist, gibt es keine Grundlage für Gespräche mit den Taliban mehr. Was bedeutet dies für den Plan des Westens, bis 2014 die Truppen abzuziehen?

De Mistura: Der furchtbare Mord an Professor Rabbani war ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozess. Es gab Diskussionen, die in die richtige Richtung gingen. Es ist noch nicht geklärt, ob die Quetta-Shura (der nach der pakistanischen Stadt Quetta benannte Führungsrat der afghanischen Taliban , die Red.) damit zu tun hat oder nicht. Sie müssen sich jetzt klar positionieren. Falls es in der Quetta-Shura zwei Gruppen gibt, nämlich eine, die Verhandlungen sabotieren will und eine, die gesprächsbereit ist, ist nun für die Gesprächsbereiten die Gelegenheit gekommen, dies zu signalisieren. Aber im Moment warten wir alle zunächst einmal, bis sich der Staub gelegt hat.

SZ: Die Afghanen haben die Hoffnung auf Frieden verloren. Warum?

De Mistura: Sie haben diese Wahrnehmung, weil es jüngst so viele gewaltsame Vorfälle gegeben hat und sie glauben, dass sie erneut im Stich gelassen werden. Das ist zweimal in der Vergangenheit passiert. Diese Angst ist nicht begründet, weil es dieses Mal das klare Bekenntnis von 49 Ländern gibt, dass sie auch nach dem Jahr 2014 engagiert bleiben werden. Die Tür wird nicht einfach zugemacht.

SZ: Sie finden wirklich, der Frust der Afghanen basiert auf einer falschen Wahrnehmung und hat nichts mit der Realität zu tun?

De Mistura: Es gibt einen Bezug zur Realität, aber ich denke, dass die Afghanen im Moment überreagieren. Die internationale Gemeinschaft hat vor, finanziell, wirtschaftlich und im Bereich der Entwicklung in Afghanistan auf lange Sicht aktiv zu bleiben.

SZ: Was wird Afghanistan nach 2014 für ein Land sein?

De Mistura: Es wird keine neue Schweiz sein oder sonst etwas, was wir uns vielleicht am Anfang gedacht hatten. Der Wandel wird langsamer, aber in die richtige Richtung gehen.

SZ: Was meinen Sie damit konkret?

De Mistura: Es wird hoffentlich ein Afghanistan sein mit mehr Menschenrechten, vor allem für Frauen. Es wird ein Land mit einer nicht perfekten Form der Demokratie sein - eine Mischung zwischen dem, was wir versucht haben, auf den Weg zu bringen, und dem traditionellen Loya-Dschira-System. Es wird wahrscheinlich ein Land mit einer starken Regierung, aber auch viel Autonomie in den Regionen sein und hoffentlich ein Land, das alle Gruppen einschließt. Und es wird ein Land sein, das hoffentlich stabiler ist als in der Vergangenheit und das das Potential hat, in der Zukunft wohlhabender zu werden - wegen seiner Ressourcen. Andererseits wird es zu diesem Zeitpunkt auch ein ärmeres Land sein, weil sich die bis dahin vorhandene Kriegs-Wirtschaft verändern wird.

© SZ vom 07.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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