Umzug des BND:Geheimes aus dem neuen Heim

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Seit fünf Jahren wird in Berlin an der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendiensts gearbeitet. Bislang drang bis auf Baulärm nichts nach außen. Doch jetzt sind von der Baustelle vertrauliche Pläne verschwunden. Ein Abgrund von Landesverrat?

Hans Leyendecker

"Es ist schon etwas Besonderes, in der U-Bahn zu sitzen und zu denken - wenn ihr wüsstet, was ich alles weiß", hat der Schriftsteller und Ex-Agent John le Carré mal die Gefühlswelt eines Agenten beschrieben. Empfinden Leute vom Bau ähnlich - auch wenn sie nur ein Bürohaus für Nachrichtendienstler hochziehen? Glauben sie dann Geheimnisträger zu sein und lockt der ewige Verrat? Im Oktober 2006 begannen in Berlin-Mitte die Vorarbeiten für die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), einen Riesen-Komplex mit einer Bruttogeschossfläche von 260.000 Quadratmetern. Die Gesamtkosten liegen am Ende vermutlich, alles in allem, bei knapp 1,5 Milliarden Euro. Das "größte Bauvorhaben, das von der Bundesrepublik jemals in Angriff genommen wurde", sagte Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) beim Richtfest vor gut einem Jahr.

Neubau der BND-Zentrale in Berlin: Das Magazin Focus konnte vertrauliche Baupläne einsehen. Die Papiere, ermöglichten "einen Röntgenblick in die Agenten-Festung". (Foto: dapd)

Also fünf Jahre wird schon gewerkelt, und bislang war nichts außer dem Baulärm nach außen gedrungen. Dabei wuselten in Spitzenzeiten mehr als zweitausend Bauarbeiter gleichzeitig auf dem Gelände, und bis zu 22 Kräne erlaubten einen guten Überblick. Die Arbeiter sind alle vorher auf Verlässlichkeit überprüft worden, und wer auf der Baustelle wirklich etwas zu sagen hatte, musste sogar drei Bürgen beibringen. Über allem was da passiert, steht das mehrstufige Sicherheitsüberprüfungsgesetz: Also Ü1, Ü2, Ü3, das von locker bis sehr streng reicht. Die Beschäftigten sollen während der Arbeit nicht telefonieren und dürfen keine Fotos machen. Etwa hundert Kameras überwachen das Gelände.

Jetzt ist es doch passiert. Das Magazin Focus konnte irgendwo vertrauliche Baupläne einsehen und beklagte sich dann prompt über den Verrat. Die Papiere, schrieb das Blatt, ermöglichten "quasi einen Röntgenblick in die Agenten-Festung". Ein Abgrund von Landesverrat? Regierungssprecher Steffen Seibert sprach am Montag von einem "ernstzunehmenden Vorgang". Der BND untersuche den Fall "mit Hochdruck", zwei weitere Behörden seien ebenfalls mit einer "Sicherheitsbewertung" beauftragt worden. Die Bundesregierung habe "großes Interesse" an der Aufklärung des Falles. Der Justiziar der Fraktion Die Linke, Wolfgang Neskovic, sprach von "eklatanten Sicherheitslücken" und forderte "personelle Konsequenzen".

Wer soll warum gehen? Bauherr ist die "Bundesanstalt für Immobilienaufgaben", und die oberste technische Instanz für alles ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der BND wird in Berlin nur Mieter, hat sich aber um die Sicherheitsfragen gekümmert.

Abhanden gekommen sind die Pläne für die Nordbebauung, die auf einer Fläche von 60 mal 190 Metern schon im Rohbau fertiggestellt ist. Dort befinden sich die Garage mit 600 Stellplätzen, die Heizung, die Warenannahme und die Logistikzentrale. Der Begriff Warenannahme bezieht sich nicht auf Dossiers, sondern nur auf das Übliche, und hinter Logistik verbirgt sich auch nichts Geheimdienstspezifisches. Dort befinden sich etwa die Lager für die Getränke und der Platz für die einwandfreie Entsorgung der Essensreste. Ob es sich bei den Plänen, wie ein in dem Magazinbericht zitierter Anonymus meinte, also tatsächlich um das "Herzstück der gesamten Anlage" handelt, ist zumindest umstritten.

Die Pläne für die Garage und das Übrige waren zwar als Verschlusssache eingestuft, was aber nicht viel bedeutet. Die Unterlagen durften von vorher überprüften Firmenleuten mitgenommen werden. Diese reichten sie manchmal an Subunternehmen weiter. Die Pläne für die wirklich geheimen Baulichkeiten - wie etwa das Büro des BND-Präsidenten - durften nur auf dem Gelände in einem "Planer-Haus" eingesehen werden. Sogar das Präsidenten-Pissoir ist Geheimsache.

Nach den üblichen Maßstäben ist der theoretisch eingetretene Schaden also recht überschaubar, aber das Genre lässt lockere Betrachtungen nicht zu. Zum Wesen eines Nachrichtendienstes gehört nun mal das Geheimnis, das als Kern das Wort "Heim" enthält, was soviel wie vertraut bedeutet. Auch machen Nachrichtendienste selbst gerne viel Buhei um angeblich Geheimes. Manchmal werden bereits erschienene Zeitungsartikel oder auch leere weiße Blätter als vertraulich eingestuft.

Es gibt, ähnlich wie im Journalismus, auch unter den Geheimen einen Wettlauf um alles, was eine Nachricht sein könnte. Der britische Geheimdienst MI5 verwanzte früher gern die Botschaften anderer Staaten in London. In Wien oder Moskau gab es in der Zeit des Kalten Krieges ganze Wanzenlager, und zu den Erkenntnissen der neuen Zeit gehört, dass europäische Nachrichtendienste meinen, dass die amerikanischen Partner-Dienste bei ihnen gern mithören.

Auch deshalb kamen beim Bau der neuen BND-Zentrale amerikanische Unternehmen nicht zum Zug. Es gab sogar die Idee, nur Bauarbeiter zuzulassen, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, aber dann wäre das Gebäude, das wie ein überdimensioniertes Ministerium aussieht, vermutlich auch 2014 oder 2015 noch nicht fertig geworden.

Ärger macht intern ein anderer Vorgang. Der Leiter eines der wichtigsten Abteilungen des Hauses hat im Dienst eine Seite mit Pornos angeklickt. Herausgefunden hat das die Sicherheitsabteilung bei einer Routine-Überprüfung der Computer. Aus Gründen des Geheimschutzes dürfen im Dienst keine privaten Angelegenheiten im Netz verfolgt werden. Der dienstlich ausgezeichnete Beamte wird seinen Posten nicht behalten können.

Wenn die Zentrale fertig ist, wird die Triebabfuhr draußen leicht möglich sein. An der Chausseestraße, wo der Haupteingang liegt, hat schon ein neues Café aufgemacht, das "Themenback Topsecret" heißt. Dort können die Geheimen dann unkontrolliert im Netz surfen.

© SZ vom 12.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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