Umweltschutz:Freiheit den Eisbären

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Nach Shells unerwartetem Rückzug aus der Arktis will Kanadas neue Regierung auch viele weitere Küstengebiete unter Schutz stellen.

Von Nicolas Richter

Lancaster Sound ist eines der letzten Paradiese auf Erden, was im Wesentlichen daran liegt, dass sich der Mensch dort nur selten blicken lässt. Das Gebiet liegt in der kanadischen Arktis, am östlichen Eingang der Nordwestpassage. Drei Viertel aller Narwale sollen hier den Sommer im nährstoffreichen Wasser verbringen, ferner etliche Belugawale. Auf dem Land sind Tausende Eisbären zu Hause. Jahrzehntelang aber drohte der Mensch auf seiner ewigen Suche nach Rohstoffen auch in diesen abgelegenen Landstrich vorzudringen: Vor längerer Zeit hatte der Erdölkonzern Shell Bohrrechte vor der Küste erworben.

Doch in dieser Woche überraschte der Konzern mit einer seltenen Geste. Er übertrug seine Bohrrechte vor der Küste an die Umweltorganisation Nature Conservancy of Canada (NCC), die sie wiederum dem kanadischen Staat zurückgeben wird. Die Regierung hat damit die Gelegenheit, die ganze Region einschließlich der Küstengewässer zu einem einzigen Naturschutzgebiet zu erklären. Da sich Shell von den 30 einzelnen Bohrerlaubnissen dauerhaft getrennt hat, besteht auch keine Gefahr mehr, dass sich in dem empfindlichen Ökosystem demnächst die Bohrinseln ballen.

Die Einigung wurde jüngst am "Tag des Meeres" bei einer Konferenz in Ottawa verkündet. "Dies ist ein außergewöhnlicher Sieg für den Umweltschutz", sagte David Miller, Chef der Organisation WWF-Kanada. Es sei immer sein Ziel gewesen, die Ölförderrechte vor der Küste zu beseitigen und damit das Risiko einer Ölpest. "Aber die Bedeutung dieser Nachricht geht weit über Lancaster Sound hinaus: Es zeigt, dass Konzerne, Ureinwohner, Umweltgruppen und die Regierung gemeinsam sehr viel erreichen können auf dem Weg zu einer Wirtschaft, in der fossile Brennstoffe nur noch eine schwindende Rolle spielen."

"Es ist einfach etwas, das wir machen wollten", sagt der Konzern-Chef

Natürlich herrschte auch Skepsis darüber, ob Shell tatsächlich nur aus Idealismus auf seine Bohrrechte verzichtete. Es ist kein Geheimnis, dass die Arktis ein schwieriges Umfeld ist für die Förderung von Öl und Gas. Im kanadischen Lancaster Sound waren zudem die Bohrrechte Shells Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung. In einer Klage gegen Shell machten die Naturschützer von WWF geltend, die Lizenzen seien bereits im Jahr 1979 abgelaufen. Hätte WWF recht bekommen, wären die Bohrrechte also ohnehin wertlos gewesen.

Michael Crothers, der Chef von Shell Canada, hat dem widersprochen. Die Verhandlungen über die Rückgabe der Bohrrechte hätten vor dem Rechtsstreit begonnen, sagte er. Nach seiner Darstellung ist die neue kanadische Regierung von Premierminister Justin Trudeau die Auslöserin gewesen - mit ihrer Ankündigung, zehn Prozent der kanadischen Küstengewässer unter Schutz zu stellen. "Es ist einfach etwas, das wir machen wollten", sagte Crothers, "hoffentlich ist das ein Katalysator, damit dieses Gebiet geschützt wird, und hoffentlich inspiriert es andere Firmen, zu dem Zehn-Prozent-Ziel beizutragen."

Tatsächlich verkörpert Trudeau - seit November 2015 im Amt - einen neuen, fortschrittlichen Politikertyp, für den die Sorge um die Umwelt etwas Selbstverständliches ist und aus dessen Sicht sich politischer Erfolg auch daran misst, ob man sich für den Erhalt der Natur eingesetzt hat. Das entspricht auch dem Selbstverständnis von US-Präsident Barack Obama. Er erregte bereits 2008 im Wahlkampf Aufsehen mit dem Versprechen, dem Anstieg des Meeresspiegels Einhalt zu gebieten. In seinen gut sieben Jahren an der Macht hat er einiges erreicht, hat neue Standards für Autos und Kraftwerke erlassen, ehrgeizige Klimavereinbarungen mit China getroffen, erneuerbare Energien gefördert und die umstrittene Pipeline Keystone XL verhindert, die kanadisches Öl aus Teersand an den Golf von Mexiko befördern sollte. Allein in der kanadischen Provinz Alberta liegt etwa ein Drittel aller weltweit bekannten Ölsandvorkommen, deren Ausbeutung indes nicht nur teuer, sondern wegen des enormen Wasser- und Energieverbrauchs große ökologische Schäden anrichtet.

Aus der Sicht von Umweltschützern aber ist Obamas Bilanz gemischt: So hat er zum Beispiel Ölbohrungen in Alaska am Polarkreis grundsätzlich erlaubt. Obama erwidert, es sei zwar sein Ziel, dass sich Amerika aus seiner Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreie, noch aber sei das Land nicht so weit. Diese Mischung aus Idealismus und Pragmatismus dürfte wohl auch die Politik der Regierung Trudeau in Kanada prägen. Am Lancaster Sound haben sich vorerst die Umweltschützer durchgesetzt, aber die Arktis bleibt wegen ihrer Energiereserven für Regierungen und Konzerne ein hoch interessantes Gebiet, zumal dann, wenn der Ölpreis wieder steigt.

Was freilich das Umweltbewusstsein der US-Regierung betrifft, so hängt die Zukunft entscheidend von der Präsidentschaftswahl im November ab. Der republikanische Kandidat Donald Trump hat bereits seine Linie skizziert: weniger regulieren, mehr bohren.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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