Ukraine:Ministerrücktritt in der Ukraine - letzter Aufschrei gegen Korruption

Lesezeit: 4 min

Aivaras Abromavičius sieht seine Arbeit als Minister durch alte, "böse Mächte" behindert. (Foto: REUTERS)

Der ukrainische Wirtschaftsminister wirft hin. Er ist nicht der erste. Alte, "böse Mächte" torpedierten Reformen, beklagt er. Die Vorwürfe richten sich auch gegen das Umfeld des Präsidenten.

Eine Analyse von Cathrin Kahlweit, Wien

Selten hat der Rücktritt eines einzigen Ministers solche Schockwellen ausgelöst wie die überraschende Ankündigung von Aivaras Abromavičius, dass er hinwirft. Der gebürtige Litauer ist Wirtschaftsminister in Kiew, und bis das Parlament seinen Rücktritt annimmt, bleibt er das auch.

Bis vor Kurzem war der frühere Finanzmanager außerhalb der Ukraine nur Fachleuten bekannt. Jetzt aber, nachdem Abromavičius ein Fanal gesetzt hat, ist er schlagartig berühmt. Sein Rücktritt hat eine mahnende Intervention der Chefin des IWF, Christine Lagarde, sowie einen Gruppenbesuch besorgter Botschafter aus dem Kreis der G7 und der EU am Regierungssitz zur Folge gehabt - eine äußerst ungewöhnliche Geste. Deren Botschaft: Wir wollen nicht zuschauen, wie dieses Land seine Chancen verspielt.

Gastbeitrag von Joschka Fischer
:Europas Suizid ist realistisch

Die alte, von den USA garantierte Weltordnung bröckelt. Das ist auch für die EU eine Gefahr: Der neue Nationalismus, angesichts der Zahl der Flüchtlinge, könnte sie in den Abgrund stürzen.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Innenpolitisch löste der Rücktritt eine Regierungskrise aus, die auch durch eine außerordentliche Kabinettssitzung nicht beigelegt werden konnte - trotz bemüht zuversichtlicher Erklärungen erst des Premiers in Kiew, dann des Präsidenten.

An die Öffentlichkeit gingen außerdem vier andere Minister, die schon lange vor dem Litauer hingeworfen hatten. Doch auch sie hatten in der Krise wenig Beruhigendes beizutragen. Sie alle haben es satt, ihre Reformen im Kampf gegen korrupte Parlamentarier und bestechliche Mitarbeiter aus dem Umfeld des Premiers und des Präsidenten scheitern zu sehen. Er wolle nicht mehr Teil eines zynischen Spiels sein, hatte der Wirtschaftsminister auf seiner letzten Pressekonferenz Mitte vergangener Woche gesagt. Er ist damit nicht alleine.

Der Rücktritt von Abromavičius hat erneut eine Debatte darüber ausgelöst, ob und wann die Regierung ganz stürzt (womöglich am 16. Februar, nachdem sie ihren jährlichen Rechenschaftsbericht vorgelegt hat) und ob und wann es vorgezogene Parlamentswahlen gibt (diskutiert wird der September). Am heißesten wird aber ganz grundsätzlich diskutiert, ob die Ukraine noch zu retten ist.

"Kalte Dusche" für die ukrainische Führung

Prominente Kommentatoren schreiben bereits Abgesänge auf den Maidan und stellen fest, Präsident Petro Poroschenko sei auch nicht besser als sein Vorgänger Janukowitsch. Oder sie fordern die westliche Gemeinschaft gleich ganz auf, ihre Finanzhilfen für die Ukraine einzustellen, bis Regierung und Parlament Reformen nicht mehr verschleppten oder torpedierten. Auch Abromavičius ist mehr als pessimistisch: Alte "böse Mächte" wollten die Reformen rückgängig machen.

Damit könnte, je nach Ausgang der Geschichte, der 40-Jährige das Schicksal des Landes weitaus stärker prägen, als er selbst wohl je geglaubt hätte. Seine Erklärung sollte, nach seinen Worten, eine "kalte Dusche" für die Führung des Landes sein. Diese hatte den Technokraten aus dem Baltikum in ihre Regierung geholt, ebenso wie die US-Amerikanerin und Fondsmanagerin ukrainischer Abstammung Natali Jaresko als Finanzministerin sowie einige georgische Reformer, darunter den ehemaligen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili.

Sie alle sollten von außen die alten Seilschaften aufbrechen, die Oligarchen entmachten, die Staatsunternehmen privatisieren, deren Chefs durch neue Köpfe ersetzen. Aber das Privatisierungsgesetz hängt in zweiter Lesung seit Monaten im Parlament fest, die Entlassung der alten Garde in den Staatsunternehmen gelingt wegen Interventionen aus Parteien, Regierung und sogar dem Präsidialamt praktisch nie.

Abromavičius ist daher nur vorläufig der Letzte in einer langen Reihe. Natali Jaresko hat nach seinem Rücktritt angekündigt, wenn sich nichts ändere, werde sie die nächste sein. Auch Infrastrukturminister Andrij Pivovarskij, der schon im Dezember hingeworfen hatte, aber bis heute vom Parlament nicht entlassen wurde, zeigt sich im SZ-Interview verzweifelt: "Was Aivaras Abromavičius vor einigen Tagen getan hat, war ein letzter Aufschrei, der von der ganzen Welt gehört werden muss. Er hat unserer Regierung eine einmalige Gelegenheit verschafft, ihre Spielchen zu beenden, sich zu besinnen und auf den Reformkurs zurückzukehren."

Weder er noch der Wirtschaftsminister noch all die anderen Technokraten und im Westen ausgebildeten Fachleute, die in den vergangenen 14 Monaten geholt worden seien, wollten "Emigranten oder Flüchtlinge" werden. Aber "wenn das alte System alle Reformen untergräbt, dann werden wir alle gemeinsam gehen."

Der Infrastrukturminister spricht damit für seine frustrierten Kollegen, die bereits hingeworfen haben, für den Landwirtschafts-, den Gesundheits-, den Informationsminister. Wie auch der Wirtschaftsminister beklagen sie, die Reformen würden von Abgeordneten, aber auch direkt aus dem Umfeld des Präsidenten blockiert.

Pivovarskij berichtet, er habe es bis heute nicht vermocht, korrupte Manager von Staatsfirmen zu feuern: "Entweder sie klagen sich wieder ein, oder das Parlament verweigert ihre Entlassung, oder sie melden sich über Monate krank."

SZ JetztJunge Esten im Gespräch
:"Seit der Ukraine-Krise ist alles aggressiver geworden"

Estland hat sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion rasant entwickelt. Doch junge Menschen sorgen sich um die Zukunft.

Interview von Friedemann Karig

Abromavičius hatte in seiner Rücktrittserklärung unter anderem einen Namen genannt: Der langjährige Geschäftspartner von Präsident Petro Poroschenko und Vizefraktionschef der Präsidialpartei im Parlament, Igor Kononenko, habe jeden Versuch, Topmanager in Staatsunternehmen zu ersetzen, torpediert - etwa damit, dass sich Kononekos Leute ganz selbstverständlich bei Abromavičius als dessen künftige Stellvertreter vorstellten: Das sei "von ganz oben genehmigt".

Ein anderes Mal habe er einen Anruf aus der Präsidialkanzlei erhalten mit der Anweisung, eine bestimmte Person einzustellen, die als sein Stellvertreter für die Rüstungsindustrie fungieren sollte. Kononenko,

Parlamentarier im Block Poroschenko und seit 30 Jahren mit dem Präsidenten befreundet, betreibt mit diesem etwa 25 Firmen und hat, wie mehrere Medienrecherchen ergaben, sowohl dubiose Grundstücksgeschäfte als auch Bankgeschäfte mit Poroschenko eingefädelt.

Nun soll alles anders werden

"Viele der Vorwürfe sind seit Langem bekannt, auch im Zusammenhang mit unserem jetzigen Präsidenten", sagt Katja Gorchinskaja, Chefin des Fernsehsenders Hromadske, "aber all das hat entweder lange niemanden interessiert, oder die Justiz hat trotz zahlreicher Hinweise nie weitere Ermittlungen aufgenommen."

Nun soll alles anders werden. Kononenko soll an diesem Montag von der Anti-Korruptions-Behörde vernommen werden. Der Premier Arsenij Jazenjuk, gegen den in den vergangenen Monaten ebenfalls zahlreiche Korruptionsvorwürfe öffentlich wurden, hat eilig verkündet, man werde "bis zum Ende für die Zukunft des Landes kämpfen". Präsident Poroschenko selbst hat sich in dem Treffen mit besorgten Botschaftern entschlossen gezeigt, die Reformen fortzusetzen.

Infrastrukturminister Andrij Pivovarskij ist nicht sehr optimistisch. Premier Jazenjuk etwa hatte nach der letzten Krisensitzung der Regierung verkündet, alle vier Minister, die vor Abromavičius ihren Rücktritt eingereicht hätten, wollten nun doch weitermachen, um den Sturz der Regierung zu verhindern. Stimmt gar nicht, sagt Pivovarskij. Stimmt gar nicht, lässt auch der Landwirtschaftsminister ausrichten.

Man habe vielmehr konkrete Bedingungen für eine Rückkehr gestellt: eine umfassende Privatisierung, die De-Oligarchisierung der Staatsindustrie, offene Ausschreibungen, ein Ende der Interventionen von oben. "Sonst sind wir weg", sagt Pivovarskij. Der Wirtschaftsminister, Aivaras Abromavičius, hat ganz abgewunken: Er komme nicht wieder, unter keinen Umständen. Er hat wohl keine Hoffnung mehr.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gastbeitrag von Joschka Fischer
:Europas Suizid ist realistisch

Die alte, von den USA garantierte Weltordnung bröckelt. Das ist auch für die EU eine Gefahr: Der neue Nationalismus, angesichts der Zahl der Flüchtlinge, könnte sie in den Abgrund stürzen.

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: