Tunesien:Ins Herz des Staates

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Zehn Kilogramm Sprengstoff töten mitten in Tunis zwölf Leibwächter des Präsidenten. Die Regierung verhängt den Ausnahmezustand. Doch ihre schwierigste Aufgabe ist die Sicherung der Grenzen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Der Verdacht war sofort da. Und es dauerte keine 24 Stunden, bis er sich fast zur Gewissheit verdichtete. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich am Mittwoch dazu bekannt, am Abend zuvor in Tunis einen Bus der Präsidentengarde in die Luft gesprengt zu haben. Auf der Avenue Mohamed V., mitten im belebten Zentrum der tunesischen Hauptstadt, gelang es offenbar einem Selbstmordattentäter, unerkannt in den Bus der Sicherheitskräfte einzusteigen und seine Bombe zu zünden.

Zehn Kilogramm militärischen Sprengstoffs detonierten, wie das Innenministerium mitteilte. Zwölf Leibwächter von Präsident Béji Caïd Essebsi starben, 20 Menschen wurden verletzt. Die Scheiben des weißen Fahrzeugs flogen heraus, das Dach ist aufgerissen wie eine Sardinenbüchse. Premierminister Habib Essid fasste das Offenkundige in Worte: "Das ist eine Entwicklung im Verhalten der Terroristen; dieses Mal haben sie ein Symbol des Staates attackiert und das Herz der Hauptstadt."

Die Sicherheitsbehörden waren auf neue Angriffe gefasst

Die Sicherheitsbehörden waren auf neue Angriffe gefasst; erst vor zehn Tagen hatten sie die zweithöchste Sicherheitswarnstufe ausgerufen und vor Anschlägen in Tunis gewarnt. Anfang November hoben sie nach eigenen Angaben eine 17-köpfige Terrorzelle aus, die neuerliche Anschläge auf Hotels und Sicherheitseinrichtungen im Badeort Sousse geplant hatte. Dort schoss Ende Juni ein offenbar in Libyen ausgebildeter 23-Jähriger mit seiner Kalaschnikow 38 Touristen am Strand und in angrenzenden Hotels nieder, der schwerste Anschlag in der modernen Geschichte Tunesiens. Im März hatten schon drei andere Attentäter 24 Menschen im Nationalmuseum Bardo getötet. Die jüngst gefassten Terrorverdächtigen hatten wohl noch Größeres im Sinn: Sie wollten laut den Ermittlern auch Politiker attackieren, eine Staatskrise auslösen. Sturmgewehre und Sprengstoffwesten wurden bei ihnen gefunden, einige von ihnen sollen in Libyen und Syrien ausgebildet worden sein.

Sie haben ihr Ziel nicht erreicht, doch Tunesien ist ohnehin in der Krise: Wie konnte es sein, dass der Attentäter sich den Soldaten nähern konnte? War er vielleicht gar einer von ihnen? Der Präsident verhängt wieder für einen Monat den Ausnahmezustand, nachdem der letzte erst Anfang Oktober aufgehoben worden war. "Diese Operation von Terroristen zielte darauf ab, die Stabilität des Staates zu erschüttern", sagt er im Fernsehen. Wie Frankreichs Präsident François Hollande kündigt er einen "Krieg gegen den Terrorismus" an.

Diesen Krieg führen seine Streitkräfte längst im bergigen Grenzgebiet zu m Nachbarland Algerien, einem Tummelplatz für militante Islamisten. Sie versuchen zudem die Grenze zum zerfallenden Libyen in den Griff zu kriegen. Aber all das wird kaum reichen angesichts der Tatsache, dass mehr als 3000 Tunesier ausgezogen sind nach Syrien, in den Irak und nach Libyen, um für den IS zu kämpfen. 500 von diesen Extremisten sind zurück in ihrer Heimat, und der Staat weiß nicht, wie er jenseits von Befragungen durch den Geheimdienst mit ihnen umgehen soll. Soldaten und bewaffnete Polizisten patrouillierten am Mittwoch auf den Straßen der Hauptstadt, errichteten Kontrollposten, um Fahrzeuge und Fußgänger zu überprüfen.

All das wird kaum Touristen nach Tunesien locken. Die Wirtschaft hat unter den ersten beiden Anschlägen bereits schwer gelitten. Die Inflation steigt, die sozialen Probleme verschärfen sich. Der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT, einer der Träger des Friedensnobelpreises und Mitorganisator de nationalen Dialogs, hatte für Mittwoch zu einer Reihe von Streiks aufgerufen. Wegen des Attentats wurden sie noch am Dienstagabend wieder abgesagt.

Auch innenpolitisch ist die Situation angespannt. Die Regierungspartei Nidaa Tounes von Präsident Essebsi, stärkste Fraktion im Parlament, steht vor der Spaltung. 31 Abgeordnete der säkularen Sammlungsbewegung erklärten ihren Austritt aus der Partei. Hintergrund sind ideologische Differenzen, aber auch ein Führungsstreit zwischen Generalsekretär Mohsen Marzouk und Hafedh Caïd Essebsi, dem Sohn des bald 89 Jahre alten Präsidenten. Dem Sohn werfen die zurückgetretenen Parlamentarier vor, die Macht in der Partei an sich reißen zu wollen. Sollten sie bei ihrem Austritt bleiben, würde die gemäßigt-islamistische Ennahda-Partei die stärkste Fraktion im Parlament werden.

Nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum und dem Massaker am Strand von Sousse trafen Terroristen diesmal die tunesische Präsidentengarde. (Foto: Fethi Belaid/AFP)
© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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