Tuareg in Mali:Rebellen gegen den Willen der Mehrheit

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Der Kampf mit den Islamisten dominiert im Mali-Konflikt die Schlagzeilen. Doch selbst bei einer erfolgreichen französischen Militäroperation droht dem Land die Zerreißprobe: Teile der Tuareg im Norden des Landes drängen auf Autonomie.

Von Eileen Splitt

Wie konnte es in Mali so weit kommen? Die oberflächliche Antwort lautet: Der libysche Bürgerkrieg ist der Auslöser. Hätten Tuareg-Söldner damals nicht für den Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi gekämpft, wären sie nach dessen Fall 2011 nicht schwer bewaffnet zurückgekehrt. Ohne die Waffen hätte sich die Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad (MNLA) nicht gegründet, deren Ausrufung eines eigenen Tuareg-Staates im April 2012 das fragile Konstrukt Mali schwer erschütterte.

Doch der Wunsch nach vollkommener Unabhängigkeit, und das ist die kompliziertere Antwort, ist weder neu, noch vertreten ihn alle Tuareg mit dieser Vehemenz: "Vorher gab es zwar Lieder und Gedichte über den eigenen Staat, aber nie zuvor wurde er so deutlich eingefordert", erklärt Georg Klute, Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth. Die Westafrikaexpertin von Human Rights Watch, Corinne Dufka, ergänzt: "Die Rebellen repräsentieren nur einen Bruchteil der Tuareg."

Statt der Frauen verschleiern sich die Männer

Doch wer sind die Tuareg? Schon das Wort sorgt für Missverständnisse, häufig wird es falsch aus dem Arabischen mit "die von Gott Verlassenen" übersetzt. De facto handelt es sich um Muslime mit liberaler Glaubensauslegung. Statt der Frauen verschleiern sich bei den Tuareg beispielsweise die Männer.

Das Wort Tuareg leitet sich von der Bezeichnung für die Region Targa ab - dem berberischen Namen für die Provinz Fessan in Libyen. Ein Targi ist demzufolge eine Person, die aus Targa kommt, in der Mehrzahl Tuareg. Das Nomadenvolk selbst nennt sich Kel Tamasheq, "die, die Tamasheq sprechen".

Etwa 1,5 Millionen Tuareg leben in Niger und Mali, ein kleinerer Teil in Libyen, Algerien und Burkina Faso. Die Gesellschaft ist streng hierarchisch gegliedert, doch sie eint vor allem in Mali das Gefühl, unterdrückt zu werden: Schon in der Kolonialzeit forderten die Tuareg mehr Autonomie von Bamako, die Hauptstadt und das politische Zentrum des Landes.

Die jüngste Rebellion ist schon die insgesamt vierte der Tuareg in den vergangenen 50 Jahren. Als Mali 1960 von Frankreich unabhängig und ein Einparteienstaat wurde, sei es den Tuareg unter der neuen sozialistischen Regierung viel schlechter gegangen als zu Kolonialzeiten, sagt Klute. "Bamako lehnte das Nomaden-Dasein der Tuareg ab und bezeichnete ihre hierarchische Struktur als antisozialistisch." Wie im Kommunismus üblich, förderte das Regime die unteren Klassen und benachteiligte den Adel. Die Tuareg mussten beispielsweise ihre Turbane abgeben oder höhere Steuern zahlen.

Bereits zwischen 1962 und 1964 kam es zum ersten postkolonialen Aufstand, den die malische Armee mit Hilfe sowjetischer Waffen niederschlug. Viele Tausende flohen daraufhin gedemütigt in die umliegenden Nachbarstaaten, unter anderem Algerien und Niger.

Fast drei Jahrzehnte später brach sich der Wunsch nach Unabhängigkeit erneut gewaltsam Bahn: Zwischen 1990 und 1996 organisierten die Tuareg einen zweiten Aufstand, der mit der Schließung eines Friedensvertrages endete, der die Situation tatsächlich verbesserte. "Seit 1996 hat Mali viel versucht, um die Tuareg besser in die Gesellschaft zu integrieren. Es ist viel Geld in die Region geflossen, Schulen, Pisten und Verwaltungsgebäude wurden gebaut", erklärt der Ethnologe Klute.

Klute kann sich den eisernen Willen nach Eigenständigkeit nur mit dem Herrschaftsverständnis der Tuareg erklären: "Eigentlich geht es ihnen seit den Neunzigern besser, aber sie wollen trotzdem Macht. Nach der Unabhängigkeit Malis von Frankreich sind die malischen Tuareg aus ihrer Sicht dem neuen Staat zugeschlagen worden - und das, ohne dass sie dieser Staat vorher besiegt oder man sich ihm unterworfen hätte. Das wollen sie offenbar nicht akzeptieren."

MNLA hat Vertrauen verspielt

Nach einem dritten Aufstand 2007-2009 kämpfen einmal mehr Tuareg um ihre Unabhängigkeit im Vielvölkerstaat.

Obwohl die Mehrheit den bewaffneten Konflikt nicht unterstützt, müssen sie nun Racheakte seitens der malischen Regierungstruppen fürchten. "Es besteht unter den Tuareg die begründete Angst, dass sich die ethnischen Spannungen in Mali durch die MNLA-Rebellen dramatisch zugespitzt haben", sagt die Menschenrechtlerin Corinne Dufka.

Ob ein Staat mit Norden mit der nomadischen Lebensweise überhaupt überlebensfähig wäre, ist unklar - zumal das zu verwaltende Gebiet riesig wäre. Inzwischen hat die MNLA von ihrer Staatenforderung Abstand genommen und fordert nur grundsätzlich mehr Autonomie. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Gruppe wegen des Vormarsches der Islamisten im Norden inzwischen längst nicht mehr im Zentrum des Konflikts steht.

Mehr Autonomie vom Süden wäre zwar grundsätzlich denkbar, doch eine Zwei-Staaten-Lösung ist auf absehbare Zeit vom Tisch, glaubt Klute. "Die MNLA hat das Vertrauen der malischen Bevölkerung und der Tuareg verspielt." Inzwischen ist nicht einmal sicher, ob die Regierung in Bamako überhaupt bereit ist, sich mit der Gruppe an einen Verhandlungstisch zu setzen.

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