Terrorismus in Pakistan:Dialog mit dem Feind

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Ein Mann rettet ein Kind nach dem verheerenden Anschlag vom Sonntag in der Stadt Peschawar. Innerhalb von acht Tagen hat es dort bei Attentaten mindestens 149 Tote gegeben. (Foto: Mohammad Sajjad/AP)

Die Menschen in Pakistan sehnen sich nach Ruhe in ihrem Land. Die Regierung in Islamabad - deren Vertreter gefährlicher als in den meisten anderen Ländern leben - sieht nur einen Weg. Sie knüpft Kontakte zu den Taliban.

Von Arne Perras

Im Treppenhaus, am Ende der Marmorstufen, steht der erste Wächter mit seiner Kalaschnikow, dahinter im Gang der zweite. Der dritte hat gerade sein Gewehr zur Seite gelegt und betet in einer Ecke neben der Tür. Der vierte Bodyguard versperrt den Eingang, seine Blicke wandern von links nach rechts und zurück, als würde er ein Pingpong-Spiel verfolgen.

Hinter der Tür empfängt Maulana Fazlur Rehman Besucher zum Gespräch. Politiker in Pakistan leben gefährlicher als ihre Kollegen in den meisten anderen Ländern. Rehman ist religiöser Führer und Chef der Partei Jammiat Ulemae Islam, kurz JUI. Manche bezeichnen ihn als islamischen Fundamentalisten, aber Rehman verlangt, dass die pakistanische Verfassung nicht gesprengt werden dürfe, dass sie auch für die Taliban gelten müsse, die eine schärfere Form der Scharia einführen wollen und in ihrem Kampf gegen den Staat Bomben zünden.

Drei Selbstmordattentäter hat der untersetzte Mann mit dem langen weißen Bart und gelben Turban schon überlebt. Er stammt aus dem Westen des Landes, dem Grenzgebiet zu Afghanistan. Und er könnte demnächst noch eine wichtige Rolle spielen, falls es zu Gesprächen zwischen den pakistanischen Taliban und der Regierung von Premier Nawaz Sharif kommt.

Rehman hat früher die afghanischen Taliban unterstützt, unter Premierministerin Benazir Bhutto war er es, der die Beziehungen über die Grenze hinweg pflegte, zugleich unterhielt er Kontakte ins pakistanische Militär und profilierte sich als Politiker. Der JUI-Führer ist bestens vernetzt, und er verfügt über Einfluss und Ansehen im Grenzgebiet zu Afghanistan. Deshalb sucht Premier Sharif nun seine Nähe, er soll helfen, Gespräche einzufädeln.

Die Terroristen bomben weiter - trotz Gesprächsangeboten

Aber wird es diesen Dialog überhaupt geben? Eine Allparteien-Konferenz hat sich auf diesen Weg verständigt, aber was anfangs aussah wie ein beachtlicher Schritt nach vorne, könnte sich in eine Falle für Premier Sharif verwandeln. Denn trotz der Gesprächsangebote bomben die Terroristen weiter. Tatort Peschawar: In der Stadt wurden bei Anschlägen innerhalb von acht Tagen mindestens 149 Menschen getötet. Den Drahtziehern, die im Dunkeln bleiben, geht es womöglich darum, Gespräche zu sabotieren. Auf jeden Fall führen sie die Ohnmacht des Staates vor.

Auch wenn die TTP, die Schirmorganisation der pakistanischen Taliban, behaupten, sie hätten mit der Gewalt nichts zu tun, so haben sie sich doch zum Anschlag auf General Sanaullah Niazi bekannt. Und die Zweifel wachsen, ob der Staat im Klima der Gewalt einen Dialog mit militanten Gruppen führen kann.

Rehman sagt, dass man "über die Anschläge hinaus denken muss und den Gesprächen eine Chance geben sollte". Zur Begründung führt er an, dass es zu diesem Schritt gar keine Alternative gebe, wenn man bedenkt, dass militärische Mittel ja schon seit Jahren zum Einsatz kämen, aber den Terror nicht stoppen könnten.

Doch wohin sollen Gespräche führen, wenn die Terrorgruppen den Rahmen der Verfassung nicht anerkennen? Ein scharfer Kritiker des vorgeschlagenen Dialogs ist der Analyst und pensionierte General Talat Masood. "Unschuldige Zivilisten werden attackiert, und es ist die oberste Pflicht des Staates, seine Bürger zu schützen", sagt er. Den Tätern noch mehr Raum zu geben und Gespräche anzubieten, setze ein falsches Signal, sagt er. Die Terroristen würden daraus nur einen Schluss ziehen: Je brutaler sie auftreten, umso mehr könnten sie erreichen. Wer ihnen Raum gebe, mache sie nur stärker - so sieht das Masood.

Die Gewalt in Pakistan seit dem 11. September 2001 hat nahezu 50 000 Menschenleben gekostet, allein seit 2008 sind es mehr als 5000. Die Menschen kamen durch Selbstmordattentate und Bombenanschläge um. Die Pakistaner sehnen sich nach Ruhe, manche haben deshalb im Mai Nawaz Sharif gewählt, weil er versprach, mit den Taliban zu reden und so die Gewalt zu beenden. Aber die Chancen, dass der Plan aufgeht, schmelzen mit jedem Anschlag weiter dahin.

Und wenn sie doch reden - dann mit wem? Die TTP besteht aus mindestens 69 Gruppen, heißt es in Kreisen des Militärs, ein einheitliches Kommando geschweige denn gemeinsame Ziele scheinen sie nicht zu haben. Die Armee, dessen Ansehen im Volk seit der Militärdiktatur von Pervez Musharraf gelitten hat, will ihren Ruf rehabilitieren und sich als treue Helferin der Regierung profilieren. Sie will Aufträge erfüllen und keinen Alleingang wagen, so wird dies zumindest im Kreis europäischer Diplomaten eingeschätzt. Gleichwohl dringt das Militär auf rasche Beschlüsse, ob nun geredet werden soll oder nicht.

Scheitern die Pläne des Dialogs, ist mit einer neuen Militäroffensive zu rechnen, um den harten Kern der Staatsfeinde auszuschalten. Dass die Regierung noch zaudert, solche Schritte anzuordnen, liegt auch an der Angst pakistanischer Politiker. Sobald die Armee zuschlägt, müssen Minister und Staatsbeamte damit rechnen, selbst ins Visier zu geraten.

Selbstmordattentäter, Auftragskiller, Autobomben - die Palette der Methoden ist groß. So könnte auch Premier Sharif weiter zaudern und taktieren, um Pakistan zu steuern - immer hart am Abgrund entlang.

© SZ vom 02.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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