Terror in Paris:"Sie haben Lebensfreude geatmet"

Ein leidenschaftlicher Rugbyspieler, eine Grafikerin, ein Liebespaar: Hinter jedem Terroropfer steht eine Geschichte. Hier sind acht von ihnen.

Von Ann-Kathrin Eckardt, Oliver Klasen und Bernd Dörries

Mathias und Marie

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(Foto: AFP)

Er strahlt in die Kamera, sie drückt ihm einen Kuss auf die Wange, der Wind weht ihre Haare in sein Gesicht - auf Twitter ist das Selfie von Marie Lausch, 23, und Mathias Dymarski, 22, eines der meistgeposteten Fotos am Freitagabend. Dazu die Nachricht: "Mathias und Marie sind unauffindbar. Wenn ihr diese Gesichter gesehen habt, bitte meldet euch #RechercheParis". Seit fünf Jahren sind die beiden Franzosen ein Paar. Sie eine leidenschaftliche Tänzerin, er ein sehr guter BMX-Fahrer. Erst vor ein paar Monaten ist das Paar von Metz nach Paris gezogen. Sie macht dort ein Praktikum beim Kosmetikkonzern Coty. "Die beiden haben die Lebensfreude förmlich eingeatmet", erzählt eine Verwandte der Zeitung Républicain Lorrain. Riesig ist auch die Freude, als sie Tickets für das Konzert von Eagles of Death Metal ergattern. Einem befreundeten Paar schenken sie den Konzertbesuch zum Geburtstag. Am Samstag um 18 Uhr twittert Clara R.: "Die Suche ist beendet. Ich habe keine Worte. Marie und Mathias haben uns verlassen - alle beide."

Nick Alexander

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(Foto: AP)

"Kann mir bitte jemand helfen, meinen Freund Nick Alexander zu finden? Er verkauft Merchandise-Artikel für Eagles of Death Metal." Am Freitagabend, kurz nachdem Polina Buckley in New York von der Geiselnahme im Pariser Konzertsaal Bataclan gehört hat, sucht sie mit diesen Worten und einem Foto auf Twitter nach ihrem Freund. Der 36-jährige Brite begleitet die Rockband Eagles of Death Metal auf ihrer Tour und organisiert den Verkauf von CDs, T-Shirts und anderen Band-Artikeln bei den Konzerten. Am Samstag erhält Buckley dann die traurige Gewissheit: Auch Nick ist unter den Opfern. Allerdings erfährt sie dies nicht von den Behörden, sondern weil in den sozialen Medien immer mehr Details gepostet wurden, zum Beispiel, dass Nick bei dem Konzert seine Ex-Freundin wiedergetroffen habe. Die ExFreundin erzählt, dass sie noch versucht habe, Nicks Blutungen zu stoppen, er dann aber in ihren Armen gestorben sei. Polina Buckley reagiert mit diesem Tweet: "Du bist die Liebe meines Lebens und wirst es immer sein, Nick Alexander".

Guillaume B. Decherf

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(Foto: Reuters)

Es war nur eine kurze Episode in seinem Leben, aber sie hat Guillaume Decherf, 43, sehr geprägt. 1992, da ist er gerade 20 Jahre alt, darf er beim Uni-Radio in Loughborough, wo er als Erasmus-Student Anglistik studiert, seine erste Sendung moderieren. Nächtelang hat er damals in den Archiven des kleines Senders nach den passenden Platten gewühlt, heraus kam: eine Stunde Heavy-Metal. Von diesem Zeitpunkt an ist für ihn klar. Er wird die Musik zu seinem Beruf machen. Decherf schafft es auf die "ecole supériere de journalisme", an der viele bekannte französische Publizisten ausgebildet wurden. Zwischen 1999 und 2003 berichtet er für die Libération aus Chicago und trifft dort die Smashing Pumpkins, seine großen Idole. Später schreibt er für den Rolling Stone, ist sogar Chefredakteur beim Hard Rock Mag und landet bei der Zeitschrift Inrocks. Sein letzter Artikel ist eine Rezension des neuen Albums von den Eagles of Death Metal. Er kündigt auch das Konzert an, das er nicht überleben sollte. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

Claire Camax

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(Foto: Reuters)

Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ein paar Freunden besucht Claire Camax das Bataclan. Sie ist ein Fan von hartem Rock, auf das Konzert der Eagles of Death Metal hat sie sich lange gefreut. Es ist Zufall, dass der Ehemann in dem Moment, als die Attentäter den Konzertsaal betreten und zu schießen anfangen, an einer anderen Stelle des Raumes ist als sie. Vermutlich wollte er etwas zu trinken holen. Jetzt lebt er und sie ist tot, die beiden kleinen Kinder haben die Mutter verloren. Jean-Emmanuel, ein Freund des Ehepaars, erinnert sich an die erste Begegnung mit Claire: "Wir haben uns an der Hochschule für Grafik kennengelernt und sehr schnell angefreundet. Ich habe ihr dann einen meiner besten Freunde vorgestellt - und er ist dann ihr Ehemann geworden". Claire Camax, 35, lebte mit ihrer Familie in Houilles nahe Paris, arbeitete seit mehr als zehn Jahren als Grafikerin, entwarf Glückwunschkarten und fertigte Illustrationen Auf dem Bild, das im Internet von ihr zu sehen ist, faltet sie die Hände zu einer Raute, fast so wie Angela Merkel es oft tut.

Ludovic Boumbas

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(Foto: Reuters)

Ludovic Boumbas, Mitte 40, gebürtiger Kongolese aus Brazzaville, und einige Freunde feiern im Café "La Belle Equipe" den 35. Geburtstag einer Bekannten, als plötzlich um 21.35 Uhr bewaffnete Männer das Lokal in der Rue de Charonne stürmen und wild um sich schießen. Mitten im Chaos trifft Boumbas, den seine Freunde alle nur "Ludo" nennen, eine Entscheidung, die ihn das Leben kostet, aber ein anderes Leben rettet. "Er hat sich im Kugelhagel vor eine junge Frau geworfen und wurde selbst getroffen", so schildert ein Augenzeuge dem Le Parisien die Situation. 19 Menschen kommen in dem Café ums Leben. Unter den Toten sind neben Paketzusteller Boumbas, der seinen schweren Verletzung erliegt, auch die beiden tunesischen Schwestern Halima, 34, und Houda Saadi, 33. Boumbas hatte ebenfalls versucht, sie zu retten - vergebens. Doch sein Tod ist trotzdem nicht umsonst. Die junge Frau kann er tatsächlich vor den tödlichen Schüssen bewahren. Sie wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht - und überlebt.

Fabian Stech

"Umtriebig" sei er gewesen, sagt sein Kollege Heinz-Norbert Jocks von der Zeitschrift Internationales Kunstforum. Für die war Fabian Stech Frankreich-Korrespondent, er führte zuletzt ein großes Gespräch mit dem chinesischen Maler Yan Pei-Ming und schrieb über Damien Hirst. Stech war nach dem Studium und seiner Promotion in Berlin vor zwanzig Jahren nach Frankreich gekommen, lebte mit seiner Frau, einer französischen Anwältin, und zwei Kindern in Dijon. Er war Kritiker, Buchautor, Fotograf, Übersetzer und Lehrer an der Privatschule Les Arcades. "Er war ein Lehrer, der von allen gemocht wurde", teilt die Schule mit. Er habe immer versucht, seinen Schülern einen internationalen Geist zu vermitteln. Die Schüler würden nun von Psychologen betreut. Sein Kollege Jocks schreibt: "Seine Gespräche mit dem Kurator Jérôme Sans, den Künstlern Bertrand Lavier, John M. Armleder, John Baldessari und dem Galeristen Michael Werner sowie seine profunden Texte waren eine große Bereicherung. Sein Geist und sein Auge werden uns fehlen."

Patricia San Martin

Frankreich sollte ein sicherer Zufluchtsort sein für die Familie San Martin. Die Eltern von Patricia, ursprünglich aus Chile, sind überzeugte Kommunisten, doch irgendwann wird es unter dem rechtsgerichteten Pinochet-Regime zu gefährlich für sie. In Sèvres, nördöstlich von Paris, findet die Familie eine neue Heimat. Patricia San Martin, eigentlich Bibliothekarin von Beruf, arbeitet in der Stadtverwaltung und ist eine der engagiertesten Kräfte im Gewerkschaftsbund CGT. "Es ist eine Tragödie, dass Patricia ausgewandert ist, um vor Extremisten Schutz zu finden, und dann in dem Land, in dem sie diesen Schutz bekam, von religiösen Fanatikern umgebracht wird", sagt Baptiste Talbot, der Generalsekretär der CGT, der seit 20 Jahren mit San Martin befreundet ist. Im Konzertsaal Bataclan löschen Terroristen nicht nur das Leben von Patricia San Martin aus, auch ihre Tochter Elsa, 35, stirbt durch die Kugeln aus den Kalaschnikows. Nur deren kleiner Sohn Louis, fünf Jahre alt, überlebt das Massaker und kann aus dem Konzertsaal flüchten.

Maxime Bouffard

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(Foto: Reuters)

Er war ein "fêtard" sagen Freunde über ihn: Einer der das Leben liebte, der gerne Musik hörte, feierte. Und außerdem leidenschaftlich Rugby spielte. Als seine Schwester die Nachricht erhält, dass auch ihr Bruder Maxime Bouffard unter den Todesopfern ist, sitzt sie in einer Bar mitten in Paris. Sie bringt es nicht übers Herz, ihre Eltern, die in einem Dorf im Südwesten Frankreichs leben, persönlich am Telefon zu benachrichtigen. In ihrer Verzweiflung ruft sie Michel Raffalovic, den Bürgermeister des Dorfes Le Coux an und bittet ihn um Hilfe. Der besucht sofort das Elternhaus der Geschwister. "Wir sind dann zu dritt ins Auto gestiegen und nach Paris gefahren", erzählt Raffalovic. Maxime Bouffard war vor vier Jahren aus der Region Périgord nach Paris gezogen. Er hatte zuvor in Sarlat und Biarritz Film studiert. In Paris produzierte er Spots für Bands, macht kleine Trailer. "Maxime stand mitten im Leben, er hatte ein ungeheueres Talent. Er war wie ein geistiger Bruder für mich", sagt Pierre Avezou, einer seiner engsten Freunde.

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