Terror in der Türkei:Die Spur führt nach Osten

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Die Selbstmord-Attentäter von Istanbul waren nach bisherigen Erkenntnissen Islamisten, die vermutlich aus Russland und Zentralasien gekommen sind.

Von Julian Hans, Mike Szymanski, Istanbul

Einer der Selbstmordattentäter am Atatürk-Flughafen hat 2011 in bulgarischer Haft gesessen Es handelt sich nach einem Bericht des Staatsfernsehens in Sofia vom Donnerstag um einen russischen Staatsbürger, den Tschetschenen Achmed Radschapowitsch. Der Mann wurde damals an einem bulgarisch-türkischen Grenzübergang auf Ersuchen Russlands festgenommen, als er Bulgarien verlassen wollte. Der Tschetschene wurde allerdings nicht an Russland ausgeliefert, da er 2003 politisches Asyl in Österreich erhalten hatte. Deswegen lehnte das Gericht im bulgarischen Plowdiw seine Auslieferung nach Russland ab. Russland hat bisher Angaben aus türkischen Regierungskreisen nicht bestätigt, dass es sich bei einem der drei Angreifer in Istanbul um einen russischen Staatsbürger gehandelt hat. Die türkische Nachrichtenagentur DHA hatte gemeldet, dass es sich bei dem Russen um einen Mann aus Dagestan handelt. Diese russische Teilrepublik grenzt in der Unruheregion Nordkaukasus an die ebenfalls russische Teilrepublik Tschetschenien. Die anderen beiden Täter sollen laut türkischen Behörden aus Kirgisien und Usbekistan stammen. Die Täter hatten am Dienstagabend im Eingangsbereich des internationalen Flughafen um sich geschossen und sich dann in die Luft gesprengt. Die Regierung in Ankara vermutet die Terrororganisation Islamischer Staat hinter der Attacke, bei der mindestens 46 Menschen ums Leben gekommen und 238 verletzt worden sind.

Die Herkunftsländer der mutmaßlichen Selbstmordattentäter sind bekannt dafür, dass der Islamischer Staat dort Kämpfer rekrutiert. Junge Männer aus den muslimischen Regionen der ehemaligen Sowjetunion würden häufig in den Großstädten Zentralrusslands radikalisiert, warnen Experten. Sie kommen als Wanderarbeiter aus Tadschikistan, Usbekistan oder dem Kaukasus, um auf den Baustellen Moskaus zu schuften.

Dort leben sie am Rand der Gesellschaft, werden von Baufirmen ausgebeutet und von der Polizei verfolgt, weil ihnen oft die notwendigen Papiere fehlen. Alles zusammen ergibt einen idealen Nährboden für den radikalen Islamismus, den Werber des IS und anderer Gruppierungen dort gezielt säen.

Putin geht aus von mehreren Tausend Terrorkämpfern

Zu Beginn der russischen Bombardements in Syrien Ende September hatte Russlands Präsident Wladimir Putin den Einsatz auch mit einer Bedrohung durch 7000 Terrorkämpfer aus der Russischen Föderation begründet, die man besser dort jagen soll, bevor sie nach Hause kommen. Inzwischen ist davon in staatlichen russischen Medien zwar schon länger nicht mehr die Rede. Sowohl russische wie US-Behörden gehen aber davon aus, dass in Syrien mehrere Tausend Männer aus Russland und Zentralasien für den IS kämpfen.

In Istanbul kam es am Donnerstag im Zusammenhang mit dem Terrorangriff zu ersten Verhaftungen. Bei Einsätzen in mehreren Stadtteilen seien 13 Verdächtige aus dem Umfeld der Terrormiliz IS festgenommen worden, teilte Innenminister Efkan Ala mit. Die Türkei hatte sich in früheren Jahren zur Drehscheibe für ausländische Terrorkämpfer entwickelt. Ankara pflegte lange ein ambivalentes Verhältnis zu Islamisten, die in Syrien gegen den verhassten Gewaltherrscher Baschar al-Assad kämpften. Erst nachdem der IS anfing, auch auf türkischem Boden Anschläge zu verüben, begann die Türkei ihre Grenzen zu schließen und konsequenter gegen Netzwerke der Terroristen vorzugehen. Laut der türkischen Zeitung Habertürk sollen die mutmaßlichen Attentäter bereits vor einem Monat nach Istanbul gekommen sein und im konservativen Stadtteil Fatih ein Apartment gemietet haben. Die Personen sollen den Kontakt zu Nachbarn vermieden haben, berichtet das Blatt. Die Wohnung hätten sie mit einer Eisentür zusätzlich gesichert. Am Tag des Angriffs hätten sie gegen 20.30 Uhr die Wohnung verlassen. Sie hätten Rucksäcke und einen Koffer dabei gehabt. Der Taxifahrer, der die Männer zum Flughafen gefahren hatte, soll gesagt haben, dass er kein Verdacht geschöpft habe. Offiziell bekannt hat sich noch keine Gruppe zu dem Anschlag.

Aus Sicht von Günter Seufert, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist die Türkei für den IS nicht nur Feindesland, sondern dient auch als Rekrutierungsquelle. Der Islamische Staat spreche dort "anders als etwa in Frankreich oder in Belgien, Jugendliche an, deren Weltsicht fließende Übergänge mit Teilen des konservativen Mainstreams aufweist". Diese Jugendlichen gelte es nicht vor den Kopf zu stoßen. Auch die Auswahl der Ziele spreche dafür. Seufert sagt: "Das ist auch ein Grund dafür, dass der IS in der Türkei immer nur Leute angreift, die außerhalb des sunnitisch-konservativen Mainstreams stehen." Bei Anschlägen in Ankara, Diyarbakır und Suruç habe es beispielsweise vor allem linke Kurden getroffen. Bei Attentaten in Istanbul seien Deutsche und Israelis Opfer gewesen. Außerdem habe der IS am Dienstag eben nicht das Inlandsterminal sondern das für internationale Flüge zum Ziel gewählt hat. Sonst wäre die Zahl türkischer Opfer sicher höher gewesen.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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