100 Tage Barack Obama:Experiment ohne Beispiel

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Barack Obama versucht die Krise als Chance zu nutzen - solange seine überwältigende Popularität noch überdeckt, wie kontrovers seine Wirtschaftspolitik ist.

Nikolaus Piper, New York

Paul Krugman lässt keinen Zweifel an seiner Meinung. "Obama irrt", sagte der Wirtschafts-Nobelpreisträger Anfang April dem Magazin Newsweek. Krugman gehört zu der kleinen, aber einflussreichen Gruppe von Ökonomen, die die Wirtschaftspolitik des neuen Präsidenten von links kritisieren. Obamas Konjunkturprogramm, mit knapp 800 Milliarden Dollar das größte der Geschichte, sei immer noch zu klein, sein Plan zur Stützung der Banken zu sehr von den Interessen der Wall Street geprägt; er werde nicht funktionieren.

Schlüsselfigur mit schlechtem Start: Finanzminister Timothy Geithner im Gespräch mit seinem Chef, US-Präsident Obama (Foto: Foto: Reuters)

Noch härter ist die Kritik von rechts. Radio-Moderator Rush Limbaugh, der konservative Star der Republikanischen Partei, bekämpft den Präsidenten, als wolle dieser den Sozialismus einführen. Republikanische Aktivisten organisierten "Tea Partys", um gegen Staatsschulden und höhere Steuern zu demonstrieren.

Gegenwärtig überdeckt die überwältigende Popularität Obamas noch, wie kontrovers dessen Wirtschaftspolitik ist. Tatsächlich ist diese ein Experiment ohne Beispiel. Heute weiß man, dass sich die amerikanische Wirtschaft vor 100 Tagen, als Obama vor dem Kapitol vereidigt wurde, praktisch im freien Fall befand. Die Produktion stürzte noch schneller ab, als während der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre.

Heute ist der Absturz zwar noch nicht gestoppt, das Tempo, mit dem die Dinge schlechter werden, scheint sich aber zu verringern. Bewirkt hat dies ein gigantisches Ausgabenprogramm. Das Haushaltsdefizit wird in diesem Jahr auf 13,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen - das hat es in Friedenszeiten noch nie gegeben.

Mit einem neuen und komplexen Programm versucht Obamas Finanzminister Timothy Geithner, die amerikanischen Banken zu stabilisieren. Milliardenkredite sollen die Autokonzerne General Motors und Chrysler vor dem Konkurs bewahren.

All dies ist extrem, aber die Radikalität ist Ausdruck der ungeheuren Dimension dieser Krise. Von der Konzeption her verfolgt Obama einen Wirtschaftskurs der Mitte. Das lässt sich am besten an den Männern in seinem Wirtschaftsteam zeigen: Chefberater Larry Summers war schon unter Präsident Bill Clinton Finanzminister und förderte in dieser Zeit die Liberalisierung der Finanzmärkte.

Berater Paul Volcker stoppte zu Beginn der achtziger Jahre als Notenbankpräsident die Inflation in den USA, Finanzminister Geithner hat die Krisenpolitik der Regierung Bush maßgeblich mitbestimmt, damals als Chef der Federal Reserve Bank von New York. Er steht der Wall Street nahe und möchte die Krise mit Methoden der Wall Street bekämpfen.

Geithners Bankenpaket ist der Schlüssel zum Erfolg der Regierung Obama. Gelingt es, den Bankensektor dauerhaft zu stabilisieren, ist ein Ende der Rezession absehbar. Misslingt der Plan jedoch, sind die Folgen kaum zu kalkulieren.

Unkalkulierbar war auch, dass ausgerechnet der Finanzminister einen schlechten Start hatte. Geithner ist ein allseits akzeptierter Fachmann, hat aber kaum Erfahrung in politischer Kommunikation. Die Pressekonferenz, bei der er sein Bankenpaket veröffentlichte, wurde zum Desaster. Er inszenierte sie als historisches Ereignis, ließ dann jedoch die wichtigsten Details offen. Das Ergebnis war ein Kurssturz an den Börsen.

Inzwischen gibt es mehr Klarheit. Geithners Plan ist in zwei Punkten innovativ: Die großen Banken werden, erstens, einem "Stress-Test" unterzogen, der zeigen soll, welches Institut noch frisches Kapital braucht, um die Krise zu überstehen. Zweitens versucht Geithner, privates Kapital für die Rettung der Banken zu mobilisieren: Halb öffentliche, halb private Fonds sollen den Banken ihre faulen Kredite abkaufen. Ob der Plan funktioniert, ist völlig offen. Falls ja, können die Steuerzahler dabei Geld sparen. Falls nein, kommt Geithner um eine Verstaatlichung der Banken nicht mehr herum.

Schon jetzt ist der Einfluss des Staates so groß wie seit Generationen nicht mehr. Aber dies ist nicht geplant, sondern ein Ergebnis der Not. So dürfte die Regierung demnächst Haupteigentümer des Autokonzerns General Motors werden, einfach dadurch, dass bisherige Überbrückungsdarlehen in Aktien umgewandelt werden.

Offen ist, wie viele der teuren Vorhaben aus seinem ursprünglichen Programm Obama noch umsetzen kann. Zum Teil versucht er, die Krise als Chance zu nutzen, um politische Blockaden zu überwinden, etwa bei der Reform der öffentlichen Schulen. Mit besonderer Energie verfolgt er die Einführung einer Krankenversicherung für alle Amerikaner. Er weiß: Wenn er dies nicht zu Beginn seiner Amtszeit durchsetzt, hat er schon verloren.

© SZ vom 29.04.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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