Syrien:Wenn der Kalte Krieg heiß wird

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Die Nato gegen Russland - völlig unvorstellbar ist eine solche Eskalation nicht mehr: Moskau zündelt kräftig, und die türkische Führung steht den Russen nicht nach.

Von Julian Hans

Als der russische Premier dem Westen am Wochenende vorwarf, die Welt in einen "neuen Kalten Krieg" zu treiben, war die Aufregung groß. Dabei könnte ein kalter Krieg am Ende die kleinere Sorge sein. Wenn sich die Ereignisse in Syrien weiter so entwickeln, wie sie es seit dem Eingreifen Russlands Ende September tun, dann muss man froh sein, wenn Russland und die Nato nicht in eine militärische Konfrontation geraten - mit allen katastrophalen Folgen.

Bisher hat der russische Präsident Wladimir Putin Erfolg mit der Taktik, so hoch zu pokern, bis Europäer und Amerikaner aussteigen, um eine Konfrontation zu vermeiden. Doch längst ist das Kräftemessen in eine Phase geraten, in der eine Eskalation nicht mehr nur von Washington oder Moskau abhängt. Putin überschätzt seine Möglichkeiten, die mit ihm verbündeten Akteure in Syrien zu steuern. Noch viel mehr überschätzt er aber die Möglichkeiten der Amerikaner, die Lage zu kontrollieren. Keiner weiß, was im syrischen Chaos passieren würde, wenn der nächste russische Jet abgeschossen wird. Oder diesmal ein türkischer.

Denn die Situation ist heute eben nicht wie im Kalten Krieg, als sich relativ klar abgegrenzte Machtblöcke gegenüberstanden. Im türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan steht Putin ein Rivale gegenüber, der ihm in Herrschafts- und Ehrverständnis ähnlich ist; ein Rivale, der ähnlich empfindlich und impulsiv reagiert, wenn er die Interessen seines Landes verletzt sieht.

Die Nato gegen Russland - völlig unvorstellbar ist das nicht mehr

Im November war das der Fall, als russische Kampfjets an der türkischen Grenze und unter Verletzung des türkischen Luftraums Turkmenen bombardierten, die gegen Damaskus kämpfen. Das war so, als würde Kiew die russischsprachige Bevölkerung im Donbass bombardieren und dabei hin und wieder über russisches Gebiet fliegen. Putin würde das nicht hinnehmen, Erdoğan hat es nicht hingenommen. Nun nimmt ein zweites brandgefährliches Szenario Formen an: Dass die syrischen Kurden unter dem Schutz der russischen Luftwaffe an der türkischen Grenze Gelände gewinnen und ihre Stellungen ausbauen - vielleicht bald einen Staat ausrufen? -, ist für Erdoğan schwer akzeptabel.

Auf den Abschuss des russischen Jets durch ihr Mitglied Türkei hat die Nato zweigleisig reagiert. Öffentlich stellte sie nüchtern fest: Ein verletzter Luftraum ist ein verletzter Luftraum, Ankara hatte das Recht zu schießen. Von der zweifelhaften Verhältnismäßigkeit war nur hinter verschlossenen Türen die Rede. Dort bekam Erdoğan ordentlich eingeschenkt.

Was aber, wenn es in den syrischen Wirren zu neuen Zwischenfällen kommt? Zu Vorfällen, die weniger klar sind als der Abschuss des Jets, bei denen ungewiss ist, ob syrische Truppen oder Kurdenkämpfer geschossen haben und welche Unterstützung dabei von den Russen kam? Ankara dann den Nato-Bündnisfall zu verweigern, würde das Ende der Allianz bedeuten; ihn auszurufen hieße, einen kalten Krieg zu beenden und einen heißen zu beginnen.

© SZ vom 17.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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