Bürgerkrieg:Die ganz, ganz breite Front für Syrien

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Ein total zerstörtes Viertel in der syrischen Hauptstadt Damaskus (Foto: AFP)
  • Sie soll Syriens zerstrittene Opposition einen: Bei einer Konferenz in Saudi-Arabien kommen am Dienstag verschiedene Gruppen zusammen,
  • Darunter sind etwa die syrische Nationalkoalition und die freie Syrische Armee.
  • Die radikalsten Kräfte, etwa die Al-Nusra-Front und der sogenannte Islamische Staat sind nicht dabei.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Lange war kein Datum für die Konferenz bekannt, die Syriens Opposition einen soll: vom Westen unterstützte Exilanten und bewaffnete Fraktionen, die gegen das Regime von Baschar al-Assad ebenso kämpfen wie gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). An diesem Dienstag nun versammeln sich mehr als 60 Vertreter syrischer Gruppen und ausgewählte Persönlichkeiten in Riad, wie die amtliche saudische Nachrichtenagentur SNA am Sonntagabend bestätigte - die genaue Teilnehmerliste ist nach wie vor nicht öffentlich.

Saudi-Arabien ist während der jüngsten Runde der Wiener Syrien-Gespräche von einer Mehrheit der dort vertretenen Staaten beauftragt worden, das Treffen auszurichten - ein großer Erfolg gegenüber dem regionalen Rivalen Iran. Es wird zugleich der wichtigste Test seit dem Thronwechsel in Riad darüber, ob König Salman in der Lage ist, die von ihm und seinem ambitionierten Sohn, Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, angestrebte Führungsrolle unter den sunnitischen Staaten auszufüllen.

Russland unterstützt die Idee der Konferenz, Iran lehnt sie ab

Aus der Konferenz soll eine breit aufgestellte Vertretung der Regimegegner hervorgehen, die an künftigen Verhandlungsrunden als Gegenpart zu einer Delegation des Regimes teilnehmen kann. Iran, Vormacht der Schiiten und wichtigster Verbündeter des Assad-Regimes, lehnt die Konferenz ab und hat mit dem Scheitern des Wiener Prozesses gedroht. Russland dagegen trägt die Idee grundsätzlich mit; der saudische Verteidigungsminister wurde in den vergangenen Monaten mindestens zwei Mal in Russland empfangen.

Zugleich besteht der Kreml darauf, dass unter Federführung Jordaniens eine Liste von Organisationen in Syrien erstellt wird, die als terroristisch gebrandmarkt und wie der Islamische Staat und die Nusra-Front, der syrische Al-Qaida-Ableger, mit Sanktionen des UN-Sicherheitsrates belegt werden. Solche Gruppen wären dann legitime Ziele für Luftangriffe. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Moskau Gruppen auf der schwarzen Liste sehen will, die den Saudis als unverzichtbarer Bestandteil der Oppositionsdelegation gelten. Die wichtigsten in Riad vertretenen Gruppen im Überblick:

Syrische Nationalkoalition

Die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (SNC) ist ein Bündnis syrischer Regierungsgegner, das von vielen arabischen und westlichen Staaten als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt ist, so auch von Deutschland. Nach eigenen Angaben entsendet die SNC 20 Vertreter nach Riad. In der geplanten gemeinsamen Delegation soll die politische Opposition laut Diplomaten die Hälfte der Sitze erhalten. Die SNC hat zwar Verbindungen mit der Freien Syrischen Armee, der zahlenmäßig größten Dachorganisation der bewaffneten Rebellen; ihr Problem ist jedoch, dass sie in Syrien nicht über eigene Kräfte verfügt und weder politisches Gewicht hat noch großen Rückhalt in der Bevölkerung genießt.

Nationales Koordinationskomitee

Das Nationale Koordinationskomitee (NCC) für Demokratischen Wandel ist ein in Syrien ansässiger Zusammenschluss von mehr als zehn linksgerichteten und anfänglich auch kurdischen Parteien sowie unabhängigen Aktivisten. Es wird oft als Dachorganisation der inneren Opposition beschrieben und ist wohl als einzige Gruppe ohne Bedingungen zu Verhandlungen mit dem Regime bereit. Vertreter des NCC haben sich in Moskau auf Einladung Russlands mit Mitarbeitern des Außenministeriums getroffen. Vielen anderen Oppositionsgruppen gilt das Komitee deshalb als vom Assad-Regime unterwandert. In Syrien hat es ebenfalls wenig Gewicht und Rückhalt. Nicht zu verwechseln ist es mit den Regionalen Koordinierungsräten.

Freie Syrische Armee

Die Freie Syrische Armee (FSA) ist unter den moderaten Rebellen nach wie vor die mit Abstand wichtigste Dachorganisation; eingeladen nach Riad sind Anführer lokaler Brigaden, die unter dem Schirm der FSA kämpfen. Die Südliche Front mit 25 000 bis 35 000 Kämpfern aus etwa 60 säkular-nationalistischen und gemäßigt-islamistischen Untergruppen kontrolliert weite Teile des Gouvernorats Deraa. Sie wird von den USA unterstützt und hat enge Verbindungen zum jordanischen Geheimdienst. Die Südliche Front gilt als offen für lokale Waffenstillstände mit den Regierungstruppen, ein wichtiges Element im Plan des UN-Gesandten Staffan de Mistura .

Die Freie Syrische Armee im Norden vereint 14 Gruppen, die etwa 20 000 Kämpfer stellen. Einige von ihnen arbeiten mit kurdischen Einheiten zusammen. Manche der FSA-Gruppen im Norden sind deutlich konservativer und islamistischer als jene im Süden. Sie haben in dem Bündnis "Armee der Eroberung", Jaish al-Fatah, dem islamistischen und dschihadistische Gruppen angehören, gekämpft und die Provinz Idlib erobert. Die mit al-Qaida verbundene Nusra-Front hat das Bündnis inzwischen wieder verlassen. Diverse der FSA-Gruppen im Norden werden von den USA, der Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützt.

Ahrar al-Scham

Die Islamische Bewegung der freien Männer der Levante ist die wohl stärkste unter den konservativ-islamistischen Oppositionsgruppen - und sicher die problematischste. Zu ihren Gründungsmitgliedern und früheren Anführern gehören einstige Al-Qaida-Kader. Offiziell ist die Teilnahme in Riad nicht bestätigt, Diplomaten sagten jedoch, dass die Gruppe eingeladen wurde. Sie hat 10 000 bis 20 000 syrische Kämpfer, vertritt einen extrem konservativen, salafistisch geprägten Islam und betrachtet ihren Kampf als auf Syrien beschränkten Dschihad, allerdings nicht wie andere dschihadistische Bewegungen als globalen Kampf.

Nachdem ein Großteil ihrer Führung 2014 getötet wurde, orientiert sich die Gruppe neu und versucht sich von ihren dschihadistischen Wurzeln zu distanzieren. Kuwait, aber auch die Türkei und Saudi-Arabien unterstützen Ahrar al-Scham, die sich im Kampf gegen den Islamischen Staat, aber auch gegen das Assad-Regime als eine der effektivsten Gruppen erwiesen hat. Sie wollen den Westen überzeugen, diese Gruppe als Teil der Rebellen in den politischen Prozess einzubinden. Zumindest die USA und Großbritannien scheinen dazu bereit zu sein, wenn sich die Gruppe an Abmachungen wie lokale Feuerpausen hält. Moskau dagegen verlangt, dass Ahrar al-Scham auf die schwarze Liste gesetzt wird.

Jaish al-Islam

Die Armee des Islam ist ein Zusammenschluss von 50 Untergruppen aus dem salafistisch-islamistischen Spektrum. Sie gilt als weniger radikal als Ahrar al-Scham und kontrolliert 10 000 bis 17 000 Kämpfer in Vororten von Damaskus. Große Aufmerksamkeit erlangte sie im Juli, als sie ein Video verbreitete, in dem Kämpfer des IS getötet wurden. Sie mussten orangene Overalls anziehen - so wie die Opfer in den IS-Propaganda-Videos. Jaish al-Islam wurde beschuldigt, syrische Soldaten und deren Familien als menschliche Schutzschilde gegen Luftangriffe durch das Regime missbraucht zu haben. Unterstützt wird die Gruppe von Saudi-Arabien.

Sollten Ahrar el-Scham und Jaish al-Islam aus dem politischen Prozess ausgegrenzt werden, so argumentieren Befürworter ihrer Einbindung, würden zwei mächtige Milizen ins Lager der Terroristen getrieben und sich einem Friedensprozess zwangsweise widersetzen. Nicht nach Riad eingeladen wurden Vertreter der syrischen Kurden, die mit US-Luftunterstützung gegen den Islamischen Staat kämpfen. Riad nahm damit mutmaßlich auf Bedenken der Türkei Rücksicht.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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