Syrien:Der Offensive ausgeliefert

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Aleppo erlebt die heftigsten Angriffe seit langem, offenbar fallen Brandbomben. Assads Truppen forcieren die Kämpfe auch in anderen Orten Syriens.

Von  Paul-Anton Krüger, Kairo

Bei schweren Kämpfen um die syrische Großstadt Aleppo sind am Wochenende Dutzende Menschen getötet worden. Allein am Samstag kamen nach Angaben von Ärzten im von Rebellen kontrollierten Ostteil der Stadt mindestens 49 Menschen ums Leben. Die Zahl der Toten seit Beginn einer neuen Offensive von Truppen des Regimes von Baschar al-Assad und verbündeter schiitischer Milizen am Donnerstag stieg damit auf mehr als 210. Die Armee hatte angekündigt, die Stadt einnehmen zu wollen. Sie warf Flugblätter ab, in denen sie die Rebellen zur Kapitulation aufruft. Die russische Luftwaffe sowie Kampfjets und Hubschrauber des Regimes sollten mit dem schwersten Bombardement seit Monaten die Bodenoffensive vorbereiten.

Regierungstreue Einheiten drangen am Samstag in das nördlich der Stadt gelegene palästinensische Flüchtlingslager Handarat ein, das bislang Rebellengruppen gehalten hatten. Es liegt auf einer Anhöhe und hat strategische Bedeutung, weil sich von dort Zugangsstraßen kontrollieren lassen. In der Nacht zum Sonntag jedoch eroberten die Aufständischen das Gebiet zurück. Rebellengruppen schossen Granaten auf Viertel, die von der Regierung kontrolliert werden, und töteten dabei laut syrischen Staatsmedien fünf Menschen. Nach dem tagelangen Bombardement ließen die Luftangriffe auf den Ostteil Aleppos am Sonntag zunächst nach; am Abend aber gab es weitere Attacken.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich "entsetzt über die eiskalte militärische Eskalation". Aleppo erlebe die intensivsten und längsten Bombardements seit Beginn der Syrienkrise, teilte er am Samstag in New York mit. Es gebe Berichte, dass bei den Luftangriffen bunkerbrechende Waffen und Brandbomben eingesetzt worden seien. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Einsatz immer mächtigerer Waffen gegen Zivilisten und die zivile Infrastruktur nicht zu tolerieren.

Aktivisten aus der Stadt schickten Fotos und Videos, die metertiefe Krater zeigen und ganze Häuserblöcke, die zu Schutthaufen zusammengefallen sind. Die Rebellen warfen Russland und dem Regime vor, Bomben mit weißem Phosphor eingesetzt zu haben. Dieser fängt an der Luft Feuer und ist kaum zu löschen. Der Einsatz von Phosphor in bewohnten Gebieten ist international verboten. Auch Streubomben, die ebenfalls geächtet sind, sollen auf die Stadt abgeworfen worden sein. Krankenhäuser und drei der vier Stützpunkte der mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichneten Zivilschutzorganisation Weißhelme wurden von Bomben getroffen.

Bei den Attacken wurde auch wieder die Wasserversorgung der Stadt gekappt. Zunächst beschädigte das Regime ein Pumpwerk, das noch manche Viertel im Ostteil von Aleppo versorgt, wie das UN-Kinderhilfswerk Unicef mitteilte. Wegen der Kämpfe konnte das Pumpwerk nicht repariert werden; die Menschen sind auf Wasser aus improvisierten Brunnen angewiesen, das nicht zum Trinken geeignet ist.

In der Folge wurde "als Vergeltungsmaßnahme ein weiteres Pumpwerk abgestellt" und damit die Versorgung für 1,5 Millionen Menschen im von der Regierung kontrollierten Westteil ebenfalls unterbrochen. Dort gibt es allerdings Tiefbrunnen, die Zugang zu sauberem Grundwasser ermöglichen. Auch Strom gibt es im Ostteil der Stadt kaum noch, weil der Treibstoff für die Generatoren ausgeht. Damit fallen dann auch die Pumpen der Brunnen aus. Dagegen gelang es dem Roten Kreuz, in vier belagerte syrische Städte dringend benötigte Hilfsgüter zu bringen: Lebensmittel, Medizin. Die vier Städte - Madaja, Sabadani, Fua und Kafraja - waren für Hilfsorganisationen seit fast einem halben Jahr nicht zugänglich gewesen. Insgesamt sind dort 60 000 Einwohner eingeschlossen. Präsident Assad hat indes weitere Offensiven angekündigt. Die in Beirut erscheinende Zeitung al-Akhbar, die der Schiiten-Miliz Hisbollah nahesteht, zitiert ihn mit den Worten, Syrien werde nicht zulassen, dass Israel eine Sicherheitszone jenseits des besetzten Golan etabliere, die von "terroristischen Gruppen" kontrolliert werde, wie das Regime alle seine bewaffneten Gegner bezeichnet. In dem Gebiet gab es in den vergangenen Wochen wiederholt Zwischenfälle. Regierungstruppen hatten Granaten auf israelisch besetztes Gebiet gefeuert; die israelische Armee antwortete mit Luftangriffen. Das Raketenabwehrsystem Iron Dome fing zudem mehrere Geschosse ab.

Auch in den Vororten von Damaskus und nahe Homs griffen regierungstreue Einheiten weiter belagerte Orte an. In der Küstenebene am Mittelmeer zieht das Regime zudem Truppen für eine Offensive gegen Rebelleneinheiten in der Provinz Idlib zusammen, einer Hochburg islamistischer Gruppen und auch der als terroristisch eingestuften Jabhat Fateh al-Scham, der Nachfolgeorganisation der mit dem Terrornetzwerk al-Qaida verbundenen Nusra-Front. In Hama haben Rebellen eine Offensive gestartet.

Eingestürzte Häuserblöcke, metertiefe Bombenkrater: Aleppo erleidet die seit Monaten schwersten Angriffe. (Foto: Abdalrahman Ismail/Reuters)
© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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