Stuttgart 21: Schlichter Heiner Geißler:"Argumente, Fakten, Zahlen müssen auf den Tisch"

Lesezeit: 3 min

Heiner Geißler proklamiert als Vermittler im Streit um Stuttgart 21 eine "Friedenspflicht" für alle Konfliktparteien. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt der CDU-Politiker, wie er seine Aufgabe anpacken will, wie er sich vorbereitet - und redet über die Mentalität der Schwaben.

Heribert Prantl

Alle anderen Politiker seines Alters - Heiner Geißler ist im März achtzig Jahre alt geworden - sind Ex-Politiker. Geißler ist immer noch aktiv, und wie. Der frühere CDU-Generalsekretär und Bundesminister hat zwar keine Parteiämter mehr, aber er ist nach wie vor der wortmächtigste Sozialpolitiker seiner Partei, fast omnipräsent in den Talkshows. Bei seinen Buchlesungen erzählt er einleitend grinsend, dass er vor allem Gründer und Ehrenvorsitzender des Südpfälzer Gleitschirmflieger Clubs sei. Mit dem Schirm ist Geißler lebensbedrohlich abgestürzt, knapp an der Querschnittslähmung vorbei. Vom Weiterfliegen, Bergsteigen, Skifahren und Mountainbiken hat ihn das nicht abgehalten. Er gehört zu den wilden Alten der Republik. Weil er der präsenteste Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker im Fernsehen ist, war sein Beitritt zu Attac im Jahr 2007 naheliegend. Seine Partei mag sich damals geärgert haben, jetzt freut sie sich - Geißlers wilder Ruf hilft beim Vermitteln. Die Leute, die früher vor Empörung über den CDU-Mann und seine Sprüche ("ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen") auf die Bäume gegangen sind, schwärmen heute von Geißler. Der beharrt darauf, dass er stets der alte geblieben sei; die Leute hätten sich geändert.

Heiner Geißler: "Es geht jetzt zunächst um ein einvernehmliches Verfahren." (Foto: dpa)

SZ: Stuttgart 21 ja oder Stuttgart 21 nein - das sind die Fronten. Wo ist da denn der Weg für eine Schlichtung, für einen Mittelweg? Man kann doch nicht einen halben neuen Bahnhof bauen, man kann nicht ein halbes Bauloch ausheben.

Heiner Geißler: Es geht jetzt zunächst um ein einvernehmliches Verfahren. Die Gespräche müssen ohne Vorbedingungen geführt werden. Befürworter und Gegner müssen die Gewissheit haben, dass alle Informationen auf den Tisch kommen, dass alle Argumente, alle Fakten, alle Zahlen und alle Einschätzungen ernsthaft auf den Tisch kommen.

SZ: Ohne Vorbedingung heißt?

Geißler: Dass wirklich ganz offen verhandelt wird.

SZ: Sie waren Schlichter im Bauhauptgewerbe, beim Streit zwischen den Lokführern und der Deutschen Bahn, Sie haben vermittelt bei den Auseinandersetzungen zwischen der Telekom und der Gewerkschaft Verdi. Sie haben die Konflikte zwischen der Pilotenvereinigung Cockpit und der Deutschen Touristikbranche geschlichtet. Sind die Regeln, die bei Tarifverhandlungen gelten, auf die Verhandlungen über Stuttgart 21 übertragbar?

Geißler: Bei jeder Schlichtung gibt es eine Frist, innerhalb der die Verhandlungen abgeschlossen werden müssen. Solange geredet wird, gibt es eine Friedenspflicht.

SZ: Und die besagt?

Geißler: Im Arbeitsrecht besagt sie, dass jede Seite auf jegliche Kampfmaßnahmen verzichten muss.

SZ: Sie sind jetzt der Nothelfer für den CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus?

Geißler: Die Grünen haben beantragt, dass ich in dem Konflikt schlichten soll. Ministerpräsident Stefan Mappus hat sich dem angeschlossen. Mappus führt das Lager der Befürworter des Projekts an, die Grünen führen das Lager der Gegner an. Es sind gute Voraussetzungen für eine Schlichtung, wenn offenbar beide Seiten hohes Vertrauen in den Schlichter setzen. Im Übrigen: Es gibt eine objektive Not in Stuttgart, es gibt eine hochangespannte Situation, die unbedingt entschärft und beruhigt werden muss. Ich will das sehr ernsthaft, gründlich und substantiell tun. Wenn ich aber sehen würde, dass ich das nur pro forma machen soll, dann würde ich sofort wieder aufhören.

SZ: Wie werden Sie Ihre Aufgabe anpacken?

Geißler: Es darf keinen Streit geben über das Verfahren. Es muss einvernehmlich beschlossen werden, zum Beispiel wer an den Verhandlungen teilnimmt.

SZ: Was brauchen Sie, bevor Sie zu verhandeln anfangen?

Geißler: Ich muss Zugang haben zu allen, zu wirklich allen Informationen.

SZ: Wo werden Sie verhandeln?

Geißler: Das muss ich noch klären. Vielleicht im Stuttgarter Landtag.

SZ: Wie bereiten Sie sich auf die Verhandlungen vor?

Geißler: Es gibt keine Alleingänge von mir. Die Streitfragen werden strukturiert, zum Beispiel die Finanzierung und die technischen Fragen.

SZ: Sie sind in der Pfalz zu Hause. Haben Sie denn ein Gefühl für die Mentalität der Schwaben?

Geißler: Ich bin in Oberndorf am Neckar geboren, habe in Tübingen studiert und meine berufliche Laufbahn in Stuttgart begonnen. In Degerloch habe ich geheiratet. Meine beiden ältesten Söhne sind in Stuttgart geboren. Mein erstes Bundestagsmandat habe ich für den Wahlkreis Reutlingen errungen. Und in Stuttgart hatte ich auf dem Österreichischen Platz meinen ersten Autounfall - mit einem DKW Junior de Luxe von der Autofirma Fahr.

© SZ vom 07.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Heiner Geißler
:Generalsekretär, Querdenker, Schlichter

Von Kohls Abteilung Attacke bis zum Globalisierungskritiker: Das politische Leben Heiner Geißlers in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: