Stuttgart:Kampfbegriff Schorndorf

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Präsenz zeigen: Die Polizei schaute beim Stadtfest im Schlossgarten nach mehreren Vorfällen öfter vorbei, wenn sich dort Jugendliche zum Feiern trafen. (Foto: Deniz Calagan/dpa)

Der Landtag debattiert die Übergriffe beim Stadtfest - und die Polizei präzisiert Zahlen: aus Tausend werden Hundert.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Am Montag geht Matthias Klopfer in Urlaub, sonnen auf Sardinien. Dann nimmt die turbulenteste Episode seiner politischen Laufbahn ein vorläufiges Ende. Der Oberbürgermeister macht sich wenig Hoffnung, dass seine Stadt schnell aus den Schlagzeilen verschwindet. Schorndorf wird bis zur Bundestagswahl ein Kampfbegriff bleiben, davon gab die Landtagsdebatte am Donnerstagvormittag einen Eindruck. Mit den Flüchtlingen sei "ein gewalttätiger Mob" nach Deutschland gekommen, das hätten die Ereignisse beim Stadtfest in Schorndorf gezeigt, sagte der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender. Klopfer saß als Gast auf der Tribüne und mühte sich ein Lächeln ab.

Die AfD sei "eine Schande für Deutschland", sagte Klopfer hinterher im Foyer des Landtags. Klopfer, 49, hat vor Jahren als Wahlkampfleiter für die Südwest-SPD gearbeitet. Er weiß, wie man politische Schlachten schlägt. Deshalb steckt er auch die Attacken des Innenministers Thomas Strobl von der CDU gelassen weg. Der nimmt dem Oberbürgermeister übel, dass er das Vorgehen der Polizei kritisierte. Strobl sagte offenbar diese Woche: "Bei dem klopft es wohl nicht mehr richtig". Klopfer erwidert, er fühle sich im Stich gelassen vom Minister. Ganz allein habe er die Kommunikation mit Medien aus aller Welt führen und den Eindruck zerstreuen müssen, Schorndorf sei von einer Multikulti-Horde heimgesucht worden. In seiner Kritik an der Polizei darf er sich mittlerweile zum Teil bestätigt fühlen.

Zumindest irreführend war die Pressemitteilung vom Sonntagabend. Sie listete zwei Fälle sexueller Belästigung durch Asylbewerber auf und ging nahtlos über zu den Vorfällen im Schlosspark. Dort habe sich eine tausendköpfige Menge "versammelt", aus deren Mitte die Beamten mit Flaschen angegriffen worden seien. "Bei einem großen Teil" habe es sich um Menschen mit Migrationshintergrund gehandelt. In Agenturberichten hieß es danach sogar, die gesamte Menge habe randaliert. Die am Mittwoch veröffentlichte Polizei-Bilanz präzisiert nun, in der tausendköpfigen Menge sei es eine Gruppe von hundert Jugendlichen gewesen, "überwiegend mit Migrationshintergrund", von der die Aggression ausgegangen sei. Am Ausbruch der Gewalt waren allerdings Schorndorfer Schüler und Jugendliche stark beteiligt.

Laut Polizeibericht verletzte ein 16-jähriger Deutscher mit einem Flaschenwurf einen jungen Syrer am Kopf. Als die Polizei eintraf, wurde sie mit Flaschen beworfen. Es war gegen 22 Uhr. Zu dem Zeitpunkt, sagt Klopfer, hätte man den Park räumen müssen. Doch es wurde weiter gefeiert. Gegen ein Uhr morgens wollten die Beamten einen 20-jährigen Deutschen wegen Körperverletzung festnehmen. Da solidarisierten sich die rivalisierenden Gruppen gegen die Polizei, die Lage eskalierte. Weil die Polizisten Schutzkleidung trugen, wurde keiner verletzt.

Das alles muss so detailliert nachvollzogen werden, weil im In- und Ausland der Eindruck entstanden war, der Fall Schorndorf knüpfe an die Vorfälle auf der Kölner Domplatte an. Unstrittig sind die Fälle sexueller Übergriffe. Neun wurden angezeigt, in sechs davon ließen sich offenbar die Vorwürfe erhärten. Als mutmaßliche Täter wurden ermittelt ein irakischer und drei afghanische Asylbewerber. Für Haftbefehle reichte es nicht. Insgesamt wurden während des Volksfests 53 Straftaten angezeigt, vergangenes Jahr waren es noch 28.

Klopfer trat am Donnerstagnachmittag noch einmal gemeinsam mit dem Aalener Polizeipräsidenten Roland Eisele vor die Presse. Er wollte, bei aller Kritik, "den Schulterschluss üben". Gewalt gegen die Polizei sei eben sowenig hinzunehmen wie sexuelle Übergriffe.

Der kleine Ort steht plötzlich für ein ganzes Spektrum von deutschen Problemen

Das kleine Schorndorf steht nun für ein ganzes Spektrum von deutschen Problemen: mangelnde Integration, mangelnder Respekt vor der Polizei, Alkohol-Exzesse. Die Bürgerschaft ist verunsichert, der Bürgermeister wird in sozialen Netzwerken beschimpft, weil er die Geschehnisse verharmlose, auch sein Team im Rathaus bekommt von dem Sturm jede Menge ab. Was Klopfer bemerkenswert fand: Mitarbeiterinnen berichteten, sexuelle Übergriffe seien beim Stadtfest schon üblich gewesen, bevor Asylbewerber nach Schorndorf kamen.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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