Studie: Islam in Deutschland:Unsere Muslime

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Eine Studie belegt, wie sehr der Islam ein Teil Deutschlands ist. Die neuen Zahlen zeigen aber auch: Für viele Muslime gibt es Prägenderes als den Koran.

Roland Preuß

Es ist die schiere Zahl, die das Gewicht des Islam in Deutschland zeigt: Etwa vier Millionen Muslime leben im Land, fast eine Million mehr als bisher gedacht. Längst ist klar, dass der Islam ein Teil Deutschlands ist, doch erst die jetzige Studie des Innenministeriums erhellt sein volles Format.

Die Muslime zeigen ihren Glauben und dies wird als politisches Statement verstanden, als schleichende Islamisierung gefürchtet. Die Zahl von vier Millionen Muslimen aber zeigt, die Zeit ist längst reif für einen sichtbaren Islam. (Foto: Foto: dpa)

An die zwei Millionen Muslime, also beinahe die Hälfte, sind bereits Deutsche. Sie werden bleiben, sie werden mehr und mehr mitreden und mitwählen wollen. Und ihr Gewicht wird weiter wachsen, durch Hunderttausende von Einbürgerungen in den kommenden Jahren.

Schreibt man diese Entwicklung fort, so werden vier Millionen deutsche Muslime mit ihren Stimmen an die fünf Prozent der Wahlberechtigten bilden - und könnten so einer eigenen Partei ins Parlament verhelfen. So eine Partei wäre aber dann ein Sinnbild der gescheiterten Integration deutscher Muslime.

Die neuen Zahlen aber weisen glücklicherweise in die andere Richtung, sie zeigen, dass es "die" Muslime in Deutschland nicht gibt - sondern eine Vielfalt von Menschen aus muslimisch geprägten Ländern. Was hat ein Anhänger der islamistischen Vereinigung Milli Görüs mit einem afghanischen Akademiker zu tun, der vor den Taliban geflohen ist und nichts von Religion hält? Herzlich wenig. Doch so weit reicht das muslimische Spektrum.

Iraner, die wegen des Mullah-Regimes in Teheran mit Turbanträgern und Gottesstaat verbunden werden, bezeichnen sich in Deutschland in den meisten Fällen als "gar nicht" oder "eher nicht" gläubig. Und selbst unter den Strenggläubigen begegnet einem die volle menschliche Widersprüchlichkeit zwischen offiziellem Bekenntnis und Handeln im Alltag: Tiefer Glaube ja, sagen viele Musliminnen, doch ein Kopftuch trägt die Hälfte von ihnen trotzdem nicht. Sie sind eben nicht nur Muslime, sondern auch modebewusste, oft berufstätige Frauen. Auch für Muslime gibt es Prägenderes als den Koran.

Die Ergebnisse zum Kopftuch überraschen deswegen, weil im Straßenbild ja vor allem diejenigen Musliminnen auffallen, die es tragen. An diesen Auffälligkeiten entzünden sich in Deutschland viele Konflikte.

Dort, wo der Islam deutlich sichtbar geworden ist, erhob sich Protest der Einheimischen - gegen Kopftücher im Unterricht und große Moscheen, gegen angeblich muslimische Ghettos oder auch die Islamkonferenz der Bundesregierung, die diesen Donnerstag wieder tagt.

Die Muslime zeigen ihren Glauben und dies wird als politisches Statement verstanden, als schleichende Islamisierung gefürchtet. Die Zahl von vier Millionen Muslimen aber zeigt, die Zeit ist längst reif für einen sichtbaren Islam. Wenn dieser Islam schamhaft in den Gebetshallen von Gewerbegebieten verborgen bleibt, ist er kein Teil Deutschlands, sondern ein Anhängsel.

Die Muslime haben ein Recht auf Moscheen. Wenn die Anwohner von Anfang an informiert sind und die Finanzierung der Projekte offengelegt wird, dann gelingen diese letztlich auch.

Was in den Moscheen und Korankursen gelehrt wird, muss sich allerdings vielfach ändern. Gesucht wird der aufgeklärte Islam, der ohne Vorbehalte zu Demokratie und Menschenrechten passt.

Zu oft noch dient der Koran als Vorwand für ein archaisches Denken, das Frauen als Verfügungsmasse der Männer oder Aushängeschild der Familienehre begreift. Diese Aufklärung kann der Staat nicht erzwingen, aber er kann sie fördern, ja provozieren: Durch ein klares Pochen auf den Vorrang der weltlichen Gesetze.

Der Weg dahin führt aber vor allem durch die Moscheen selbst, wo bisher meist eigens engagierte Imame aus der Türkei oder dem Nahen Osten predigen. Sie kommen aus einer anderen Welt und oft lehren sie auch so.

Mühsame Aufklärung

Mit einer Deutschland angemessenen Sicht auf den Koran sind viele von ihnen überfordert. Imame von inländischen Hochschulen müssen also zur Regel werden. Der Staat kann dies nicht erzwingen, aber ermöglichen - umso mehr, als viele Moscheegemeinden selbst nach einem einheimischen Imam verlangen.

Diese Aufklärung ist mühsam und sie wird nicht ohne Konflikte ablaufen. Die türkische Regierung etwa schickt seit jeher eigene Vorbeter nach Deutschland für ihre türkischstämmigen Landsleute, die größte Gruppe der Muslime im Land. Sie tut dies weniger aus missionarischem Eifer denn mit dem Ziel, die Auswanderer an die alte Heimat zu binden. So aber wird der Islam nicht in dieser Gesellschaft ankommen. Hier sind die Gemeindemitglieder selbst gefragt, sich mehr und mehr von der theologischen Nabelschnur des Herkunftslands zu lösen.

Dieser Schritt ist wichtig, aber man sollte auch nicht die vielen weltlich orientierten Muslime in Deutschland vergessen. Gut jeder siebte gibt laut der Islam-Studie nichts oder wenig auf das Wort der Imame oder die Regeln des Koran. Auch sie rücken das Klischee zurecht, das wirkliche Muslime als Feinde der Demokratie oder Anhänger der Scharia definiert.

Bisher mangelt es den weltlich orientierten Muslimen an Gewicht, im großen Forum der Islamkonferenz dominieren die Extreme der muslimischen Verbände und der Islamkritiker. Eine Herausforderung wird es sein, diesen säkularen Muslimen künftig Gesicht und Stimme zu verleihen.

© SZ vom 24.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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