Straßenverkehr:Spione an der Scheibe

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Immer wieder gibt es Streit über Videos, die Autofahrer mit "Dashcams" filmen - kleinen Kameras am Armaturenbrett. Nun beschäftigt das Thema oberste Gerichte. Der Auslöser: eine rote Ampel.

Von Jochen Temsch

Sie sind keine große Kunst, bringen aber viele Klicks im Internet: Die Videofilmchen, die Autofahrer mit Dashcams fabrizieren, kleinen Kameras, die am Armaturenbrett oder am Rückspiegel des Fahrzeugs kleben oder im GPS-Gerät an der Windschutzscheibe stecken. Vor etwa drei Jahren kursierten die ersten im Vorbeifahren entstandenen Szenen im Internet: Meteoriteneinschläge, Frontalzusammenstöße, Flugzeugabstürze. Schnell wurden Dashcams auch in Deutschland zum beliebten Männerspielzeug. Mit der Verbreitung der Geräte nahm die Besorgnis der Datenschützer zu. Und nun hat die Diskussion neuen Schwung bekommen: Zum ersten Mal gab es eine obergerichtliche Entscheidung darüber, ob Dashcam-Material vor Gericht als Beweismittel zulässig ist. Im aktuellen Fall hatte das Amtsgericht Reutlingen 200 Euro Geldbuße gegen einen Autofahrer verhängt, der über eine rote Ampel gefahren war. Das Gericht konnte die Tat nur beweisen, weil ein anderer Autofahrer zufällig eine Dashcam laufen ließ und der Polizei das Video zur Verfügung stellte. Der Beschuldigte legte Rechtsbeschwerde ein, das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte das Urteil. In dem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss des Gerichts heißt es, in einem Bußgeldverfahren sei es in schwerwiegenden Fällen grundsätzlich zulässig, auf Aufnahmen anderer Verkehrsteilnehmer zurückzugreifen.

Es ist der vorläufige Höhepunkt eines seit Längerem andauernden Streits um die Armaturen-Apparate. Befürworter sagen, mit den Aufnahmen ließen sich Schuldfragen leichter klären. Kritiker sehen darin Persönlichkeitsrechte verletzt und Denunziantentum gefördert. Dürfen sich nach dem Beschluss nun alle Freizeit-Sheriffs ermutigt fühlen, verhasste Mitmenschen zu filmen und anzuzeigen?

Sicher nicht. Der falsch parkende Nachbar gilt nicht als schwerwiegendes Problem. "Auch weiterhin muss jeder Einzelfall abgewogen werden", sagt Hannes Krämer, Justiziar des Automobilclubs ACE. Deshalb befürchtet die Polizei nun auch keine Flut von Anzeigen: "Wir wollen keine Bespitzelung", sagt Oliver Malchow, Chef der Polizeigewerkschaft GdP. Was Polizisten und Juristen dagegen fordern, ist eine klare gesetzliche Regelung zur Nutzung von Dashcams. Dem schließen sich selbst Befürworter der Technik an, etwa der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Die Rechtslage bleibt jedoch unübersichtlich. Das Bundesdatenschutzgesetz verbietet das dauerhafte Filmen des öffentlichen Raums. Autofahrer dürfen ihre Dashcams deshalb theoretisch nicht stundenlang laufen lassen. Aber wer kann das verhindern? Jeder Einzelne hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und darf entscheiden, wer Videos von ihm anfertigt. Wer jedoch Teil von Totalaufnahmen über den Straßenverkehr wird, kann nichts dagegen tun, auch wenn er aufgrund der hohen Qualität der Aufnahmen leicht herausgezoomt werden kann. Es bleiben also offene Fragen.

Klar ist: Wer ohne Erlaubnis Aufnahmen anderer ins Internet stellt, kann nicht nur mit vielen Klicks rechnen, sondern auch mit hohen Anwaltskosten und Schadenersatzforderungen.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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