Sri Lanka:Milch für den Frieden

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Braucht ein Land wie Sri Lanka Hilfe? Deutschland unterstützt auf der Insel den Neustart nach dem Bürgerkrieg - mit Zusammenkünften, Training und speziellen Kühen.

Von Arne Perras, Kilinochchi

Sie war schon als Mädchen gut im Rechnen, auch wenn ihr das damals wenig half. Als sie ein Kind war, ha-gelte es Granaten. Da musste sie eher laufen können und Deckung finden, wenn wieder Mal Gefechte zwischen Rebellen und der Armee näher rückten. Die Gefahren des Krieges ließen sich mit Zahlen nicht vermessen, abwehren erst recht nicht. Manche traf es, andere kamen davon. Premachandran Shagana hatte Glück, dass sie den Bürgerkrieg auf der Tropeninsel Sri Lanka überlebte.

Die Gefechte zwischen tamilischen Separatisten und dem von Singhalesen dominierten Militär sind Geschichte, seit 2009 wird nicht mehr geschossen. Und Shagana, die ihr schwarzes Haar zu einem langen Zopf geflochten hat, will die Zeit der Ruhe nutzen. Sie konzentriert sich ganz auf ihre Seminare und Übungen, auch wenn die Last der Vergangenheit sie immer noch herunterzieht. Sie hat als Kind viele Dinge gesehen, die ihr besser erspart geblieben wären. Die 21-Jährige unterdrückt die Tränen, als sie an diesem Morgen davon erzählt. Sie sah ihre Tante und ihre Cousinen sterben, eine lange Kette traumatischer Erlebnisse bestimmte ihre Kindheit im Norden von Sri Lanka. Sie lassen sich nicht so einfach abschütteln.

Nach dem Krieg bieten sich nun aber Chancen, junge Leute beider Seiten können sich im Frieden kennenlernen. In einem Trainingscenter in Kilinochchi sitzen tamilische neben singhalesischen Studenten. "Das funktioniert ganz gut", sagt Shagana, die lieber nach vorne blicken will als zurück. Hier kommen nun Angehörige zweier Ethnien zusammen, deren Leben früher von Feindbildern bestimmt war, vom Schmerz verlorener Angehöriger. Als eine Gruppe tamilischer Schüler von Kilinochchi erstmals nach dem Krieg nach Colombo in den Süden fuhr, trauten sie sich zuerst nicht aus dem Bus. Also schickten sie einen als Vorhut hinaus, um zu sehen, was passierte. Als alles ruhig blieb, kamen die anderen nach. Es ist ein Tasten, Angst und Misstrauen weichen nur langsam.

Einst herrschten im Ort Kilinochchi die Tamil Tigers, eine Rebellenbewegung, die für die Tamilen einen eigenen Staat er-kämpfen wollte. Viele Angehörige der Minderheit fühlen sich von der singhalesischen Mehrheit diskriminiert und verfolgt. Spannungen schaukelten sich Jahrzehnte lang hoch, es kam zu Gewalt auf beiden Seiten und schließlich versank Sri Lanka in einem zähen Krieg, der 26 Jahre lang dauerte. Die Separatisten, die wegen ihrer Selbstmordattentate berüchtigt waren, wurden 2009 von der Armee vernichtend geschlagen. Die Aufarbeitung der Vergangenheit hat noch kaum begonnen, die Vereinten Nationen mahnen ein Tribunal an, um mutmaßliche Kriegsverbrechen zu untersuchen. Der Staat schiebt Untersuchungen hinaus, aber immerhin bietet der Wiederaufbau jungen Leuten die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen. Shagana möchte Bauaufseherin werden. Und dann weiter studieren bis zum Ingenieursdiplom. "Meine Familie hat alles verloren. Ich muss was verdienen, um sie zu unterstützen," sagt sie. "Meine Eltern haben mich durch den Krieg gebracht, ich will ihnen jetzt etwas zurückgeben."

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist Geschichte, seine Folgen aber bis heute spürbar: Auf den Straßen ist noch immer schwer bewaffnetes Militär zu sehen, das Misstrauen zwischen den Volksgruppen ist groß. (Foto: Ishara S. Kodikara/AFP)

Die Ausbildungsstätte in Kilinochchi hat die deutsche "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ) mit aufgebaut. Sie will helfen, Brücken zu bauen in der zerrissenen Gesellschaft, außerdem fördert sie kleinere und mittlere Unternehmen. Im fernen Colombo empfängt Minister Mahinda Samarasinghe, er leitet das Ressort für berufliche Bildung und sagt: "Auf diesem Gebiet sind die Schweiz und Deutschland unsere Vorbilder." Sri Lanka möchte noch mehr dieser Zentren haben, man hört, dass die Deutschen auf beiden Seiten - bei Singhalesen wie Tamilen - Respekt genießen. Keine schlechten Voraussetzungen also, um sich für die Festigung des Friedens in der Region zu engagieren.

Die GIZ organisiert Workshops, um Unternehmer aus Nord und Süd zusammenzuführen. Das gelingt in einzelnen Fällen, doch noch lässt sich von einem breiten Aufschwung im Norden nicht sprechen, es fehlen vor allem Jobs. Die GIZ hilft auch den Bauern, mehr Milch auf den Markt zu bringen und so ihre Einkommen zu ver-bessern. Davon profitiert zu Beispiel Kailayapilai Kajendran, ein drahtiger Mann mit Schnurrbart, dem man nicht lange zusehen muss, um zu bemerken: Er liebt seinen Beruf, und er hat etwas gemacht aus der Unterstützung. Er kreuzt einheimische Kühe mit anderen Rassen, um die Milchmenge zu steigern, er baut besseres Futter an, er lässt eine Tierärztin nach dem Rechten sehen. Und er leitet das erzeugte Biogas in die Küche seines kleinen Hauses, wo die Familie dann damit kochen kann. Und er ist stolz darauf.

Vor allem die Kinder und die 75 000 Kriegswitwen leiden unter dem Erbe des Krieges

Bauern aus Sri Lanka, internationale Mischungen von Kuhrassen und die GIZ aus der Bundesrepublik? Eine Erfolgsgeschichte? Der Nutzen für die beteiligten Familien einerseits erscheint offenkundig. Andererseits lässt sich die Frage aufwerfen, ob dafür deutsches Steuergeld fließen muss: Schließlich sind die Abnehmer der Milch einheimische Firmen, die Profite erwirtschaften und selbst ein Interesse daran haben müssten, gute Milch für die Supermärkte abzufüllen. Könnten das alle Beteiligten nicht alleine stemmen? Brauchen sie die Helfer überhaupt? Konfrontiert mit solchen Fragen argumentieren GIZ-Mitarbeiter, dass die zerstörte Wirtschaft nach dem Krieg doch etwas Schub und Fachwissen benötigte, um in Gang zu kommen. Das Training und die Kreuzungen haben Bauer Kajendran geholfen, mit seinen Kühen jetzt doppelt so viel Milch zu erzeugen wie einst der Vater.

Doch auch im weiteren Sinne drängt sich die Frage auf: Braucht ein Land wie Sri Lanka noch Hilfe? Einfache Antworten gibt es darauf nicht, das zeigt schon ein Gespräch mit dem tamilischen Politiker Kandaiah Sivagnanam, der in Jaffna über die schwierige Phase nach dem Krieg spricht. Einerseits sind die Tamilen sehr geschäftstüchtige und sehr gebildete Leute. Und sie warten darauf, dass ihnen der Staat mehr Eigenständigkeit zubilligt. Eine Verfassungsreform soll dafür den Weg ebnen. Sie wäre wichtig, um Misstrauen unter den Tamilen abzubauen. Viele fürchten, dass die Singhalesen nun auch die Ökonomie im Norden dominieren werden. Sie haben Angst vor "Kolonisierung", wie Sivagnanam sagt. Er ist gewählter Vorsitzender des Provinzrates, doch bemängelt er, dass die Zentralregierung noch immer die wichtigen Entscheidungen für den Norden treffe, wo mehrheitlich Tamilen leben.

Unter dem Erbe des Krieges leiden vor allem Frauen und Kinder. 75 000 Kriegswitwen müssen laut Sivagnanam ihre Familien alleine ernähren, die Regierung interessiere sich für ihr Schicksal nicht besonders. "Sie brauchen dringend Hilfe", sagt er. "Wir begrüßen dafür internationale Organisationen". Andere wiederum glauben, dass es besser wäre, die Regierung selbst zu drängen, ihre Pflichten der Fürsorge zu erfüllen, um allen zu zeigen, dass sie einen Platz haben in diesem Frieden.

Ganz besonders wünscht sich der Tamile Sivagnanam aber internationale Präsenz auf dem Feld der Justiz, was im Übrigen auch die Vereinten Nationen fordern. Das aber ist ein äußerst heikles Thema. Internationale Rechtsexperten oder gar Richter an der Seite der einheimischen Justiz? Das würde nationalistisch gesinnte Kreise unter den Singhalesen in Rage bringen, die ihren Ex-Präsidenten Mahinda Rajapaksa und die siegreiche Armee als Helden feiern. Sie waren es, die 2009 die aufständische Tiger-Truppe niederkämpften. Die Vereinten Nationen halten es für sehr wahrscheinlich, dass es bei der Offensive zu Kriegsverbrechen mit tausenden Toten kam. Ob ein Tribunal das Grauen jemals untersuchen wird, lässt die Reformregierung von Maithripala Sirisena bisher nicht klar erkennen. Zwar verspricht sie Schritte zur Versöhnung, doch noch scheint sieb eher zu taktieren und abzuwarten.

Der tamilische Bauer Kajendran, der inzwischen seine zehn Kühe und sechs Kälber gefüttert hat, hält seine Meinung nicht zurück: "Wer was verbrochen hat, muss büßen", sagt er. Jeder sei schließlich verantwortlich für das, was er tue. Er erwartet also, dass die Richter bald ihre Arbeit machen, damit die Gerechtigkeit in Sri Lanka nicht auf der Strecke bleibt. Für die Rebellenführer der Tamilen allerdings kommt ein Tribunal in jedem Fall zu spät. Einem Richter können sie nicht mehr vorgeführt werden, denn sie haben alle den Krieg nicht überlebt.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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