SPD:Partei sucht Frau

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Die Sozialdemokraten wählen zum achten Mal in 20 Jahren einen neuen Chef - diesmal eine Chefin. Ihr Vorgänger Martin Schulz bekam 100 Prozent, das wird Andrea Nahles nicht passieren.

Von Nico Fried

Es ist genau 30 Jahre her, da gründete die Tochter eines Maurermeisters und einer Finanzangestellten in dem kleinen Ort Weiler in Rheinland-Pfalz einen Ortsverein der SPD. Allzu viele Mitglieder dürfte er nicht gehabt haben; in Weiler leben, Stand heute, etwa 500 Einwohner. Aber ein kleiner Freundeskreis reichte 1988, um eine erste Vorsitzende zu wählen: Andrea Nahles. Acht Jahre lang blieb sie im Amt - nach sozialdemokratischen Maßstäben jüngerer Zeit geradezu eine Ära.

Mit Nahles' Wahl zur Vorsitzenden der Bundes-SPD beginnt an diesem Sonntag - wenn die Mehrheit der Delegierten des Sonderparteitags in Wiesbaden mitspielt - eine neue, ja, was eigentlich? Wirklich neu ist, dass eine Frau die SPD führen wird. Das gilt auch im Falle einer Niederlage von Nahles, 47, weil dann ihre Gegenkandidatin, die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, 41, Parteivorsitzende werden dürfte. Mehr als 150 Jahre und seit dem Krieg 16 Männer lang hat's gedauert. Die erste Vorsitzende der konservativen CDU, Angela Merkel, führt ihre Partei jetzt schon zehn Jahre länger als Nahles einst den Weiler Ortsverein.

Ansonsten hat das Prädikat "neu" in der SPD an Glanz verloren. Es ist ja gerade erst etwas mehr als ein Jahr her, dass Martin Schulz mit 100 Prozent der Stimmen zum Vorsitzenden gewählt wurde, begleitet von der Hoffnung, nun werde alles anders. Davor hatte Sigmar Gabriel mal diese Erwartung geweckt, davor Kurt Beck, davor Matthias Platzeck. Schulz' Traumergebnis wurde zur Belastung. Auf keine Geschichte passt das Thema von Nahles' Magisterarbeit so gut wie auf die tragisch gescheiterte Romanze zwischen Schulz und der SPD: "Die Funktion von Katastrophen im modernen Trivialroman."

So einfach, wie sich Nahles einst einen eigenen Ortsverein gegründet hat, kann sie sich keine neue SPD basteln. Versuchen muss sie es trotzdem. Und wieder steckt die Verheißung in dem Wort Erneuerung. Da ist zum einen das Organisatorische, wofür der noch von Martin Schulz ausgesuchte Generalsekretär Lars Klingbeil verantwortlich ist, ein Digital-Fan, der unter anderem Online-Foren und eine SPD-App einrichten lassen will. So können die Mitglieder mitdiskutieren, wenn sie Lust dazu haben. Dass nur etwa die Hälfte aller Genossinnen und Genossen für die Parteispitze per E-Mail erreichbar ist, liegt nämlich dem Vernehmen nach nicht an einer überalterten Mitgliederschaft oder deren Technikfeindlichkeit. Vielmehr hat die Bundes-SPD schlicht von vielen Sozialdemokraten keine Mail-adresse erhalten, weil diese nicht mit dem Zeug aus Berlin behelligt werden wollten.

Für die politische Erneuerung will Nahles vor allem in vier Bereichen neue Konzepte und eine bessere Erkennbarkeit der SPD erarbeiten lassen: Wirtschaft und Wohlstand, Zukunft der Arbeit, Sicherheit und Sozialstaat sowie Außenpolitik. Zukunftsdebatten zu führen, sagt Nahles im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, bedeute, auch alte Gewissheiten zu überprüfen. "Wir müssen uns selbst fordern."

Für Nahles selbst ergibt sich das schon aus der Doppelfunktion von Fraktions- und Parteivorsitz. In der einen Rolle ist sie mit dafür verantwortlich, dass die Regierungsarbeit und die Gesetzgebung im Parlament flutschen. In der anderen Rolle muss sie die Eigenständigkeit der Partei erkennbar machen und binnen etwas mehr als drei Jahren die Zuversicht wiederherstellen, dass die SPD vielleicht doch mal wieder eine Bundestagswahl gewinnen und womöglich sogar den Bundeskanzler stellen kann.

Vielleicht auch eine Bundeskanzlerin? Mit Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz steht jetzt ein Duo an der Spitze der SPD, das in der Partei nie sonderlich populär war. Scholz erhielt bei der letzten Wahl zu einem der stellvertretenden Parteivorsitzenden im Herbst 2017 nur 59,2 Prozent. Nahles wurde früher von der Regierungs-SPD um Gerhard Schröder nicht sonderlich gemocht. Je weiter sie in der Partei aufstieg, desto mehr kamen Kritiker aus dem linken Flügel dazu. Nahles' Vertraute dämpfen schon seit Tagen die Erwartungen an das Wahlergebnis auf dem Parteitag. Alles zwischen 60 und 80 Prozent gilt mehr oder weniger als Erfolg.

Nahles und Scholz arbeiten seit gut 20 Jahren eng zusammen, die Ausstrahlung für eine aussichtsreiche Kanzlerkandidatur bringen beide bislang nicht mit. Als weiterer Aspirant gilt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, als möglicher Kandidat aufgrund seines angesehenen Postens als Außenminister sogar Heiko Maas. Gut möglich, dass die SPD auch abwartet, wie sich in der CDU die Nachfolge Angela Merkels entwickelt, wovon auch die Frage abhängt, in welche politische Richtung die Union künftig zieht.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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