SPD:Eine Parteichefin allein macht noch keine Gleichstellung

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Simone Lange oder Andrea Nahles: Aller Voraussicht nach wird heute zum ersten Mal eine Frau SPD-Vorsitzende. Aber noch immer traut die Partei Frauen höchstens Themen wie Kinder, Prozesshansel und Feldhamster zu.

Analyse von Jana Anzlinger

Die eine hatte rote Haare und wollte Parteichefin werden. Die andere drückte sich gern direkt aus und wollte Fraktionschefin werden. Was Heidemarie Wieczorek-Zeul und Herta Däubler-Gmelin nicht bekamen: die Ämter, die sie anstrebten. Was sie stattdessen bekamen: die Spitznamen "rote Heidi" und "schwäbische Schwertgosch". Damals, in den 90ern, ging die SPD nicht immer gut mit ihren Genossinnen um.

Schon morgen leitet aller Voraussicht nach eine Parteichefin die SPD. Zum allerersten Mal. Seit vergangenem Jahr ist Andrea Nahles Fraktionschefin - ebenfalls als erste Frau. Nahles tritt gegen die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange an. Über die Haarfarbe oder vermeintliche Zickigkeit der Kandidatinnen redet keiner. Verabschiedet sich die SPD nach 155 Jahren vom Patriarchat?

Nahles-Herausforderin Simone Lange
:Heute eine Rebellin

Simone Lange will mit sehr linken Positionen am Sonntag SPD-Vorsitzende werden. Der Flensburger Oberbürgermeisterin fehlt die Präsenz von Andrea Nahles, doch für ihre utopischen Ziele erfährt sie viel Sympathie.

Von Thomas Hahn

Die Besetzung der Spitzenposten in der Partei lässt sich bisher durchaus als patriarchalisch bezeichnen: Männer genießen eine bevorzugte Stellung. Zwar gab sich die SPD 1988 eine Geschlechterquote in Vorständen und Delegationen. Angeführt wurden diese jedoch weiterhin von Männern.

Vor und nach Einführung der Quote waren die meisten Bundesgeschäftsführer und Generalsekretäre männlich. Selbst die linken Jusos wählen selten Frauen an die Spitze. Dass ausgerechnet eine linke Partei und Fraktion so lange nur von Männern geleitet wurde, wirkt absurd im Vergleich mit der konservativen CDU, die schon so lange von einer Frau geführt wird, dass sich junge Deutsche im wahlberechtigten Alter an nichts anderes erinnern können. Bis heute hat keine Sozialdemokratin auch nur für die Kanzlerschaft kandidiert.

An Bewerberinnen für Spitzenposten mangelte es in der Vergangenheit nicht. Auch das Argument des fehlenden Nachwuchses gilt nicht. Jedes dritte Parteibuch ist inzwischen im Besitz einer Frau.

Warum spiegelt sich die Entwicklung an der Basis nicht schon längst im Spitzenpersonal? Weil sozialdemokratisches Führen für "Basta" und für "Kampf" steht - und diese Attribute noch immer eher Männern gegeben werden? Dabei gibt es in der Partei von Anfang an eine Menge Beispiele für weibliches Basta-Talent und erfolgreich kämpfende Sozialdemokratinnen. Rosa Luxemburg hat die Arbeiterbewegung maßgeblich geprägt, Marie Juchacz hat der linken Frauenbewegung vor hundert Jahren ein Gesicht gegeben. Das Frauenwahlrecht hat vor allem die SPD erkämpft. Die Abkehr von der Hausfrauenehe und das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche sind auch Sozialdemokraten zu verdanken.

Andererseits wirkt die Sozialpolitik der SPD oft wie ein generisches Maskulinum: Frauen sind irgendwie mitgemeint, gezielt angesprochen werden sie nicht. Andere linke Parteien machen das anders und werden dafür belohnt. Neben glaubhaften Plänen zu Ganztagsbetreuung und individueller Besteuerung setzen sich die Grünen gegen straffreie Vergewaltigung, für eine Ausweitung der Frauenquote und für ein neues Gesetz zur Lohngleichheit ein. In ihren Programmen zur Bundestagswahl widmeten Grüne und Linke der Gleichstellung je ein eigenes Kapitel, die SPD nicht. So wählten im vergangenen Jahr zwar genauso viele Frauen wie Männer Martin Schulz. Aber die Grünen gewannen fast so viele Wählerinnen hinzu, wie die SPD verloren hatte.

Die Reformen, die der kleinere Groko-Partner in der vergangenen Legislaturperiode durchgesetzt hat, waren meist nicht frauenspezifisch - und wenn doch, blieben sie hinter den Erwartungen von Gewerkschafterinnen und Betriebsrätinnen zurück. So ist aus Manuela Schwesigs Entwurf zur Lohngleichheit ein Gesetz zu Lohntransparenz geworden - das unter bestimmten Umständen zwar die Lohnlücke in Firmen zeigt, aber unfaire Bezahlung nicht sanktioniert. Eine wahre Gleichstellung der Frau muss sich in inhaltlichen Reformen noch niederschlagen.

Seit der Wahlschlappe beschwören Sozialdemokraten die "Erneuerung" der Partei. Frauen in Spitzenämtern sind eine einfache Methode, um diese Erneuerung nach außen zu zeigen. Auch die Ministerposten sind - wie schon in der letzten Groko - paritätisch verteilt. Aber immer noch setzt die SPD Frauen nicht in den wichtigsten Ministerien ein. Zehn Mal hat die Partei bislang den Finanzminister gestellt, sechs Mal den Außenminister. Frauen: Fehlanzeige. Neun Mal war das Verkehrsministerium sozialdemokratisch, und neun Mal war es männlich: Frauen und Autos, um Himmels willen. Dass eine Frau Verteidigungsministerin sein kann, musste die CDU demonstrieren.

Auch im neuen Kabinett hat die SPD das Auswärtige Amt und das Finanzministerium Männern überlassen. Was hier zumindest mitschwingt: Politikerinnen können weder mit Geld umgehen noch Kriege vermeiden und knallhart verhandeln sowieso nicht. Sie sollen sich lieber kümmern - um Kinder (Familienministerium), Prozesshansel (Justizministerium) und Feldhamster (Umweltministerium).

"Frauen tragen die eine Hälfte des Himmels": Das chinesische Sprichwort, das die damalige Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul 2003 über Gleichberechtigung und Entwicklungspolitik zitierte, traf auf ihre eigene Partei nicht zu. Den SPD-Himmel trugen jahrzehntelang Männer. Nun geben sie immerhin ein winziges Stück davon ab.

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