SPD:Der Hüter der Beinfreiheit

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In der SPD befürchten manche, bei einer Groko bliebe die Erneuerung auf der Strecke. Ein Mann will das verhindern.

Von Christoph Hickmann, Berlin

In den ersten paar Wochen nach der Bundestagswahl war in der SPD von kaum etwas so häufig die Rede wie von der Erneuerung, die es nun geben müsse. Alles sollte nach der verheerenden Niederlage erneuert werden: das Personal, die Strukturen und auch das inhaltliche Angebot der Sozialdemokratie. Man müsse, so lautete die Parole, die anstehenden Jahre in der Opposition nutzen, um spätestens 2021 wieder wettbewerbsfähig zu sein - schließlich habe man ohne Regierungsverantwortung erstens genügend Zeit und zweitens die notwendige Beinfreiheit, um sich den großen Fragen der Zeit zu widmen. Doch seit etwas mehr als zwei Wochen ist bei den Genossen von der internen Erneuerung nicht mehr ganz so viel die Rede.

Seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen muss sich die SPD mit ganz anderen Fragen auseinandersetzen - vor allem damit, ob sie demnächst doch wieder mitregieren möchte. Da treten alle anderen Belange naturgemäß in den Hintergrund. Zwar betont Parteichef Martin Schulz bei so ziemlich jeder Gelegenheit, dass der Prozess der Erneuerung selbstverständlich weitergehen werde. Doch in dem am Montag beschlossenen dreieinhalbseitigen Papier mit Leitlinien für Gespräche mit der Union findet sich erst ganz am Ende folgender Satz: "In jedem Fall werden wir die Erneuerung der SPD vorantreiben." Die Prioritäten haben sich da etwas verschoben.

Der designierte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (rechts, mit Parteichef Martin Schulz) sieht auch in der Opposition keine Garantie für Erneuerung. (Foto: Emmanuele Contini/imago/ZUMA Press)

Schon werden in der Partei Befürchtungen laut, die Neuaufstellung könne am Ende auf der Strecke bleiben. "Es geht um nicht weniger als die Zukunft der SPD", sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Thomas Hitschler. "Dazu ist eine tief greifende Erneuerung notwendig." Hitschler ist gerade mal 35, hat also schon rein lebenspraktisch ein Interesse daran, dass die SPD auch bei kommenden Wahlen noch möglichst viele Abgeordnete in den Bundestag schicken kann. Da schadet es nicht, die Latte gleich mal schön hoch zu legen: "Ich will, dass die SPD wieder zur fortschrittlichsten Partei Deutschlands wird", sagt Hitschler.

Bei vielen Genossen werden derzeit allerdings eher Erinnerungen an 2013 wach. Damals hatte die SPD bei der Bundestagswahl 25,7 Prozent geholt - was aus heutiger Sicht ein starkes Ergebnis wäre, damals aber eine schwere Niederlage bedeutete. Die nach der Wahl 2013 viel beschworene Aufarbeitung dieses Ergebnisses blieb aber aus - schließlich hatte der damalige Parteichef Sigmar Gabriel alle Hände voll damit zu tun, seine Partei in die große Koalition und sich selbst auf den Stuhl des Vizekanzlers zu bugsieren. Und danach musste erst mal regiert werden.

Dass es diesmal nicht wieder so kommt, soll Lars Klingbeil, 39, sicherstellen, der beim Parteitag zum Generalsekretär gewählt werden will. Er sagt, es gebe in der SPD "den riesigen Wunsch" nach Erneuerung - deshalb dürfe der von Schulz angestoßene Prozess "jetzt nicht in Vergessenheit geraten". Zum Ausdruck kam dieser Wunsch unter anderem bei den SPD-Regionalkonferenzen nach der Wahl. Und die Notwendigkeit sei ja "nicht weg, nur weil Jamaika gescheitert ist", sagt Klingbeil.

Den Kritikern einer Regierungsbeteiligung, die ihre Ablehnung einer großen Koalition auch mit dem Erneuerungsbedarf der SPD begründen, hält er prophylaktisch entgegen: "Es gibt ja auch keine Garantie dafür, dass Erneuerung in der Opposition gelingt. Es kommt auf uns an." Tatsächlich kann er auf die Jahre zwischen 2009 und 2013 verweisen. Obwohl damals Schwarz-Gelb regierte, blieben unter Sigmar Gabriel bereits damals die allermeisten Ansätze stecken. Oder wurden wieder verworfen.

Drei Bereiche definiert Klingbeil, die er sich vornehmen wolle: "Es muss die Möglichkeit geben, sich digital stärker einzubringen, also orts- und zeitunabhängig Anträge für Parteitage zu stellen und zu diskutieren." Zweitens müsse es "Strukturreformen" geben. Dafür will er den Wahlkampf evaluieren lassen, "bis auf die Ebene der Bundestagswahlkreise". Drittens will er sich "um unsere 30 000 Neumitglieder kümmern, die bei uns mitmachen und sich einbringen wollen". Und inhaltlich? Da werde es ihm vor allem um zwei Themen gehen: "Proeuropäische Reformen und die Digitalisierung - einschließlich aller gesellschaftlichen Umbrüche, die sie mit sich bringt."

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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