Spanien:Wahl der Demütigung

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Die Sozialisten haben jahrzehntelang eine tragende Rolle gespielt. Demnächst dürfte ihnen nur die Rolle des Juniorpartners bleiben.

Von Sebastian Schoepp, München

Spanien ist seit einem halben Jahr ohne gewählte Regierung, weil das Parlament durch die Wahl vom 20. Dezember 2015 so zersplittert wurde, dass sich keine Koalition zusammenfand. Das ist kein guter Zustand für ein europäisches Krisenland mit Rekordarbeitslosigkeit und besorgniserregendem Defizit, weshalb nicht nur die Spanier, sondern vor allem auch Brüssel darauf hoffen, dass sich die Lage nach der Neuwahl am 26. Juni ändert. Seit Montagnacht gilt der Wahlkampf erneut als eröffnet; da trafen sich die vier wichtigsten Kandidaten zum TV-Duell, und alle waren bemüht zu versichern: Sie werden alles tun, damit die Spanier nicht ein drittes Mal an die Urne müssen.

Doch wird die Konstellation nach dem 26. Juni laut Umfragen nicht viel anders aussehen als beim letzten Mal: vier Parteien, keine davon stark genug, alleine eine Regierung zu bilden. Eine gravierende Neuerung allerdings zeichnet sich ab: der Abwärtstrend der Sozialisten (PSOE) dauert an. Ihr Spitzenkandidat Pedro Sánchez gab auch bei dieser TV-Debatte die schwächste Figur ab. Bei der letzten Wahl wurde er noch Zweiter, doch diesen Rang machen ihm diesmal andere streitig.

Premier Rajoy lässt keinen Zweifel über seinen Wunsch: eine große Koalition nach deutschem Vorbild

Sánchez' eigentlicher Gegner ist daher nicht mehr der amtierende Regierungschef Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) - sondern Pablo Iglesias, Chef der linksalternativen Podemos-Bewegung. Der hat das Kunststück vollbracht, die Linken zu einen und die Ex-Kommunisten ins Boot zu holen. Diesmal treten sie gemeinsam als Unidos Podemos an - zu deutsch: Gemeinsam schaffen wir's. Und gemeinsam können sie es schaffen, zweitstärkste Kraft nach der Volkspartei zu werden. Den Sozialisten bliebe dann nur die Wahl, entweder Juniorpartner Rajoys in einer großen Koalition zu werden; oder Juniorpartner von Unidos Podemos in einer linken Volksfront-Regierung. Für die einst stolze PSOE, die Jahrzehnte lang die Politik Spaniens bestimmte, würde sich lediglich noch die Frage stellen, welche von beiden Junior-Rollen die schlimmere Demütigung darstellt. Sánchez beantwortete diese Frage in der Debatte indirekt, indem er so lange auf Podemos-Chef Iglesias herumhackte, bis der ihm zumurmelte: "Hey, Pedro - der Gegner heißt Rajoy!"

Der amtierende Regierungschef machte es sich derweil an seinem mit gelben Zetteln gespickten Rednerpult gemütlich. Rajoy sieht sich gern als alter Fuchs. In dieser Debatte gab er eher den Igel, der wartet, bis die jungen Hasen sich totlaufen. Seine drei Gegner behandelte er wie Schuljungen: "Regieren ist nicht das Gleiche wie ein Praktikum machen". Rajoy ließ in der Sendung keinen Zweifel daran, was er will: ein Bündnis der "moderaten Kräfte", mit anderen Worten: eine große Koalition mit den Sozialisten nach deutschem Vorbild.

Das ist derzeit die wahrscheinlichste Konstellation nach der Wahl - jedenfalls dann, wenn die Parteien ihr Versprechen wahrmachen, es nicht auf eine weitere Runde ankommen zu lassen. Pedro Sánchez hat einen Pakt mit Rajoy zwar ausgeschlossen. Aber die Frage ist, wie lange er eine noch desaströsere Wahlniederlage als die vom 20. Dezember 2015 politisch überleben würde. Und einige Provinzfürsten der PSOE machen durchaus den Eindruck, sie könnten mit einer großen Koalition leben.

Ein Bündnis mit Podemos hingegen haben führende PSOE-Granden ausgeschlossen. Haupthindernis ist die Haltung zur Abspaltung Kataloniens. Iglesias würde den Katalanen eine Volksabstimmung gestatten - der PSOE ist die nationale Einheit heilig. Aber auch die schwer zu finanzierenden sozialen Versprechen von Podemos wie Grundsicherung und Ende der Sparpolitik halten die Sozialisten für unrealistisch. Ihr strikter Realismus und ihr Kompromisskurs zu Brüssel lässt die Partei in den Augen vieler, von der Krise ausgezehrter junger Wähler als zahnlos erscheinen.

Rajoy hat es einfacher. Der empfiehlt sich seiner eher betagten Wählerschaft als erfahrener Politiker und Garant eines immerhin moderaten Aufschwungs in einer Runde von Grünschnäbeln, die sich als Kräfte des Wandels sehen, der aber vielen Spaniern unheimlich ist. Immerhin haben zwei davon, nämlich Pablo Iglesias und Albert Rivera von den liberalen Ciudadanos die Parteienlandschaft so durchgewirbelt, dass Rajoy erstmals mit drei Gegnern statt mit einem öffentlich diskutieren musste.

Vereint attackierten alle drei Rajoy wegen der vielen Korruptionsaffären, in die seine Volkspartei verstrickt ist. Einmal geriet er dabei so in Bedrängnis, dass er sekundenlang nach Worten suchte, bis er zugab: "Ich weiß wirklich nicht, was sie wollen, dass ich sage, Señor Sánchez." Was auch? Dass es in Europa kaum eine Regierungspartei gibt, die in so viele Affären verstrickt ist wie die PP? Das weiß nach diesem Endlos-Wahlkampf in Spanien sowieso jeder.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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