Spanien:Lust auf Demokratie

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Die Verjüngung der spanischen Politik durch zwei neue Parteien zeigt Wirkung: Laut Umfragen wollen 80 Prozent der Stimmberechtigten an Spaniens Parlamentswahl teilnehmen, ein Drittel davon ist noch unentschlossen.

Von THOMAS URBAN, Madrid

Nur eines lässt sich mit Sicherheit vor den Parlamentswahlen in Spanien am Sonntag sagen: Es wird Koalitionen geben müssen. Das Zwei-Parteien-System, das das Land seit 40 Jahren dominiert hat, wird mit dem Wahltag der Vergangenheit angehören. Die konservative Volkspartei (PP) und die Sozialisten (PSOE) werden beide allen Umfragen zufolge schwere Verluste gegenüber der Wahl 2011 hinnehmen müssen. Führende Vertreter beider Parteien sind in Korruptionsaffären verstrickt, was neuen, jungen Gruppierungen Zulauf verschafft hat: der linksalternativen Podemos ("Wir schaffen es") sowie den liberalen Ciudadanos (Bürger).

Die Umfragen lassen vielerlei Bündnis-Optionen zu, doch hat sich etwa ein Drittel der Wahlberechtigten noch nicht auf eine Partei festgelegt. Da in der letzten Woche vor dem Termin keine Ergebnisse von Umfragen mehr veröffentlicht werden dürfen, ist unklar, wie sich die turbulente Schlussphase der Kampagne auswirkt, etwa die Ohrfeige, die Regierungschef Mariano Rajoy bei einem Wahlkampftrip einfing oder die erhitzten verbalen Schlagabtausche in den TV-Debatten. Immerhin kann verbucht werden, dass das Land durch die Kampagnen der vier großen Parteien politisch aufgewacht ist, denn noch nie bekundeten bei den Umfragen so viele Spanier, dass sie gewiss wählen werden: es sind rund 80 Prozent.

Rajoy wird wahrscheinlich gehen, wenn er die 30-Prozent-Marke verfehlt

Mit Sicherheit werden diese Wahlen auch einen Generationswechsel bewirken: Der Vorsitzende der Ciudadanos, der katalanische Jurist Albert Rivera, ist 36 Jahre alt, der Podemos-Chef und Politologe Pablo Iglesias nur ein Jahr älter. PSOE-Chef Pedro Sánchez zählt 43 Jahre. Er hat eine große Koalition nach deutschem Vorbild ausgeschlossen.

Der 60-jährige Amtsinhaber Rajoy ist der letzte Vertreter der bislang dominierenden Politikergeneration. Doch wird von den Madrider Kommentatoren erwartet, dass er bei einem Ergebnis der PP unter 30 Prozent der Stimmen seinen Anspruch aufgibt, weiter die Regierung zu führen. Für ihn würde in diesem Fall seine 44-jährige Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría bei den Koalitionsverhandlungen einspringen.

Die Wahlkampagne war dominiert von den Themen Wirtschaftskrise und Korruption. Rajoy baute dabei ganz auf die Zahlen: Hatte sich das Land vor vier Jahren am Rande der Staatspleite befunden, so habe es dank seines Sparprogramms die Rezession überwunden und sei mit einem Wachstum von drei Prozent Spitzenreiter unter den großen EU-Staaten geworden. Doch ist die Arbeitslosigkeit nur gering zurückgegangen, von 26 auf 21 Prozent, und ein Großteil der neuen Arbeitsplätze ist prekär, nämlich befristet und mit geringem Lohn. Vor allem aber hat Rajoy das Thema Korruption zu lange unterschätzt. Ihm wird vorgeworfen, von den schwarzen Kassen der PP gewusst und auch davon profitiert zu haben.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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