Spanien:Kampf um Selbstbestimmung

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Auch sie gehören zu den Fliehkräften der spanischen Politik: Unterstützer der Unabhängigkeit Kataloniens. (Foto: Emilio Morenatti/AP)

Rebellion an der Wahlurne: Die Katalanen verstehen ihre Regionalwahl als Stimmungstest für eine Loslösung von der spanischen Zentralregierung.

Von Thomas Urban, Barcelona

Die spanische Fahne wehte am Sonntag noch in Barcelona über der Generalitat, dem Sitz der Regierung und des Parlaments der Region Katalonien. Eingerahmt war sie von der katalanischen Flagge mit den vier schmalen roten Streifen auf gelbem Grund sowie dem EU-Sternenbanner. Wenn es nach dem Willen des liberalkonservativen katalanischen Regionalpräsidenten Artur Mas geht, soll es mit diesem Flaggentrio spätestens in zwei Jahren aber vorbei sein: Mas hat für diesen Sonntag vorgezogene Regionalwahlen ansetzen lassen. Ein Teil der katalanischen Parteien sieht die Wahl als Votum über die künftige staatliche Souveränität der wirtschaftsstarken spanischen Industrie- und Touristikregion am Mittelmeer an: Die erhoffte Sezession Kataloniens also.

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Sollte diese katalanischen Gruppierungen gemeinsam die Mehrheit der Sitze im künftigen Parlament von Barcelona bekommen, könnte ein Fahrplan umgesetzt werden, an dessen Ende nach 18 bis 24 Monaten die Unabhängigkeitserklärung der Katalanen steht. Da die spanische Verfassung die Abspaltung einer Region verbietet und das Verfassungsgericht in Madrid mit der Absetzung der katalanischen Regierung gedroht hat, wurde am Sonntag formal aber nur über die Zusammensetzung des neuen Regionalparlaments entschieden. Doch die Idee dahinter reicht weiter.

Mit dem vorläufigen Endergebnis der Abstimmung wurde für die Nacht zum Montag gerechnet. Bei sommerlichen Temperaturen war die Stimmung in der katalanischen Metropole am Wahltag entspannt. Dabei hatten die Spannungen zwischen Madrid und Barcelona in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Mas hatte die Wähler aufgefordert, Madrid "den Stinkefinger zu zeigen", weil man Katalanen das "Recht auf Selbstbestimmung" verweigere.

Vorangegangen waren Warnungen der spanischen Zentralregierung unter Mariano Rajoy. Angedroht wurde, die Integration eines unabhängigen Kataloniens in die EU-Strukturen zu blockieren, die katalanischen Konten bei der Nationalbank einzufrieren und den FC Barcelona als derzeit stärkste Vereinself weltweit aus der Ersten Liga des spanischen Fußballverbands zu werfen. Ein Bischof ließ sogar für die spanischen Landsleute in Katalonien beten, sie seien großem Druck ausgesetzt.

Für die großen katalanischen Parteien steht außer Frage, dass sie auch nach einer Sezession von Madrid in der EU und in der Nato bleiben wollen. Die beiden größten Parteien, die regierende konservative CDC sowie die oppositionellen Linksrepublikaner (ERC), haben sich mit mehreren Bürgerinitiativen zum Wahlbündnis "Junts pel Sí" (Gemeinsam für das Ja) zusammengetan. Auch die linke "Volkseinheit" (CUP) tritt für die Unabhängigkeit ein; den letzten Umfragen zufolge erschien eine Mehrheit der Mandate daher sicher zu sein. Der Sezessionswunsch hat seit 2012 an Bedeutung gewonnen. Auslöser war die Weigerung Rajoys, mit Mas über eine Reform des Finanzausgleichs zwischen den spanischen Regionen zu sprechen: In Barcelona herrscht die Überzeugung vor, dass das System die Katalanen benachteiligt. Hinzu kommt die Weigerung der Konservativen in Madrid, über das Amnestiegesetz von 1977 zu sprechen. Mit dem Gesetz sollte zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco ein Übergang zur Demokratie ermöglicht werden. Dies wurde erreicht; doch bedeutete es in der Praxis, dass Täter des Franco-Regimes straffrei blieben und die Opfer der Diktatur nicht entschädigt wurden. Barcelona war im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) Hochburg der republikanischen Kräfte, die gegen Franco kämpften.

Unter Franco wurde die katalanische Kultur und Sprache unterdrückt. Die Elite wurde nach katalanischer Ansicht verfolgt wie vor drei Jahrhunderten unter den spanischen Bourbonen. Zudem verweisen die Katalanen auf ihre politische Tradition. Vergleichbar den deutschen Hansestädten war Barcelona stets von einem selbstbewussten Bürgertum geprägt. Bis heute spielen vielerlei Bürgerinitiativen und Gesellschaften im politischen Leben eine wichtige Rolle. Die Katalanen gelten als gut organisiert, fleißig und sparsam.

In Madrid haben sich weder der frühere König Juan Carlos noch Premier Mariano Rajoy bemüht, bei den Katalanen für eine gemeinsame Zukunft zu werben. Juan Carlos nannte die Debatten über Unabhängigkeit "Hirngespinste". Sein seit einem Jahr amtierender Sohn Felipe VI. wurde in Barcelona ausgepfiffen. Die Drohungen Rajoys an die Adresse Barcelonas nennt die katalanische Presse kontraproduktiv.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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