Spanien:Jetzt erst recht

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So viele Finger wie rote Streifen auf der Flagge: Am Samstag versammelten sich mehr als 700 der 948 katalanischen Bürgermeister in Barcelona, um für die Unabhängigkeit von Spanien zu demonstrieren. (Foto: Emilio Morenatti/AP)

Katalanische Amtsträger beharren auf einem Volksentscheid über die Unabhängigkeit. Der Streit mit der Zentralregierung in Madrid spitzt sich zu.

Von Thomas Urban, Madrid

Zwei Wochen vor dem geplanten illegalen Unabhängigkeitsreferendum in der Region Katalonien wird der Schlagabtausch zwischen der Zentralregierung in Madrid und der Regionalführung in Barcelona immer heftiger. Das Parlament in Barcelona hatte vor zehn Tagen ein Gesetz verabschiedet, wonach im Falle einer Mehrheit bei dem Referendum bereits am folgenden Tag die staatliche Unabhängigkeit verkündet werden solle. Das spanische Verfassungsgericht hatte das Gesetz indes umgehend für ungültig erklärt, wie auch schon zuvor sämtliche Projekte Barcelonas, die auf die Loslösung der 7,5 Millionen Einwohner zählenden wirtschaftsstarken Region von Spanien abzielen.

Das spanische Finanzministerium stellte am Wochenende die Überweisungen an die katalanischen Behörden für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes ein, sie sollen ihre Gehälter nun direkt aus Madrid erhalten. Finanzminister Cristóbal Montoro erklärte, es solle sichergestellt werden, dass die Regionalregierung keine Mittel zweckentfremde. Die Post wurde angewiesen, keine Wahlbenachrichtungen für das Referendum zu verschicken. Bereits in der vergangenen Woche hatte ein Gericht die Abschaltung einer Internetseite verfügt, auf der die Regionalregierung das Referendum erklärte - allerdings gab wenig später Regionalpräsident Carles Puigdemont über Twitter Alternativadressen an, die von Servern in Großbritannien und Luxemburg betrieben werden. Gerichtlich untersagt wurde auch jegliche Werbung für das Referendum; die Telefónica und der britische Konzern Vodafone blockierten daraufhin mehrere Internetportale.

Die Polizeibehörden sind angewiesen, in Katalonien Wahlzettel und Wahlurnen zu beschlagnahmen; Druckereien wurden unter dem Verdacht durchsucht, Materialien für das Referendum herzustellen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Madrid drohte allen Unterstützern der illegalen Abstimmung hohe Geldstrafen an und verwies darauf, dass derartige staatsfeindliche Aktionen mit bis zu acht Jahren Gefängnis geahndet werden könnten.

Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig eines Anschlags auf die Demokratie

Der konservative Premierminister Mariano Rajoy erklärte zu den Maßnahmen: "Unterschätzen Sie nicht die Kraft der spanischen Demokratie!" Seine Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría, die eigentlich für den Dialog mit der katalanischen Führung zuständig ist, beschuldigte diese des "Anschlags auf die Demokratie", wie er "nur in totalitären Staaten" möglich sei. Hingegen wiesen Vertreter der linksalternativen Gruppierung Podemos diese Anschuldigungen zurück: Es sei die Zentralregierung, die einen schweren Anschlag auf die Demokratie verübe, wenn sie die Bevölkerung Kataloniens daran hindern wolle, in einem demokratischen Verfahren über ihre politische Zukunft zu befinden. Vertreter von Podemos nahmen an einer Solidaritätskundgebung für die Katalanen in Madrid teil.

Der liberalkonservative Regionalpräsident Carles Puigdemont gab einen Empfang für mehr als 700 katalanische Bürgermeister, die wegen ihrer Unterstützung für das Referendum Vorladungen von der Staatsanwaltschaft bekommen hatten. Nur rund 200 Bürgermeister hatten erklärt, den Anweisungen Madrids Folge zu leisten. Puigdemont erklärte bei dem Empfang in offenkundiger Anspielung auf die Drohungen Rajoys: "Man sollte nicht die Kraft des katalanischen Volkes unterschätzen!" Ein Rückschlag für die Zentralregierung war es, dass sich die linksalternative Oberbürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, nach langem Zögern nun offen auf die Seite der Verfechter des Referendums gestellt hat. Auch sie kritisierte, dass Rajoy bislang jeden Dialog über die Zukunft Kataloniens verweigert habe und nur auf juristische sowie administrative Repression setze. Erst am Montag hatten in Barcelona mehrere Hunderttausend Menschen für das Recht auf Abstimmung demonstriert.

Puigdemont und weitere Mitglieder der katalanischen Führung erklärten in einem offenen Brief an Rajoy ihre Bereitschaft, in Verhandlungen einen Ausweg aus der schweren Krise zu suchen. Während Madrid mit der spanischen Verfassung argumentiert, führt Barcelona zur Rechtfertigung des Referendums das Selbstbestimmungsrecht der Völker laut UN-Charta an, sowie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Konflikt um die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo.

Einen der Hauptstreitpunkte zwischen Madrid und Barcelona stellt traditionell der Finanzausgleich zwischen den Regionen dar, bei dem sich die Katalanen stark benachteiligt sehen. Die Mittel werden von Madrid nicht, wie etwa in der Bundesrepublik, nach einem von allen Beteiligten gemeinsam ausgehandelten Schlüssel vergeben; vielmehr müssen die Regionalpolitiker für einen Großteil der Haushaltsmittel in Madrid antichambrieren.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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