Spanien:Hiergeblieben

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Die Katalanen gelten in Spanien als gut organisiert und sparsam. Viele, die für die Unabhängigkeit sind, wollen nicht ärmere Regionen mitfinanzieren. (Foto: David Ramos/Getty)

Das spanische Verfassungsgericht urteilt gegen die Sezessions-Bestrebungen der Katalanen. Doch Barcelona will nicht aufgeben.

Von Thomas Urban, Madrid

Das spanische Verfassungsgericht hat am Montag erneut Beschlüsse des katalanischen Regionalparlaments über die Sezession von Madrid für ungültig erklärt. Die Verfassungsrichter berieten auch erstmals über Strafmaßnahmen gegen die Präsidentin des katalanischen Regionalparlaments, Carme Forcadell.

Das Parlament in Barcelona hatte am Mittwoch beschlossen, den Weg zur Sezession von Spanien zu beschreiten und eigene staatliche Institutionen aufzubauen. Die spanische Verfassung erlaubt indes keine Abspaltung einer Region. Die amtierende konservative Zentralregierung unter Premierminister Mariano Rajoy hat wegen des Vorgehens der katalanischen Führung bereits in der Vergangenheit wiederholt das Verfassungsgericht angerufen. Dieses hat nun erneut seine Linie unterstrichen: Die Katalanen hätten kein Recht, sich von Spanien zu lösen, sie dürften nicht einmal eine Abstimmung über eine mögliche Sezession durchführen.

Die Verfassungsrichter gaben Carme Forcadell und den anderen Mitgliedern des Parlamentspräsidiums in Barcelona eine Frist von 20 Tagen zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung. Dies würde die Aufhebung der Beschlüsse über den Weg zur Unabhängigkeit bedeuten. Bei der Abstimmung im katalanischen Parlament hatten 72 der 135 Abgeordneten einem Drei-Stufen-Plan zur Unabhängigkeitserklärung zugestimmt, obwohl eine derartige Abstimmung zuvor vom Verfassungsgericht für unzulässig erklärt worden war. Elf Abgeordnete aus den Reihen des links-alternativen Bündnisses Podemos hatten dagegen votiert, die übrigen hatten nicht an der Abstimmung teilgenommen oder zuvor unter Protest den Plenarsaal verlassen.

Es ist das erste Mal, dass die Führung in Barcelona offen die von den Verfassungshütern in Madrid gezogenen Grenzen überschreitet. Eine am 9. November 2014 durchgeführte Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der wirtschaftsstarken Industrie- und Tourismusregion war angesichts des Widerstandes aus Madrid rechtzeitig als nicht bindende Meinungsumfrage deklariert worden. Kommentatoren gebrauchten nun das Bild von "zwei Zügen, die ungebremst aufeinander zurasen". Denn die Zentralregierung hat laut Verfassung die Pflicht, die Einheit des Landes zu verteidigen, muss also Maßnahmen ergreifen. Wie diese aussehen könnten, darüber wird seit Langem spekuliert: Von der Schließung der Generalitat in Barcelona, dem Sitz von Regionalregierung und -parlament, bis zu einem Überweisungsstopp von Haushaltsmitteln für die hochverschuldete Region.

Der Streit über die Zukunft Kataloniens hat bislang auch in Madrid die Bildung einer neuen Regierung blockiert. Weder eine Mitte-rechts-Koalition aus der noch regierenden konservativen PP Rajoys und den liberalen Ciudadanos, die am Sparkurs zur Sanierung der Staatsfinanzen festhalten wollen, noch ein Linksbündnis aus den Sozialisten (PSOE) und Podemos würde über eine Mehrheit in den Cortes, dem Unterhaus in Madrid, verfügen. Das Zünglein an der Waage machen die insgesamt 24 Abgeordneten der Regionalparteien aus dem Baskenland und Katalonien aus. Diese sahen in der Vergangenheit in Rajoy und seiner PP ihren Hauptgegner, da er die Zentralmacht stärken möchte.

Zwischen PSOE und Podemos herrscht ein grundsätzlicher Dissens über das Recht auf Selbstbestimmung, das die Katalanen für sich einfordern. Die Sozialisten lehnen hier jegliches Zugeständnis ab, während Podemos eine Volksabstimmung als demokratisches Grundrecht bezeichnet. Die Führung der Linksalternativen um den Politologen Pablo Iglesias hält also das Bestreben der katalanischen Führung, in einem Plebiszit über die Zukunft der Region bestimmen zu lassen, für legitim, würde aber ihrer eigenen Anhängerschaft empfehlen, mit "Nein" zu stimmen.

Die Befürworter der Loslösung Kataloniens von Madrid führen als Hauptargument an, dass sich die Region wirtschaftlich und sozial als unabhängiger Staat besser entwickeln würde. Ein zu hoher Anteil des katalanischen Steueraufkommens werde von Madrid in Regionen umgeleitet, die von Korruption und Vetternwirtschaft geprägt seien. Die Katalanen, die auch auf ihre eigenen Sprache großen Wert legen, sehen sich selbst als gut organisiert und sparsam an; auch die meisten Spanier aus den anderen Regionen haben dieses Bild von ihnen, vergleichbar mit den Schwaben in Deutschland. Die Regionalregierung führt immer wieder an, dass ein unabhängiges Katalonien Netto-Zahler in der EU wäre.

Madrid hält das Referendum zur Unabhängigkeit für ungültig. Zu wenig Wahlbeteiligung

Der Drei-Stufen-Plan sieht zunächst die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung vor. In einem zweiten Schritt soll ein Gesetzespaket ausgearbeitet werden, das die Loslösung von Madrid regelt; dazu gehört der Aufbau eigener Institutionen wie Finanzämter, Sozialversicherung, diplomatischer Dienst und Streitkräfte. Schließlich soll die Bevölkerung in einem Referendum allem zustimmen. Die Verfechter der staatlichen Souveränität gehen davon aus, dass Katalonien Mitglied der EU und der Euro-Zone bleiben werde, da alle formalen Voraussetzungen dafür erfüllt seien.

Die katalanische Parlamentspräsidentin, die 50-jährige Linguistin Forcall, sagte, sie fürchte sich nicht vor einem von Madrid betriebenen Strafverfahren. Die letzten Wahlen seien eine legitime Grundlage, "den Weg zur Unabhängigkeit weiter zu beschreiten". Doch in Madrid wird angeführt, dass bei den Regionalwahlen 2015 die Parteien, die sich klar für die Loslösung von Madrid ausgesprochen haben, nur 48 Prozent der Wähler hinter sich gebracht hätten. Das Referendum vom 9. November 2014, bei dem 80 Prozent der Wähler die Unabhängigkeit befürworteten, könne nicht als Maßstab gelten, da kaum mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten sich daran beteiligt habe. Der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont kündigte angesichts dieser Zweifel an, am 28. September die Vertrauensfrage zu stellen und möglicherweise den Kurs der Generalitat durch vorgezogene Parlamentswahlen abzusichern.

© SZ vom 02.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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