Soziale Netzwerke:Das Löschen beginnt

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Das Facebook-Gesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas ist beschlossen. Doch vieles ist noch unklar - unter anderem, wer genau am Ende entscheiden soll, ob ein Beitrag gelöscht werden muss oder im Netz bleiben kann.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Es ist ja nicht so, als könnte Heiko Maas das Internet nicht leiden. Der SPD-Justizminister liebt Twitter. Während seiner Amtszeit schickte er nahezu pausenlos Sprüche gegen Extremisten über den Nachrichtendienst. Mal staatsmännisch: "Debatte über Sicherheit mit Vernunft und Augenmaß führen". Manchmal nicht. Ein paar Musiker lobte er für ihr "tolles Zeichen gg Fremdenhass" einmal mit dem Hashtag: #nochnichtkomplettimarsch.

Auch als Maas auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 die Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook zu "Task Force"-Treffen in sein Ministerium einlud, damit die Plattformen nicht zum "Tummelplatz für Rechtsextreme" würden, bekam er dafür viel Applaus. Doch jetzt, wo das Parlament sein hastig geschriebenes Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hasskommentare beschließen sollte, musste sich Heiko Maas gegen die Kritik wehren, er bewege sich selbst außerhalb der Verfassung. Am Freitag hat der Bundestag nun einen Kompromiss verabschiedet, der soziale Netzwerke zu einer besseren Aufsicht über rechtswidrige Posts zwingen soll - aber noch viele Fragen offenlässt.

Große Internetunternehmen müssen künftig von Nutzern gemeldete Beiträge, die "einen offensichtlich rechtswidrigen Inhalt" haben, innerhalb von 24 Stunden löschen. Bei Aussagen, bei denen die Strafbarkeit weniger offensichtlich ist, haben die Firmen entweder sieben Tage Zeit. Oder sie können das Urteil einer Art Schiedsstelle unter staatlicher Aufsicht überlassen. Diese Stelle hat Maas in einer Neufassung seines Gesetzentwurfs erfunden, die erst eine Woche alt ist. Er nennt das "regulierte Selbstregulierung". Wie genau diese Instanz arbeiten soll und wer dort entscheidet, ist noch völlig offen.

Soziale Netzwerke, die mindestens zwei Millionen registrierte Nutzer haben und mehr als 100 Beschwerden im Jahr erhalten, müssen künftig ein wirksames Beschwerdemanagement einrichten. Ansonsten drohen ihnen Geldstrafen von bis zu 50 Millionen Euro. Die Unternehmen sollen außerdem jedes halbe Jahr einen Löschbericht veröffentlichen und einen deutschen Ansprechpartner für die Strafverfolgungsbehörden stellen. Auch diese Regel hat das Justizministerium erst vor einer Woche ins Gesetz geschrieben, genauso wie die Details zur Größe des Netzwerks.

Zuvor hatte eine breite und ungewöhnliche Allianz aus Journalistenverbänden, Wirtschaftsvertretern, Kulturschaffenden und Netzaktivisten angeprangert, dass der ursprüngliche Entwurf "katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit" habe. Eine Firma wie Facebook übernehme die Rolle eines Richters und entscheide bald alleine, welche Kommentare strafbar wirken und deshalb gelöscht gehören. Weil ihnen Bußgeld droht, so befürchteten die Kritiker, könnten die Netzwerke viel zu viel blocken.

Auch unter Juristen war das Gesetz umstritten. Datenschützer hatten kritisiert, dass die Web-Portale dank des Gesetzes zu freigiebig mit Nutzerdaten umgehen dürften. Im Juni meldete sich sogar der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, mit einem offenen Brief und äußerte Bedenken. Das "Recht auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre" sei bedroht. Nach dem neuen Entwurf von Maas erhalten vermeintliche Opfer nun nicht mehr ohne Weiteres Auskünfte über die Menschen, die sie online beleidigen. Auch Straftatbestände wie die "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" wurden wieder gestrichen. Doch die Sorge vor einer "Löschorgie" der Netzwerke bleibt.

Journalisten bemängeln schon lange, dass Beiträge, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden, auch als Berichterstattung gelten können. Möglicherweise regiere der Bundesjustizminister in die Medienaufsicht der Bundesländer hinein. Nach der Verabschiedung des Hassrede-Gesetzes kündigte auch die AfD an, sie wolle jetzt "mit Hochdruck" an der Prüfung einer Verfassungsklage arbeiten.

Heiko Maas verteidigte sein Gesetz. Es beende das "verbale Faustrecht im Netz", sagte er, räumte allerdings ein, dass die Neuregelung "nicht alle Probleme" lösen könne. Er wolle jetzt für eine EU-weite Regelung eintreten. Ob das Facebook-Gesetz Europarecht entspreche, war im Vorfeld ebenfalls angezweifelt worden. Die Rechtspolitikerin der Grünen, Renate Künast, sagte, die Gesellschaft müsse insgesamt diskutieren, wie Meinungsfreiheit im Internet verteidigt werden könne. "Das geht nicht nur mit Bußgeldtatbeständen", sagte sie.

Am 7. Juli wird der Bundesrat wohl abschließend über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz entscheiden. Danach wird die Debatte über Hassreden im Netz vermutlich aufs Neue beginnen. Denn die neue "regulierte Selbstregulierung" hat es in sich: So ein Entscheidungsgremium, steht in der Gesetzesbegründung, soll künftig "plural besetzt werden". Wer genau am Ende entscheidet, ob es sich bei einem rabiaten Facebook-Eintrag um Beleidigung, Meinungsfreiheit oder Satire handelt, steht dort noch nicht. Dies müssen wohl noch weitere Verordnungen regeln. Immerhin hat Maas vorige Woche auch das Inkrafttreten des Gesetzes auf Oktober verschoben. Weil es noch viel zu klären gibt.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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