Südeuropa:Das linke Lager in Europa steht vor einem Dilemma

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Pedro Sanchez, Chef der spanischen Sozialisten, während einer Pressekonferenz am 22. Januar. Nachdem der amtierende Präsidenten Rajoy eine Regierungsbildung aus taktischen Gründen abgelehnt hatte, steht Sanchez nun unter Zugzwang. (Foto: AFP)

Spaniens Sozialistenchef Sánchez duckt sich weg, in Portugal stoßen die Linken an ihre Grenzen. Sie stehen vor der Frage: Reformieren oder Protestieren?

Kommentar von Thomas Urban

Aus der Südwestecke Europas sollte eigentlich das Ende der Sparpolitik in Europa eingeläutet werden, die nach Meinung ihrer Kritiker nicht Folge, sondern Ursache der großen Krise in mehreren EU-Ländern ist. Die spanischen und die portugiesischen Sozialisten haben angekündigt, in vorderster Front gegen das "Spardiktat aus Brüssel und Berlin" zu kämpfen. Doch die Revolutionäre zaudern: In Madrid duckt sich der junge Sozialistenchef Pedro Sánchez weg, wenn das Gespräch auf die Bildung einer neuen Regierung kommt. Und in Lissabon haben die Wähler erst an diesem Sonntag der sozialistischen Minderheitsregierung die Grenzen aufgezeigt, indem sie als Gegengewicht einen Konservativen zum neuen Staatspräsidenten gewählt haben.

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Wer regiert künftig in Spanien? Die Konservativen wollen es offenbar mit nur einem Drittel der Abgeordneten versuchen. Dabei wären sie aber von anderen abhängig.

Von Sebastian Schoepp

Den Genossen in den iberischen Krisenländern, auf europäischer Ebene mit der SPD oder den französischen Sozialisten im Bunde, sitzen linksradikale und linkspopulistische Gruppierungen im Nacken. Bei den Parlamentswahlen in beiden Ländern Ende 2015 haben sie an diese linke Konkurrenz viele Stimmen verloren. Deren Ziel ist klar: Sie wollen die Stabilitätsprogramme der EU aufkündigen. Wie aber sollen sich die sozialdemokratischen Parteien dazu verhalten? Sollen sie sich verbünden?

Dieses Problem bleibt der Sozialdemokratie erhalten, inklusive der SPD. Die Gründe für dieses Zaudern sind unterschiedlich, aber sie lassen sich auf einen Nenner bringen: Ihnen ist ihre Klientel, die Arbeiterschaft, mit dem Strukturwandel weggebrochen. Plötzlich ist alles Mitte, und in der Mitte sitzen schon die Konservativen. Wo also bleibt die Klientel, wo steckt das einigende Thema?

Reformieren oder Protestieren? Das linke Lager hat ein Dilemma

In Frankreich werden die Sozialisten von Rechtspopulisten bedrängt. In Polen sind die Sozialdemokraten seit den Wahlen im vergangenen Herbst überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten, sie sind als eine neoliberale Interessenvertretung der postkommunistischen Nomenklatura untergegangen. Überhaupt zeigt sich, dass die Unterstützung der westlichen Sozialdemokraten für die korrupten Postkommunisten Polens, Ungarns oder Rumäniens ein schwerer strategischer Fehler war, der das Aufkommen nationalkonservativer Kräfte begünstigt hat.

Diese Verirrung im Lager der Genossen in der Alt-EU von Lissabon bis Berlin spiegelt sich in ihrem Führungspersonal. Die meisten sind keine kernigen Gewerkschafter mehr, sondern Funktionärstypen mit Hochschulstudium, die aber das "wahre Leben" ihrer Wähler nicht kennen. Pedro Sánchez in Madrid wird dieser Vorwurf besonders gemacht. Hinzu kommt, dass für die meisten Wähler vor allem in den Krisenländern Wirtschaftskompetenz entscheidend ist. Allen Debatten über gerechte Umverteilung zum Trotz: In den großen EU-Ländern wird den Sozialdemokraten hier weniger zugetraut als den Konservativen.

Nun müssen die Parteien eine Entscheidung über ihre Haltung zu Reformen in der Euro-Zone treffen. In Spanien und Portugal liegen die Dinge sehr eindeutig: Die Schuld an der Krise wird vor allem den bis 2011 in beiden Ländern regierenden Sozialisten gegeben. Deswegen haben sie auch nicht vom Unmut gegen die Sparprogramme der Konservativen profitiert, sondern haben weiter Stimmanteile verloren.

Durch alle sozialdemokratischen Parteien in der EU geht derselbe Riss, der Gerhard Schröder vor etwas mehr als einem Jahrzehnt das Kanzleramt gekostet hat: Führt eine harte Sanierung der Staatsfinanzen oder weitere Neuverschuldung für Konjunkturprogramme zur Gesundung der Wirtschaft? Von Bill Clinton, Präsident aus den Reihen der "sozialdemokratischen" Demokraten, stammt der bekannte Spruch: "It's the economy, stupid!" In Spanien muss nun der junge Pedro Sanchéz den Schwur leisten.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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