Singapur:Macht der Ordnung

Lesezeit: 4 min

Bei seiner Gründung vor 50 Jahren hatte der kleine Stadtstaat kaum eine Zukunft. Heute ist Singapur eines der reichsten Länder der Welt. Es hat sich hochgearbeitet mit strenger Disziplin.

Von Arne Perras, Singapur

Am Anfang türmten sich die Sorgen. Wie sollte das kleine Singapur überleben? Am 9. August 1965 war der Stadtstaat unabhängig geworden, aber nicht so, wie es sich Staatsgründer Lee Kuan Yew erhofft hatte. Er hatte lange auf eine Zukunft in der Föderation Malaysia gesetzt, doch daraus wurde nichts. Die fragile Union hielt nur zwei Jahre, und 1965 trennten sich die Wege der früheren britischen Kolonialgebiete in Südostasien. "Singapur ist draußen", titelte damals die Straits Times. Ein qualvoller Moment, wie Premier Lee notierte. Er musste weinen. "Wir steuerten in eine düstere Zukunft", schrieb er später in seinen Memoiren. Seiner Heimat Singapur fehlte ein rohstoffreiches Hinterland, wie es für ein Überleben junger Staaten damals unverzichtbar erschien.

Doch dann hat es Singapur auch ohne eigene Bodenschätze geschafft. 50 Jahre nach seiner Unabhängigkeit feiert die asiatische Metropole einen Aufstieg, der noch immer viele staunen lässt. Überall ragen die glitzernden Türme in den Himmel. Singapur ist, pro Kopf gerechnet, eines der reichsten Länder der Welt. Eine Stadt, die sich ganz nach oben gearbeitet hat. Fleiß, Disziplin, eine strenge Ordnung sowie ein ausgeprägter Sinn für nützliche Ideen haben mitgeholfen. Und das Goldene Jubiläum will nun gefeiert werden.

Die Stadt liebt den Superlativ. Unter dem Logo SG 50 wandelte sich die Metropole für das Wochenende zur Showbühne. Den Kern bildet eine Nationalparade am Sonntag, die alle vorangegangenen in den Schatten stellt. 6000 Singapurer haben dafür mehr als 2700 Stunden lang geprobt. Die jüngsten Darsteller sind sechs, die ältesten über 80 Jahre alt. Von den Pionieren der Aufbauphase bis zu den Erstklässlern - es sind alle vertreten. Kapitel für Kapitel erzählen sie szenisch die Geschichte Singapurs. Eine goldene Dschunke auf Rädern und Kaufleute in historischen Gewändern machen den Anfang, später drängt viel militärisches Gerät in den Vordergrund, es dröhnt und donnert, was wie die strategische Selbstversicherung einer kleinen Nation wirkt, die sich zwischen sehr großen Nachbarn behaupten oder mit ihnen arrangieren muss.

Schon Stunden vor der großen Parade drängen sich die Massen rund um die Bucht am Singapur River, ein Meer aus Rot und Weiß, Tausende Besucher tragen die nationalen Farben am Leib. Die Show vermischt Multimedia, historische Filme, farbenfrohen Tanz und martialische Aufmärsche auf sehr eigene Weise. Und immer wieder erklingen sanfte Pop-Lieder für die Herzen: "Ein Volk, ein Staat, ein Singapur", so singen die Massen, als gelte es, die Nation noch einmal zusammenzuschweißen. Dabei schwenken auf den Rängen viele unermüdlich ihre Fähnchen.

Vier Minuten später schießen dann die "Black Knights" über den Himmel, die waghalsigen Manöver der heimischen Kunstflugstaffel sind legendär. Wenn die Piloten in ihren F-16 kreuz und quer über die Skyline rasen, halten unten viele die Luft an. Deren Botschaft ist nicht zu überhören und nicht zu übersehen: Donnernde Präzision, eine Nation im Steigflug. Um 18 Uhr und 49 Minuten zeichnen sie eine 50 in den Himmel und liegen damit genau im Plan. Alles andere hätte auch überrascht.

Einheit und Vielfalt soll die Show demonstrieren, was zur Botschaft des Premiers Lee Hsien Loong an diesem Tag passt. Er ist der Sohn des Gründers Lee Kuan Yew und preist Singapur an diesem Tag als harmonischen Vielvölkerstaat, in dem die verschiedenen Gruppen - überwiegend Chinesen, Inder und Malaien - in Frieden und Wohlstand zusammenleben. "Wir werden uns am Erfolg der letzten fünf Jahrzehnte erfreuen und uns darauf verpflichten, als vereintes Volk weiter zu arbeiten", erklärt Lee am Jubiläumstag. Die älteren Singapurer haben noch nicht vergessen, dass es in der Endphase der Kolonialzeit zu blutigen Rassenunruhen kam. Wer heute abfällig über eine andere Volksgruppe in Singapur spricht, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Der Staat pflegt seinen Ruf als Hüter von Einheit und Ordnung.

Im Land ohne eigene Rohstoffe ragen überall glitzernde Hochhäuser in den Himmel

Die Party ist überall durchdrungen vom nationalen Stolz, hier feiert ein Stadtstaat seinen ganz eigenen Weg, die "Singapore Story". Diese Geschichte ist auch eine vom starken Staat, er ist bei den Feierlichkeiten eine treibende Kraft, doch es ist weit mehr als verordnete Begeisterung, die in der Stadt nun zu spüren ist. Die Singapurer genießen die glitzernde Show, die mit gefühlsbeladenen Liedern und einem prachtvollen Feuerwerk am Nachthimmel zu Ende geht.

Die Leute zeigen gerne ihren Stolz auf das, was sie in harter Arbeit geschaffen haben. Vom Moment der Qual bis zum goldenen Jubiläum, das war für viele ein steiniger, aufreibender Weg. Singapur verkörpert ein Modell des Aufschwungs, das kapitalistische Prinzipien hat, ohne dabei westlichen Freiheitsidealen zu folgen. Bürgerrechte wie Presse- und Demonstrationsfreiheit sind eingeschränkt, der Staat duldet Kritik nur in Grenzen. Das wurde kürzlich wieder sichtbar, als die Justiz einem 16-jährigen Blogger den Prozess machte und zu einer vierwöchigen Gefängnisstrafe verurteilte, weil er sich unter anderem abfällig über das Christentum geäußert hatte. Religiöse Gefühle zu verletzen, wird in Singapur strikt geahndet. Auch verhöhnte der Blogger den Staatsgründer Lee Kuan Yew und provozierte damit breiten Ärger in der Bevölkerung. Für den 16-Jährigen ging niemand auf die Straße, solche Demonstrationen sind aber ohnehin verboten. Gleichwohl nährte der Fall Mutmaßungen, ob sich in der jüngeren Generation Singapurs vielleicht doch mehr rebellischer Drang aufstaut, als man offen erkennen kann.

Stolz, keine inszenierte Begeisterung: In einem Meer von Rot und Weiß - den Landesfarben - feierte Singapur am Sonntag die Staatsgründung. (Foto: Wallace Woon/dpa)

Lee Kuan Yew, der Vater der Nation, starb im März, er kann die 50-Jahr-Feiern nicht mehr mitverfolgen. Doch alle wissen, dass er der Architekt dieses Modells war. Das Jubiläum ist aber nicht nur der Moment, in dem die Nation zurückblickt. Der Jahrestag hat auch eine breite, vom Staat überwachte Nabelschau angestoßen, in der heute zumindest etwas mehr Kritik und Meinung möglich ist als früher, sofern sie nicht auf religiöse oder ethnische Gruppen zielt.

Vieles dreht sich um die Frage: Wie muss sich Singapur wandeln, um die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte für die Zukunft zu sichern? Der Stadtstaat lebt nicht ohne Probleme. In der strebsamen Welt Singapurs werden zu wenig Kinder geboren, die Gesellschaft wird älter und muss Wege finden, damit fertigzuwerden. Der starke Zustrom von Ausländern hat zu Abwehrreflexen in der Bevölkerung geführt, der Staat drosselt seither den Zuzug von außen. Doch Singapur ist gleichzeitig angewiesen auf internationale Vernetzung, um sich als Wirtschaftsmetropole zu behaupten und weiterzuentwickeln.

Die regierende People's Action Party (PAP) beherrscht die Politik seit der Gründerzeit, sie steuert bei den kommenden Wahlen, die vor Januar 2017 abgehalten werden müssen, auf einen neuerlichen Sieg zu. Die Opposition ist zwar stärker geworden, doch gewann die PAP 2011 noch immer 81 von 87 Sitzen. Ihr nützt das Mehrheitswahlrecht, das an das britische System angelehnt ist. Und wenn die Wahlen noch in diesem Jahr angesetzt werden, könnte die PAP noch von der nationalen Euphorie profitieren, die bei der strahlenden Feier am Sonntag neu entfacht wurde.

© SZ vom 10.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: