Silvester-Übergriffe:Angemessen betroffen

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Innenminister Ralf Jäger erklärt vor dem Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht, wann und wie er von den Übergriffen auf Frauen erfahren hat.

Von Bernd Dörries

Düsseldorf Vor der Tür des Saales im Düsseldorfer Landtag liegt eine große Leuchtreklame auf dem Boden, der man den Stecker gezogen hat. Als ob die Partei mit dieser ganzen Sache nichts zu tun haben möchte. Im Saal dahinter tagt am Montag der Untersuchungsausschuss zu den Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht. Als Zeuge geladen ist Innenminister Ralf Jäger (SPD), der sich über mehrere Stunden große Mühe gibt, von den Ereignissen zwar angemessen betroffen zu sein, letztlich aber doch sehr wenig mit ihnen zu tun gehabt haben will - obwohl er der oberste Dienstherr der Polizei in Nordrhein Westfalen ist. Oder gerade deshalb.

Als Innenminister sei er weder mit der konkreten Einsatzplanung zu Silvester befasst gewesen, noch habe er Anteil gehabt an der Nachbearbeitung der Ereignisse, das sei Sache der Kölner Polizei gewesen. "Bis zum 3. Januar konnte keiner erahnen, was dort geschehen ist", sagt Jäger. So genau wollte es aber offenbar auch niemand wissen. Jäger bekam zwar in den ersten Januartagen drei "Wichtiges Ereignis" (WE)-Meldungen auf sein Handy, in denen von Vergewaltigungen vor dem Kölner Hauptbahnhof berichtet wurde. In der Meldung vom Neujahrstag war bereits von mindestens elf Übergriffen durch eine Gruppe von bis zu 50 augenscheinlich nordafrikanischen Männern die Rede.

Viele hundert Nachrichten erhält er - "von Mord bis zur Vereidigungsfeier"

Innenminister Jäger aber sagt im Untersuchungsausschuss, dies sei für ihn kein Anlass gewesen zu reagieren, er bekomme im Jahr viele Hundert WE-Nachrichten, "vom Mord bis zur Vereidigungsfeier der Kommissare". Die Landesregierung begann sich erst am 4. Januar langsam für die Ereignisse in der Silvesternacht zu interessieren. Was denn da los gewesen sei, fragte Hannelore Kraft ihren Minister, nachdem sie Zeitung gelesen hatte.

Ralf Jäger, Innenmister Nordrhein-Westfalens erscheint als Zeuge. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Nun begann man im Innenministerium mit der Arbeit. Sie galt aber nicht so sehr der Aufklärung der Geschehnisse, sondern der Gefahrenabwehr für den obersten Dienstherrn. Noch bevor die Ministerpräsidentin erstmals zu dem Fall Stellung nimmt, fragt das Innenministerium besorgt bei der Leitung des Landespräventionsprogrammes "Klarkommen" nach, ob denn Teilnehmer unter den Tatverdächtigen seien. Das Programm richtet sich gezielt an Jugendliche aus Nordafrika. "Bitte um Mitteilung", schreibt das Ministerium. Zwar wurden dort zwei Tatverdächtige betreut, wie später herauskam. Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers schreibt die programmverantwortliche Geschäftsführerin wenig später stolz zurück, sie habe das Innenministerium in der Berichterstattung "rausgehalten". Dass Jäger davon gewusst hat, kann die Opposition im Ausschuss nicht beweisen. Der Name Jäger taucht nicht oft auf in den Akten, was Teile der Opposition misstrauisch macht. Wichtiges sei wohl nur noch am Telefon besprochen worden.

In einem Vermerk berichtet ein Kölner Polizist davon, dass am 1. Januar ein Anruf von der Landesleitstelle eingegangen sei, in dem der Anrufer darum bitte, eine WE-Meldung zu "stornieren" oder zumindest den Begriff der "Vergewaltigung" zu streichen. Dies sei auch der Wunsch des Ministeriums. Jäger sagt im Ausschuss dazu, er kenne keine Belege dafür, dass es dieses Telefonat überhaupt gegeben habe. Außerdem sei die WE-Meldung schließlich unverändert gesendet worden.

Aus seiner Sicht war die Kölner Silvesternacht "ein absolut neues Phänomen, das zum ersten Mal überhaupt in Deutschland zutage getreten ist", sagt der Innenminister im Untersuchungsausschuss. "Ich bleibe dabei: Das war im Vorfeld nicht vorhersehbar."

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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