Schweiz:Der Schweizer SVP fehlen wählbare Leute

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Mit drei Fingern Treue schwören: SVP-Politiker im Schweizer Parlament. (Foto: dpa)

Die Partei tut sich schwer damit, Kandidaten für ein Ministeramt aufzustellen. Einer spricht kein Englisch, der nächste macht schlechte Witze.

Analyse von Charlotte Theile, Zürich

Der Slogan der Schweizerischen Volkspartei (SVP) war in diesem Jahr so einfach wie selten zuvor: Frei bleiben! Damit haben die Rechtskonservativen alles gesagt, Distanz zum Staat, Nein zur Europäischen Union, freie Äußerung statt politischer Korrektheit.

Kurz nach der Wahl rückte die Freiheit des Einzelnen wieder in den Hintergrund: Für die Bundesratswahl, die an diesem Mittwoch stattfinden wird, gilt strikte Partei-Disziplin. Nach wochenlangem Tauziehen hatte sich die Partei von Milliardär Christoph Blocher im November auf drei offizielle Kandidaten geeinigt. Mit ihnen will sie Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat erheben, also auf ein zweites Ministeramt in der Regierung. Als stärkste Partei mit fast 30 Prozent Wähleranteil war sie bisher mit nur einem Minister klar unterrepräsentiert.

Wenn ein SVPler die Wahl annimmt, ohne nominiert zu sein, wird ihm das Parteibuch entzogen

Ganz schweizerisch kommen die Kandidaten auf dem Dreier-Ticket aus unterschiedlichen Sprachgebieten: Norman Gobbi aus dem italienisch geprägten Tessin, Guy Parmelin aus der französischsprachigen Westschweiz, Thomas Aeschi für die Deutschschweiz. Alle anderen SVP-Politiker würden, wenn sie die Wahl zum Bundesrat annehmen würden, ihr Parteibuch verlieren. Diese umstrittene Klausel hat die SVP eingeführt, weil ihr genau das schon passiert ist: Das Parlament hatte, um dem Proporz Rechnung zu tragen, einen SVPler gewählt, sich aber auf jemanden geeinigt, der nicht auf der Linie der rechten, staatskritischen Partei war. Einen Sprengkandidaten: Ein SVP-Politiker, der von Teilen der bürgerlichen Parteien, Sozialdemokraten und Grünen gewählt wird, obwohl er nicht von der SVP aufgestellt ist.

Bei der Bundesratswahl 2007 traf es die SVP besonders hart: Ihr Bundesrat Christoph Blocher wurde nach nur einer Amtsperiode abgewählt, Eveline Widmer-Schlumpf aus dem moderaten Flügel übernahm seinen Posten. Blocher sei zu radikal gewesen, habe als Regierungsmitglied Oppositionspolitik betrieben, hieß es damals. Da Widmer-Schlumpf die Wahl annahm, wurde sie aus der SVP ausgeschlossen.

Seit dem Wahlerfolg im Herbst betont die Partei nun, Kandidaten aufzustellen, die für eine Mehrheit der Abgeordneten der Bundesversammlung wählbar sind. Wichtigstes Kriterium dafür? Weder als Hardliner noch als enger Freund von Christoph Blocher bekannt zu sein.

"The big Vorteil of being provinziell"

Bis auf Norman Gobbi, 38, der seit 1999 für die rechtspopulistische Lega dei Ticinesi im Großen Rat des Kantons sitzt, kommen die Kandidaten diesmal aus der zweiten Reihe. Thomas Aeschi, 36, Vize-Präsident der SVP Zug etwa, war vor seiner Kandidatur außerhalb seines steuergünstigen Kantons kaum bekannt. Er interessiert sich für das Finanzministerium.

Der unbekannteste Kandidat auf dem SVP-Ticket: Guy Parmelin, 56, Weinbauer aus dem Waadtland. Besonderes Kennzeichen? Ein Satz, den er von sich gab, als seine Eignung für das internationale Parkett getestet wurde: "I can English understand, but je préfère repondre en français pour être plus précis." Er könne Englisch verstehen, antworte aber lieber auf Französisch - um genauer zu sein.

Seither inspiriert er die Schweizer Presse zu Schlagzeilen wie "The big Vorteil of being provinziell", wo ihm die sprachliche Ungelenkheit als Vorteil ausgelegt wird: Von einem wie ihm, schreibt der Zürcher Tages-Anzeiger, fühle sich keiner angegriffen. Ein weiteres Plus: Parmelin betont, seine Nähe zu Blocher sei nicht sonderlich groß. Doch viele sehen seine Kandidatur als Armutszeugnis: Schafft es die größte Partei des Landes nicht, Kandidaten aufzustellen, die Englisch sprechen?

Der Favorit der SVP-Parteispitze heißt Thomas Aeschi. Das Englisch des Unternehmensberaters, der schon in der Schule ein Jahr in den USA verbracht hat, dürfte kein Problem sein. Aeschi gilt als Streber, der in der Wirtschaftskommission ständig neue Anträge einbrachte, seine Spitznamen sind "Büebli" und "Ritalin". Und er spielte im Musikvideo "Welcome to SVP" eine umstrittene Rolle.

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Von Charlotte Theile, Zürich

In Anlehnung an einen Polit-Skandal im Kanton, in dem es um K.o.-Tropfen und Vergewaltigung ging, trinkt er im Video aus einem Fläschchen mit der Aufschrift "K.o.-Tropfen". Ein Witz, wie er beteuert. Viele sehen seinen Auftritt aber als frauenfeindliche Opferverhöhnung. Auch ihm sprechen daher viele das Format ab, Bundesrat zu werden.

Einer brüllte: "Jetzt kommt der Neger"

Der Tessiner Norman Gobbi dagegen, für die Neue Zürcher Zeitung "der wohl kompletteste Politiker" auf dem Ticket, kann sich glücklich schätzen, dass nicht allzu viel aus dem Tessin nach draußen dringt - dass er etwa beim Auftritt eines schwarzen Eishockeyspielers "Jetzt kommt der Neger" durchs Stadion brüllte, hat in der Deutschschweiz kaum jemand mitbekommen. Der Lega-Politiker wird dennoch von einigen Grünen und Sozialdemokraten als wählbar empfunden - schließlich ist die Lega dei Ticinesi in vielen Fragen weniger marktwirtschaftlich als die SVP. So setzte sich die Tessiner Partei für einen Mindestlohn im Kanton ein.

Bis zuletzt war vermutet worden, dass die von SVP-Nationalrat Roger Köppel geführte Weltwoche eine Story vorbereite, um ihrem Favoriten Aeschi zum Sieg zu verhelfen. Als das Blatt eine Umfrage zum Alkoholkonsum im Bundeshaus herausgab, war für viele klar: Der Weinbauer Parmelin sollte als Alkoholiker verunglimpft werden. In ihrer am Donnerstag erschienenen Ausgabe erklärte das Blatt nun, das sei "natürlich so absurd wie es klingt." Parmelin hatte da schon die Gegenrede begonnen. Im Interview mit der Aargauer Zeitung fragte der Waadtländer: "Schauen Sie mich an. Sieht so ein Alkoholiker aus?"

Zu wenig Format, zu viele Skandale - die Kandidaten der SVP kommen insgesamt nur mäßig gut an. Die bürgerlichen Parteien ließen zwar verlauten, es gebe "wählbare" Kandidaten auf dem SVP-Dreierticket, wirklich überzeugt aber klangen die wenigsten. Daher dürfte bei Sozialdemokraten und Grünen auch die Suche nach einem Sprengkandidaten weitergehen, um dem politischen Gegner zu schaden. Allerdings dürfte es auch nicht im Interesse des Parlaments sein, dass sich die SVP auch in der nächsten Legislaturperiode wieder als unterrepräsentierte Oppositionspartei inszenieren kann.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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